Tanz-Festival in Berlin: Das Einsaugen der Welt

Gerade läuft das Berliner Festival Tanz im August. Sehenswert ist etwa die spannende Performance der Kanadierin Daina Ashbee.

Rückenansicht eines Körpers, der von den Füßen und Händen unter ihm Liegender in der Schwebe gehalten wird

Immer spielerischer werden die Verschränkungen der Körper in Daina Ashbees Stück Foto: Stephanie Paillet

Bhakti war auch da. Er ist ein kleiner schwarzer Hund und gehört der kanadischen Choreografin Daina Ashbee. Freudig begrüßte er nach der Premiere ihres Stücks „J'’ai pleuré avec le chiens“ die sechs Performer:innen. Man kann sich Bhakti, auch Shadow genannt, als einen guten Geist denken, der für dieses Stück mit seinen vielen animalischen und spirituellen Bezügen keine kleine Rolle gespielt hat.

Als „J’ai pleuré avec le chiens“ beginnt, fällt noch Tageslicht durch die hohen Fenster der entkernten St. Elisabethkirche, einem der schönsten Spielorte des Festivals Tanz im August in Berlin. Während das Publikum Platz nimmt, tapsen fünf Tänzerinnen und ein Tänzer als Vierfüßler auf Händen und Knien über den hellen Tanzteppich, setzen sich kurz zwischen die Zuschauer, krabbeln diagonal über das Feld, hocken sich vor unsere Füße. So beginnt das Stück mit einer ungewohnt zutraulichen Nähe, einer unaufdringlichen Aufhebung der Distanz.

Am Ende der Performance ist es draußen und drinnen fast dunkel, die sechs Körper bilden ein Rudel in der Mitte des Raums, unruhig heulend. Doch zwischen diesen beiden animalischen Stationen haben ihre Körper viele Transformationen durchlaufen, die sich zwar oft nicht konkret benennen lassen, aber doch deutlich von unterschiedlichen Zuständen und Energieformen erzählen, die durch die Körper fließen und uns, die Zuschauenden mitziehen. Das hat manchmal auch etwas von einem Ritual.

Formen der Gemeinschaft alles Lebendigen

Dieses Jahr hat das zum neunten und letzten Mal von Virve Sutinen kuratierte Festival mehrere Projekte im Programm, die mit indigenen Künstlern, ihren Geschichten und Mythologien oder Weltbildern arbeiten. Dazu gehört „The answer is land“ der samischen Choreografin Elle Sofe Sara (12. + 13. 8., HAU 1) und von der in Berlin lebenden kolumbianischen Choregrafin Martha Hincapié Charry das Solo „Amazonia 2040“, das sich mit Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft des Regenwalds beschäftigt.

Dazu gehört auch Daina Ashbees Arbeit. Denn alle diese Stücke verbindet die Suche nach Formen der Gemeinschaft zwischen allem Lebendigen, eine Kohabitation, die mehr als Mensch und Tier umfasst.

„Time, creation, destruction“, diese drei Begriffe ergänzen den Titel von Daina Ashbees Stück, das in 80 Minuten eben auch Welten entstehen und vergehen lässt. Die anfangs bekleideten Performerinnen sind bald nackt. Atemzüge und Laute werden durch die Körper gepresst, die etwas Allumfassendes haben. Die Stimmung wandelt sich vom Mythischen und Magischen zum Spielerischen und Artistischen.

Sie bilden Paare, stellen sich auf den Rücken der anderen oder schweben von den Füßen und Händen der Liegenden getragen in der Luft. Teils fordern sie sich in einem Wettbewerb heraus, immer gewagtere Positionen einzugehen. Aber auch das Spiel kippt wieder in andere Zustände, knurrende Bedrohung entsteht, ein Zittern und Unwohlsein im angespannten Körper, das sich in kläffendem Gebell entlädt.

Wo und wann man sich in Daina Ashbees Stück befindet, ist schwer zu entscheiden; es ist vielleicht ein der Geschichte entzogener Raum der Begegnung von Geistern und Körpern und den Erinnerungen, die in Haut, Knochen, Blut und Herz wohnen.

Körperliches Mitempfinden

Aus Statements der Choreografin geht hervor, dass für sie diese Konzentration auf das körperliche Ereignis und die Ferne zu den Mustern der Geschichte aus einem Impuls entsteht, die kolonialistische Ordnung zurückzuweisen und nach einer Wahrheit jenseits zu suchen. Man kann dies nachlesen, etwa auf ihrer Website oder im Magazin von Tanz im August. Im Erlebnis der Performance erschließt sich dies nicht unbedingt.

Dafür ist ihr Spannungsbogen sehr dicht gebaut, getragen von minimalistischen Sounds. Die anfangs aufgebaute, unaufgeregte Nähe zwischen Zuschauern und Performern schafft eine Atmosphäre, die einem imaginären Nachempfinden der intensiven körperlichen Momente sehr zugute kommt.

Obwohl die Performenden nackt sind und einige Tänzerinnen in gespreizten Stellungen den Blick auf ihre Scham freigeben, steht Sexualität dabei nicht im Vordergrund. Eher ein Einsaugen der ganzen Welt mit jedem Luftholen und ein Austausch mit ihr in jedem Ausatmen.

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