Von Deutschland im Stich gelassen: Die Wut der Berliner Afghanen

Nach dem Bundeswehrabzug aus Afghanistan bleibt Resignation. Ortskräfte warten weiter auf Hilfe, und in Berlin schwindet das Vertrauen in den Staat.

Soldaten in heller Flecktarn-Kleidung vor der Tragfläche eines Transportflugzeugs der Bundeswehr

Sind aus Afghanistan zurückgekehrt: Sol­da­t:in­nen am Stützpunkt Wunstorf in Niedersachsen Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Die Bilder wirkten so maßlos übertrieben wie aus einem schlecht inszenierten Hollywoodfilm, als sich im August vergangenen Jahres die Nato in Afghanistan Hals über Kopf aus dem Staub machte. Ausgerechnet diejenigen, die ursprünglich als Retter der Menschen und ihrer Rechte gekommen sein wollten, handelten nach der Devise „Rette sich, wer kann“.

Fast pünktlich zum 20. Jahrestag von 9/11 schloss sich der Kreis: 2001 waren die Taliban noch an der Macht, als Menschen panisch aus den New Yorker Twin Towers in den Tod sprangen. 2021 hatten sie die Macht wieder erlangt, weshalb verzweifelte Afghanen sich an Flugzeuge klammerten und vom Himmel fielen.

Im vergangenen Sommer sprach ich für die taz mit rund einem Dutzend Berliner:innen, die wie ich afghanischer Herkunft sind. Wie fühlten sie sich? Was ging ihnen durch den Kopf beim Anblick der Bilder aus der alten Heimat? Eine von ihnen erzählte fassungslos von einer Freundin, die sie am Telefon flehentlich gefragt habe, ob sie Kontakte zu Deutschen am Airport hätte. Sie mögen doch bitte ihr fünf Monate altes Baby mitnehmen. Die junge Mutter befürchtete, dass ihre Tochter vergewaltigt würde. Unvorstellbar: Das eigene Baby. Einfach weggeben. Aus Angst vor sexuellen Attacken.

Nach zwanzig Jahren voller Versprechungen an die Menschen dort wie hier, Hunderte Milliarden Dollar und Hunderttausende Tote später sind die Taliban anscheinend das Einzige, was bleibt. Ihre Rückkehr symbolisiert den gescheiterten War on Terror und den letztlich misslungenen Einsatz für Menschenrechte und Demokratisierung.

Terrorsümpfe gedüngt

Was geblieben ist: immer noch Tausende Ortskräfte, die auf ihre Evakuierung warten. Während die damalige Bundesregierung ihrer Verantwortung nicht gerecht wurde, waren und sind (!) es vor allem private Initiativen von NGOs (etwa Kabulluftbrücke) und Angehörige der Bundeswehr (Patenschaftsnetzwerk), die sich der zwei Jahrzehnte lang kolportierten ethisch-moralischen Werte bewusst bleiben.

Wenn ich heute einige meiner Ge­sprächs­part­ne­r:in­nen aus dem vergangenen Sommer frage, wie sie inzwischen auf die damaligen Ereignisse blicken, ist die Resignation weiterhin groß. 2001 seien Nato-Truppen nach Afghanistan gegangen, um Terrorsümpfe trockenzulegen, 2021 habe man sie massiv gedüngt.

Ein Vater berichtete von Diskussionen mit seinen beiden in Berlin geborenen Teenagern, die mal davon geträumt hätten, Richterin und Kripobeamter zu werden, und inzwischen nicht mehr daran interessiert seien, für einen Staat zu arbeiten, der Menschen so im Stich lasse.

Mitten in Kabul getötet

Ein anderer Vater beklagte, wie er gegen Fanatismus und Hass gegen „den Westen“ argumentieren und junge Menschen vor Demokratiefeinden und den Händen von Islamisten in Deutschland fernhalten solle, wenn solche Dinge wie in Kabul geschehen. Das sei Verrat gewesen.

An den Menschen vor Ort, aber auch an den Bür­ge­r:in­nen hier, denen zwei Jahrzehnte lang erzählt wurde, alles würde sich zum Besseren wenden, während sich das Gegenteil vollzog. Und wofür seien verdammt noch mal die ganzen Sol­da­t:in­nen gestorben?

Vor wenigen Tagen dann schickte mir der Vater der beiden Teenager eine Nachricht aufs Handy. Es war die Pushmeldung eines Online-Mediums: „USA haben Al-Qaida-Führer Al-Zawahiri getötet.“ Das war nicht der einzige Grund, warum er die Meldung weiterleitete. Er schrieb: „Bobby, dieser Typ wurde mitten in Kabul getötet. In Kabul, verstehst Du? Es hat sich nichts geändert. Alles ist wieder wie 2001. Die Taliban sind wieder da und auch die Obersten von al-Qaida finden Schutz in Afghanistan. Mein Sohn sagte mir eben: Siehst Du, Baba!“

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Jahrgang 1976, Südhang Hindukusch. Berliner Junge. Schon als Kind im Widerstand gegen Exoten-Bonus und Kanaken-Malus. Heute als Autor und Producer zu unterschiedlichen Themenfeldern journalistisch tätig. Für TV, Print, Online und Bühne. Und fast immer politisch.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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