Sanktionen gegen Russland: Armes Land mit Atomwaffen

Der Westen wird den Wirtschaftskrieg gegen den Kreml gewinnen, aber nicht sofort. Er darf sich nur nicht von russischer Propaganda blenden lassen.

Illustration: eine ineinander verschlungene, recht marode aussehende Pipeline

Illustration: Katja Gendikova

Russland dreht den Gashahn ab, was Wirtschaftsminister Habeck vorwurfsvoll kommentierte: „Russland nutzt seine Macht, um uns zu erpressen.“ Das stimmt. Allerdings gilt diese Analyse auch umgekehrt. Die EU versucht ebenfalls, Russland ökonomisch maximal zu schaden, und hat daher drakonische Sanktionen verhängt. Der militärische Konflikt in der Ukraine ist auch ein Wirtschaftskrieg. Die Frage ist: Kann er überhaupt gewonnen werden? Und wenn ja, wer wird siegen?

Auf den ersten Blick wirkt es, als würde Russland die westlichen Sanktionen bestens über­stehen. Der Rubel hat zu einem sensationellen Höhenflug angesetzt; seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine hat er gegenüber dem Dollar um 20 Prozent zugelegt. Stell dir vor, es ist Krieg – und du wirst reicher.

Der Rubel wertet auf, weil Russland gigantische Exportüberschüsse einfährt – was ebenfalls dem Krieg zu verdanken ist. Energie wird weltweit knapp, sodass die Preise für Öl und Gas steigen. Russland exportiert zwar weniger Energie, weil es selbst den Gashahn abdreht – aber in der Summe hat es bisher für sein Öl und Gas fast doppelt so viel kassiert wie vor dem Krieg. Die russischen Devisenbestände könnten bis Jahresende um etwa 285 Milliarden Dollar steigen, schätzt der Finanzdienstleister Bloomberg.

Russland schwimmt also in ausländischem Geld. Aber wieder einmal zeigt sich, dass Devisen allein nicht viel nutzen. Denn die westlichen Sanktionen verhindern, dass die Russen munter auf den Weltmärkten einkaufen können. Gelegentlich dürfte es ihnen zwar gelingen, die begehrte Hochtechnologie über Drittstaaten und Mittelsmänner trotzdem zu erwerben. Doch diese Camouflage-Aktionen sind selten und teuer.

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Klar ist jedenfalls, dass die Russen eine Art „Zwangssparen“ praktizieren. Sie bunkern enorme Devisenmengen, weil sie im westlichen Ausland nicht viel kaufen können. So bleiben auch genug Dollar übrig, um auf den Finanzmärkten den Rubelkurs zu pflegen und den Eindruck zu erwecken, als würde die russische Wirtschaft geradezu bersten vor Kraft. Das wirkt im Westen. Die Süddeutsche Zeitung titelte über Putins Russland: „Überraschend starke Kriegswirtschaft“.

Selbst die russische Zentralbank gibt zu, dass es abwärts geht

Russland baut jedoch nur eine hübsche Fassade auf, denn die ökonomische Lage ist desaströs. Der Westen kann zufrieden sein: Seine Sanktionen sind eine extrem scharfe Waffe.

Selbst die russische Zentralbank gibt zu, dass es abwärtsgeht. In ihrer Juli-Prognose rechnet sie jetzt offiziell damit, dass die russische Wirtschaft in diesem Jahr um 4 bis 6 Prozent schrumpfen wird. Minus 6 Prozent mögen relativ harmlos klingen, allerdings ist der russischen Zentralbank nicht zu trauen. Seit Kriegsbeginn besteht ihre Rolle darin, verfehlten Optimismus zu verbreiten. In Russland ist aus dem Wirtschaftskrieg längst auch ein Informationskrieg geworden.

