Gärtnern in der Pandemie: Jenseits des eigenen Blumenkastens

Corona trieb Menschen an die frische Luft, Gärtnern wurde zum Trend. Doch das Hobby ist mehr als Entspannung – es berührt auch soziale Fragen.

Ein Gartezwerg mit erhobener Faust steht in einem Garten

Alternativer Anbau interessiert nicht nur klimabewusste Menschen, sondern auch extrem Rechte Foto: imago

Ob zum Joggen, Spazieren oder Waldbaden – durch Corona war draußen plötzlich gezwungenermaßen das neue Drinnen. Eine weitere Aktivität, die viele für sich (wieder)entdeckten, war das Gärtnern. Über Jahre eher als Rent­ne­r:in­nen­tä­tig­keit oder Ökohobby wahrgenommen, liegt das Werkeln im Garten jetzt voll im Trend. Im ersten Pandemiejahr wurden laut Industrieverband Garten in Gartencentern, Heimwerkermärkten und anderen Betrieben rund ums Draußen Rekordzuwächse von mehr als 10 Prozent verzeichnet, und auch im Folgejahr blieben Einbrüche weitestgehend aus. Insgesamt beträgt der Umsatz in diesem Markt seit dem Jahr 2020 über 20 Milliarden Euro. Die Langeweile während der Zeit geschlossener Clubs und Geschäfte befeuerte scheinbar den Hang zur grünen Alternative. Doch was bewegt so viele Menschen dazu, sich gerade dem Gärtnern als Beschäftigung zu widmen?

Bei einigen lag die Motivation sicher in der Verschönerung des eigenen Umfelds, wo man neuerdings mehr Zeit verbrachte – ein paar Blumen oder der ein oder andere frische Salat auf dem Balkon heben die Stimmung. Doch weit über den eigenen Blumenkasten hinaus berührt das Gärtnern auch allerhand soziale Fragen und kann zur Protestform werden.

Wirft man einen Blick auf den Büchermarkt, hat man den Eindruck, dass vermehrt Ratgeber für einen nachhaltigen, umweltverträglichen Gemüseanbau erscheinen. Da lernt man, wie man Hochbeete baut, welche Gemüsepflanzen am besten nebeneinander wachsen und was einen guten Kompost ausmacht. Der Rosengarten mit englischem Rasen scheint zum Relikt der Vergangenheit zu werden. Das Buchhandelsunternehmen Thalia bestätigt auf Nachfrage der taz, dass die Nachfrage im Segment Gartenliteratur aktuell eher in Richtung Nutzgarten und Gemüseanbau geht. Ein schöner Garten soll auch ein nützlicher Garten sein. Und das in mehrfachem Sinn: nützlich für die Menschen, aber auch für die Umwelt.

Der Garten als Gestaltungsraum

Die Klimakrise führt uns vor Augen, wie abhängig der Mensch von der Natur ist und welche Folgen sein Handeln hat. Gesellschaftliche Bewegungen wie Extinction Rebellion oder Fridays for Future belegen, dass gerade auch junge Menschen mehr Eigenverantwortung übernehmen und selbst etwas bewegen wollen. Der Garten bietet sich dabei als Gestaltungsraum an, liefert er doch quasi im Kleinen Antworten auf die ganz großen Fragen vom Umgang des Menschen mit der Natur. Lebensmittel können ohne die Ausbeutung von Ar­bei­te­r:in­nen und Ökosystemen angebaut werden, und noch dazu entstehen Lebensräume für Tiere, die in Schottergärten und auf versiegelten Industrieflächen immer weniger Platz finden.

Um das zu erreichen, setzen sich Gartenbegeisterte mit alternativen Methoden der Garten- oder Balkongestaltung auseinander. Denn die Klimakrise zeigt auch: Es bedarf eines Umdenkens, wenn trotz anhaltender Trockenperioden und Starkniederschlägen die Gurken nicht vertrocknen und die Kartoffeln nicht faulen sollen. Methoden wie die sogenannte Permakultur, bei der natürliche Ökosysteme und Kreisläufe nachgeahmt werden, können Antworten bieten. Hier werden beispielsweise Anbauflächen dick mit Pflanzenmaterial wie Heu bedeckt, damit der Boden nicht austrocknet und mit neuen Nährstoffen versorgt wird – eben ganz wie in der Natur, wo der Baum mit seinen alten Blättern den Boden bedeckt.

Ein egal wie kleines Stück Land umweltverträglich zu bewirtschaften und zu gestalten setzt also auch ein Zeichen gegen riesige Monokulturen, gegen Bodendegradation und Überdüngung. So finden wohl durch die Relevanz der Klimakrise auch zunehmend wieder junge Generationen zum Garten. Die Permakultur-Akademie im Alpenraum (PIA) etwa bestätigt diese Entwicklung gegenüber der taz und kann sich insgesamt über regen Zulauf freuen. Allein seit der Coronapandemie, so eine Sprecherin, habe die Nachfrage nach Kursen um geschätzte 50 Prozent zugenommen. Interessierte lernen dort, wie man naturverträglich Gemüse anbaut, den Boden verbessert oder eigenes Saatgut gewinnt.

