Long Covid überstanden: Endlich wieder peinlich

Nach Monaten mit Long Covid geht es der Tochter unserer Kolumnistin dank einer Blutwäsche endlich besser. Aus dem Kind ist inzwischen ein Teenager geworden.

Eine Hand serviert eine Kugel Eis in einer Waffel

Eis essen mit den Eltern ist für die 13-Jährige nicht mehr anstrengend – sondern nur noch peinlich Foto: Jens Kalaene/dpa

Unser Kind war zwölf, als es von Long Covid ins Bett gezwungen wurde. Jetzt, ein halbes Jahr später, ist plötzlich eine 13-jährige Teenagerin daraus wieder hervorgestiegen.

Übrigens war es keine zufällige Spontanheilung oder eine Standardleistung aus dem Kassenkatalog. Mit all unserer Kraft und der großen Hilfe vieler anderer Menschen mussten wir die Behandlung erkämpfen. Und hätte nicht ein mutiger Arzt den Heilversuch gewagt, würde unser Kind immer noch – so wie viele andere Menschen – im abgedunkelten Zimmer liegen und schon die Erschütterung als unerträglich empfinden, wenn sich nur jemand auf ihre Bettkante gesetzt hätte.

Bei vielen an Long Covid erkrankten Menschen findet man im Blut sogenannte Autoantikörper, die fälschlicherweise eigene Zellen angreifen. Olivia wurden mittels einer Blutwäsche alle dieser Antikörper aus dem Blut gefiltert. Es gibt eine ganze Reihe Autoimmunerkrankungen, die mit einer Blutwäsche behandelt werden. Das ist nichts Neues. Leider gibt es aber noch keine Studien, die die Wirksamkeit dieser Therapie bei Long Covid belegen.

In den Long-Covid-Ambulanzen ist die Behandlung nicht möglich. Dort wird zwar sehr umfangreich Diagnostik betrieben, aber eine Blutuntersuchung zum Beispiel auf Autoantikörper oder winzige Blutgerinnsel – die ebenfalls im Verdacht stehen, die Long-Covid-Symp­tome zu verursachen ­– gehören leider nicht dazu.

Wirklich schwer Betroffene können den Untersuchungsmarathon übrigens gar nicht durchstehen, oder sind danach ­– wie Olivia – endgültig bettlägerig. Und wenn am Ende der Strapazen die Diagnose Long Covid oder Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS) folgt, jedoch keinerlei Therapie außer dem Ratschlag sich unbedingt zu schonen, dann hat man noch Glück gehabt, dass man nicht an eine Ambulanz geraten ist, die einem sagt, man habe nur ein Psycho-Problem und sollte mehr Sport machen.

Die Auferstehung

Wer psychisch noch keine Probleme hatte, bekommt sie spätestens dann. Auch an unserer Tochter kann es nicht spurlos vorbeigegangen sein, in der Phase, in der sie sich eigentlich radikal ablösen sollte, wie ein Baby gefüttert zu werden und den Po abgewischt zu bekommen. Dass wir uns trotz allem in dieser schweren Zeit so gut verstanden haben, hat mich sehr erfreut. Die Psychologin hat es dagegen sehr beunruhigt.

Seit der Blutwäsche hat sich Olivias Zustand erst langsam, dann rasend schnell verbessert. Ich wollte all die Monate nur eines – nämlich mein gesundes Kind zurück. Nun habe ich zwar stattdessen eine Jugendliche bekommen, aber damit bin ich auch mehr als zufrieden.

Nach ihrer Auferstehung ist Olivia plötzlich fast so groß wie ich. Auch sie selbst steht fassungslos vor dem Spiegel und muss mit Veränderungen umgehen, die man eigentlich ganz langsam vor sich gehen sieht. Ich könnte jetzt eigentlich von früh bis spät glücklich sein, aber unsere Tochter muss ein halbes Jahr Pubertät nachholen, das schließt sich wenigstens teilweise aus.

Neulich haben mein Mann und ich mit ihr im Rollstuhl unseren ersten Spaziergang zur Eisdiele ins Dorf gefeiert. Olivia hatte sich riesig darauf gefreut und auch Matthias und ich waren bestens aufgelegt und ­– zugegeben – etwas albern drauf. Bald merkte ich, dass es Olivia schlecht ging. Ich fragte besorgt, ob es ihr doch zu viel sei oder sie wieder Kopfschmerzen habe.

Es stellte sich aber heraus, dass ihr vor den anderen Leuten einfach alles schrecklich peinlich war. Ich hatte vollstes Verständnis dafür. Wie schwierig muss es sein, mit 13 Jahren plötzlich im Rollstuhl zu sitzen. Erst als mich Olivia mit den Worten „Ach Quatsch Mama, IHR seid peinlich!“ anzickte, habe ich begriffen: Endlich ist es wieder so, wie es sein soll, endlich sind wir wieder peinlich! YES!

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Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de

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