Jedenfalls lesen sich die Presseerklärungen der Zentralbank, als wären sie in einem Paralleluniversum entstanden. Putins Krieg in der Ukraine wird mit keinem einzigen Wort erwähnt, noch nicht einmal der erlaubte Begriff „Spezialoperation“ fällt. Stattdessen inszeniert die Zentralbank den Anschein makroökonomischer Normalität, indem sie von „Inflationserwartungen“ und „gedämpfter Konsumnachfrage“ schwadroniert. Der verbrecherische Angriff auf das Nachbarland wird in die harmlose Floskel gekleidet, dass „das externe Umfeld der russischen Wirtschaft weiterhin herausfordernd bleibt“.

Nun ist es keine Überraschung, dass eine Diktatur ihre eigenen Statistiken frisiert. Bemerkenswert ist jedoch, dass der Westen die russischen Einschätzungen einfach übernimmt. So wartete der Internationale Währungsfonds (IWF) am Dienstag ebenfalls mit der Prognose auf, dass die russische Wirtschaft in diesem Jahr nur um ganze 6 Prozent schrumpfen würde.

Der IWF hat allerdings mit dem Problem zu kämpfen, dass die russische Statistikbehörde seit Mai keinerlei belastbare Daten mehr veröffentlicht. So wird über Exporte und Importe eisern geschwiegen, damit der Westen nicht erkennen kann, ob die Sanktionen unterlaufen werden. Auch Zahlen zur einheimischen Produktion fehlen jetzt völlig, denn die letzten Erhebungen waren niederschmetternd. Im April 2022 wurden im Vergleich zum Vorjahr 85,4 Prozent weniger Autos hergestellt, bei Waschmaschinen waren es minus 59 Prozent, bei Fahrstühlen minus 48 Prozent und bei Kühlschränken minus 46 Prozent.

Putin kann nicht verhindern, dass der Kollaps der Handelsbeziehungen auch im Westen Datenspuren hinterlässt

Zur Not lässt es sich zwar auch ohne eine neue Waschmaschine leben, aber diese Zahlen illus­trieren das fundamentale Problem: Durch die Sanktionen sind 62 Prozent aller russischen Importe nicht mehr möglich, wie die US-amerikanische Denkfabrik Carnegie errechnet hat. Diese westlichen Vorprodukte werden aber benötigt, damit die russische Industrie überhaupt produzieren kann. Vor allem die Hochtechnologie fehlt nun.

Russland bemüht sich zwar, die Wucht der Sanktionen zu verheimlichen – aber Putin kann nicht verhindern, dass der Kollaps der Handelsbeziehungen auch im Westen Datenspuren hinterlässt. So meldete etwa das Statistische Bundesamt kürzlich, dass im Mai die deutschen Exporte nach Russland im Vergleich zum Vorjahr um 50,9 Prozent gesunken sind. Bei Autoteilen betrug das Minus sogar 96,2 Prozent.

Markant: Wie diese Exportdaten auch ausweisen, stiegen die deutschen Ausfuhren an Arzneien stark an – um satte 42,2 Prozent. Medizinische Produkte sind, schon aus humanitären Gründen, von Sanktionen ausgenommen. Aber es waren nicht etwa Impfstoffe, die zu Coronazeiten nach Russland gingen. Vakzine wurden überhaupt nicht gehandelt. Also lässt sich vermuten, dass die zusätzlichen Arzneimittel vor allem für die russischen Truppen in der Ukraine benötigt werden.

Putin versucht zwar geheim zu halten, wie viele seiner Soldaten inzwischen verwundet sind, sodass nur Schätzungen kursieren. Aus dem US-­Kongress war kürzlich zu hören, dass schon 75.000 der Kreml-Streitkräfte entweder tot oder verletzt sein sollen. Das mag übertrieben sein. Aber auch eine scheinbar harmlose Datenquelle wie die deutsche Exportstatistik legt nahe, dass die russischen Verluste erheblich sind.

