Straßenumbenennung an der FU Berlin: Koloniale Kanonenkugel zum Uni-Start

Noch immer tragen drei Straßen im Umfeld der FU koloniale Namen. Studierende schlagen für die Iltisstraße nun Nora Schimming als Namensgeberin vor.

Blick in die Straße und auf das Straßenschild "Iltisstraße"

Ein Relikt der Vergangenheit Foto: Christian Walther/Osi-Zeitung

BERLIN taz | Seit der Debatte über schwere Waffenlieferungen in die Ukraine gehört es zum Allgemeinwissen, dass oft Tiernamen für Panzernamen herhalten müssen. Auch die Iltisstraße in Dahlem (Steglitz-Zehlendorf) ist nicht nach dem schlanken Frettchen mit schwarzweiß gestreiftem Gesicht benannt: Vielmehr erinnert der Name an ein Kanonenboot der kaiserlichen Marine, das mit seinem Kapitän Wilhelm Lans den sogenannten Boxeraufstand 1900 in China bekämpfte und von dem aus die strategisch wichtigen Taku-Forts beschossen wurden.

Die „Boxer“ hatten sich zusammengetan, um sich gegen imperialistische Begehrlichkeiten der Kolonialmächte und gegen die christlichen Missionare dort zu wehren. Sie zerstörten Infrastruktur und töteten Missionare. Insbesondere das Deutsche Reich wollte in China Gebiete kolonialisieren. Der Beschuss der Forts gilt als Beginn einer Invasion der imperialistischen Staaten in China mit dem Ziel, das Land zu demütigen und zu kolonialisieren.

Heute liegen Lans-, Iltis- und Taku-Straße, die ihre Namen seit mehr als 100 Jahren tragen, in unmittelbarer Umgebung der Freien Universität Berlin (FU), an der Iltisstraße befindet sich sogar das Immatrikulationsbüro der Uni, für viele Studierenden aus aller Welt die erste Anlaufstelle für ihr Studium.

Kein Wunder, dass schon lange über eine Umbenennung diskutiert wird. Seit 2011 informiert zumindest eine Stele über den Hintergrund der Straßennamen. Vom Otto-Suhr-Institut der FU kommt jetzt ein neuer Vorschlag: Künftig sollte die Iltisstraße Nora-Schimming-Promenade heißen, argumentieren zwei Au­to­r*in­nen in der vergangene Woche erschienenen Institutszeitung.

Ehemalige FU-Studentin

Schimming, 1940 im damaligen Südwestafrika geboren, hat in den 1960er Jahren Politik, Anglistik und Afrikanische Literatur an der FU studiert. Sie engagierte sich in Unabhängigkeitskämpfen in Afrika. Nach der Unabhängigkeit hatte sie mehrere diplomatische Posten inne, unter anderem kam sie von 1992 bis 1996 als Botschafterin Namibias nach Deutschland. Nach ihrem Tod 2018 erhielt sie dort ein Staatsbegräbnis.

Schimming sei die ideale Patin für die Straße, argumentiert Christian Walther, einer der beiden Au­to­r*in­nen des Textes. „Sie ist eine Frau, sie ist nicht deutsch, sie hat im Bereich der deutsch-namibischen Beziehungen gearbeitet – all das hebt sie gegenüber bisherigen Vorschlägen heraus“, sagte er der taz am Montag. Bereits vor längerer Zeit hatte der Bezirk den Theologen und FU-Professor Helmut Gollwitzer als neuen Namensgeber für die Iltisstraße ins Gespräch gebracht, nach dem bereits das Institut für Evangelische Theologie benannt ist.

Nora Schimming

Foto: privat

Nora Schimming wäre demgegenüber eine Person, mit der der Bezug zur Kolonialgeschichte bei der Umbenennung erhalten bliebe – etwas, worauf auch Initiativen wie Berlin Postkolonial drängen, die sich seit Jahrzehnten für Umbenennungen von Straßen einsetzen, um so den Stadtraum zu „dekolonialisieren“. Sie argumentieren, dass ja gerade nicht Geschichte unsichtbar gemacht, sondern der Bezug erhalten werden sollte. An Iltis- und Lansstraße könnte man aus der Perspektive idealerweise eine Person des chinesischen Widerstands gegen die Kolonialmächte ehren.