Doch zurück zum Wirtschaftskrieg: Der Westen traut seinen eigenen Sanktionen nicht, weil sich hartnäckig die Sorge hält, dass Russland die Handelshemmnisse einfach umgehen könnte, indem es etwa in China einkauft. Doch dieser Ausweg ist ebenfalls versperrt. In diesem Jahr sind die chinesischen Exporte nach Russland um etwa 38 Prozent gefallen, wie den Zolldaten aus Peking zu entnehmen ist. Ein Grund ist ganz banal: Etwa die Hälfte aller Ausfuhren nach Russland wurde bisher von westlichen Konzernen produziert, die in China ansässig sind – und die sich nun an die Vorgaben ihrer Mutterkonzerne halten. Aber selbst rein chinesische Firmen wie etwa Huawei liefern jetzt weniger nach Russland, weil sie ihre weltweiten Absatzmärkte nicht gefährden wollen. Die South China Morning Post schrieb ganz offen, dass die Konzerne „sich davor hüten, in Kollision mit den westlichen Sanktionen zu geraten“.

Der Westen traut seinen eigenen Sanktionen nicht, aus Sorge vor China

Zudem könnte China das westliche Know-how gar nicht komplett ersetzen, selbst wenn es wollte. Unter anderem fehlt China jedes Wissen, wie sich Gas oder Öl fördern lassen, denn das Land besitzt keine eigenen Quellen und hat daher auch keine Bohrtechnik entwickelt. Umgekehrt muss Russland aber ständig neue Fördergebiete erschließen, wenn es seine Energieexporte aufrechterhalten will, weil die alten Quellen langsam versiegen. Für den Kreml ist es daher extrem bedrohlich, dass sich die westlichen Ölmultis wie Shell, BP oder Total nun aus Russland zurückgezogen haben. Ihr technisches Wissen lässt sich nicht anderswo kompensieren.

Für den Kreml schwierig ist auch die Luftfahrt, weil Langstreckenflugzeuge allein von Boeing und Airbus gebaut werden. Bekannlich ist Russland aber das weitaus größte Land der Erde und auf Flugverbindungen dringend angewiesen. Anfangs war der Westen optimistisch, dass der Flugbetrieb in Russland sofort zusammenbrechen würde, wenn keine Ersatzteile mehr ins Land gelangen und westliche Ingenieure die geleasten Maschinen nicht mehr warten dürfen. Doch diese Hoffnung hat sich noch nicht erfüllt. Der Flugbetrieb in Russland geht bisher weiter.

Denn die Sanktionen wirken durchaus paradox: Da russische Flugzeuge die meisten Ziele in der Welt nicht mehr ansteuern dürfen, stehen nun mehr als genug Maschinen zur Verfügung, um die inländischen Flüge abzuwickeln. Zudem gibt es noch den grauen Markt; für viel Geld und über Umwege lassen sich auch Ersatzteile via die Türkei oder Usbekistan beschaffen. Doch ist dies nur eine kurzfristige Lösung. Langfristig werden immer mehr Maschinen am Boden bleiben, weil die westliche Technik und Wartung fehlt.

Damit ist das entscheidende Wort gefallen: „langfristig“. Der Westen wird den Wirtschaftskrieg gegen den Kreml gewinnen, aber eben nicht sofort. Sanktionen können die Waffen nicht ersetzen, die die Ukraine jetzt so dringend braucht. Denn momentan ist Russland noch autark, wenn es darum geht, Krieg zu führen. Das Land besitzt Nahrungsmittel, Öl und Waffen.

Trotzdem sind die Sanktionen nicht überflüssig. Sie verhindern schon jetzt, dass Russland künftig die Mittel hat, um wieder aufzurüsten. Vor allem aber treiben sie den Preis hoch, den Russland für den Krieg in der Ukraine zu zahlen hat. Putin wird seinen Angriff nur beenden, wenn es sich für ihn lohnt. Wenn die russische Wirtschaft kollabiert, ist die Frage geklärt, was ein Anreiz sein könnte, zum Frieden zurückzukehren. Sollte Putin nämlich nicht einlenken, wird Russland zu einem zweiten Nordkorea. Ein ganz armes Land, das nur noch Atomwaffen besitzt.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

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