Straßenumbenennung leicht gemacht

Seit 2020 ist es in Berlin leichter möglich, Straßen mit Bezug zur Kolonialgeschichte umzubenennen. Damals hat das Land das Straßengesetz um eine Ausführungsvorschrift erweitert, um neue Namen für Straßen zu ermöglichen, die nach „Wegbereitern und Verfechtern von Kolonialismus, Sklaverei und rassistisch-imperialistischen Ideologien“ benannt sind oder nach „in diesem Zusammenhang stehenden Orten, Sachen, Ereignissen, Organisationen, Symbolen, Begriffen“.

Zuvor waren solche Umbenennungen eigentlich nur vorgesehen für Namen, die „aktive Feinde der Demokratie“ aus der Zeit des Nationalsozialismus oder aus der DDR ehrten. Für die Zeit vor 1933 war eine Umbenennung theoretisch möglich, wenn der Name nach „heutigem Demokratieverständnis“ „negativ belastet“ sei und dem „Ansehen Berlins“ nachhaltig schade. Das Straßengesetz regelt zudem, dass Straßen verstärkt nach Frauen benannt werden sollen. Na­mens­ge­be­r*in­nen sollten zudem bereits fünf Jahre tot sein.

Seit der Ergänzung des Straßengesetzes ging es bei einigen Straßen sehr fix. Die Bezirke Neukölln und Charlottenburg-Wilmersdorf sind so ihre jeweiligen Wissmannstraßen losgeworden. Die erinnerten an den extrem gewalttätigen Reichskommissar Hermann von Wissmann, der den Widerstand im damaligen Deutsch-Ostafrika brutal niedergeschlagen ließ. Er gilt in seiner späteren Tätigkeit als Kolonialgouverneur als Mitverursacher des Maji-Maji-Kriegs, in dem mehr als 100.000 Menschen in Ostafrika starben. An beiden Straßen stellten die Bezirke außerdem Tafeln auf, mit denen sie über die Geschichte und den Hintergrund der Umbenennung informieren.

Die einstige Wissmannstraße in Neukölln heißt seit dem Frühjahr 2021 nach einer Politikerin aus Tansania Lucy-Lameck-Straße. Die in Grunewald ist seit Februar 2022 nach dem jüdischen Ehepaar Barasch benannt, das dort lebte. In beiden Fällen hingen nach dem offiziellen Beschluss des Bezirks auch tatsächlich die neuen Straßenschilder binnen kurzer Zeit ohne große Kontroverse. In Neukölln lag das wohl daran, dass es dem Bezirk gelang, die An­woh­ne­r*in­nen von vornherein eng mit einzubeziehen. In Charlottenburg-Wilmersdorf gab es laut Bezirk gar keine Klagen gegen die Umbenennung und kaum Widersprüche. Auch hier hatte im Vorfeld eine Veranstaltung stattgefunden, die An­woh­ne­r*in­nen und Interessierte über die Gründe zur Umbenennung informierte.

Wann die Iltis-, Taku- und Lansstraße neue Namen erhalten, ist schwer absehbar. Im Fall der Takustraße könnte das Verfahren wegen zahlreicher An­woh­ne­r*in­nen komplizierter werden, sagt Walther, der sich hier auch lediglich eine ergänzende Information vorstellen könnte. Für die Lansstraße kursiere seit Langem der Name Ernst Fraenkel, berichtet Walther: Der Politikwissenschaftler wurde als Jude und Sozialdemokrat von den Nazis vertrieben, kehrte nach dem Krieg nach Berlin zurück und wurde erster Direktor des John-F.-Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien. Walther sagt: „Das wäre eine überzeugende Wahl.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.