Gesenktes Stresslevel

Womöglich verschaffen auch Gefühle der Unsicherheit dem Gärtnern neuen Aufschwung. Ob nun Pandemie, Klimakrise oder Krieg in Europa – angesichts all dessen kann es beruhigend sein, die absehbaren Prozesse der Natur zu beobachten: Der Samen kommt in die Erde und entwickelt sich bei richtiger Pflege zuverlässig weiter zu einer hübschen und/oder schmackhaften Pflanze. Man kann den Wachstumsprozess beobachten, die Ergebnisse sind messbar und erfordern zugleich eine gewisse Geduld. Niederländische Forscherinnen konnten belegen, dass die Arbeit im Garten das Level des Stresshormons Cortisol besser zu senken vermag als das Lesen eines Buchs.

Damit bietet das Graben und Säen auch eine perfekte Möglichkeit zur viel beschworenen Entschleunigung. Die konstante Überfrachtung mit Nachrichten aus der Online- und Offlinewelt führt bei vielen Menschen zum Wunsch nach einem (zumindest zeitweisen) Ausstieg. Dazu kommen die vermehrten Stunden im Homeoffice. Die Onlinezeit hat sich während der Pandemie noch einmal ordentlich verlängert, doch knapp ein Zehntel der Nut­ze­r:in­nen möchte laut Branchenverband Bitkom ganz bewusst weniger Zeit im Internet verbringen.

Die Arbeit mit den Händen im Freien bietet einen Ausgleich. Und wer nicht gerade einen Garten-Instagram-­Account hat, lässt das Smartphone ­währenddessen vielleicht sogar einmal in der Wohnung liegen. Im Ge­gensatz zur sportlichen Betätigung zählt beim Gärtnern auch weniger der Leistungsgedanke. Natürlich können die prall gefüllten Erntekörbe und bunten Blumenwiesen der In­fluen­cer:innen Frus­tra­tion und Neid wecken, doch am Ende ist die Natur Königin; was gelingt und was nicht, hängt immer von ihrem Einfluss ab, nicht nur vom eigenen.

Gärtnern muss für alle sein

Besonders wenn der Garten aber nicht nur Entspannungsort, sondern auch Radius für gesellschaftliche Alternativen sein soll, bleibt die Frage des Privilegs. Wer hat schon das Glück, ein Stück Land sein Eigen zu nennen oder zumindest nutzen zu dürfen? In der Stadt ist schon der (bepflanzbare) Balkon für viele ein unerfüllter Traum. Zum Glück haben sich in den letzten Jahren diverse gemeinschaftliche ­Gartenprojekte gerade auch im urbanen Raum etabliert. Wer sich hier engagiert, kann nicht nur mitarbeiten, sondern auch ernten. Auch verraten zahlreiche Ratgeber, wie sich noch auf dem kleinsten Balkon oder im (zumindest etwas sonnigen) Hinterhof in Kübeln, Wannen und Säcken Gemüse anbauen lässt.

Gänzlich unbelastet von Vorurteilen und Privilegien ist das Gärtnern dennoch nicht. Ein Berliner Kleingartenverein verweigerte im Jahr 2016 mehreren Personen das Pachten eines Gartens mit der Begründung, man wolle keine weiteren Mi­gran­t:in­nen aufnehmen. Ähnliche Vorfälle sind auch aus anderen Städten bekannt, etwa aus Kiel, Wittenberg und Dessau-Roßlau. Angeführt wird der Verdacht, Mi­gran­t:in­nen würden die Regeln der Kleingartenanlage nicht einhalten, was Unfrieden mit der Nachbarschaft nach sich ziehen würde.

Völlig unabhängig von vermeintlichen Geschehnissen, auf die sich die Vereine dabei berufen, wird in einer dem Rassismus stets innewohnenden Pauschalität das Vorurteil vom nicht integrationsfähigen Ausländer bedient. Derartige Haltungen und Handlungen haben freilich nichts mit dem Gärtnern als solchem zu tun. Doch sie berauben bestimmte Menschen des Zugangs zu nutzbarer Anbaufläche, der anderen eher offensteht.

Ein weiteres Problem, mit dem sich gerade alternative Anbaubewegungen konfrontiert sehen, ist das Interesse extrem rechter Milieus wie völkischer Siedlungsbewegungen oder Reichs­bür­ge­r:in­nen an ihrer Arbeit. Dieses Einflusses sind sich Verbände und Einrichtungen mittlerweile verstärkt bewusst und versuchen durch Überprüfung der Mitgliedschaften und Aufklärung gegenzusteuern.

Abgesehen vom ungleichen Zugang zu Gartenflächen steht die Gartenarbeit jungen wie alten Menschen unterschiedlicher Geschlechter und verschiedener körperlicher Fähigkeiten offen. Das unterscheidet sie von tradi­tio­nell gendergenormten Aktivitäten wie bestimmten Sportarten, wenngleich in den eher konservativ bearbeiteten Gärten das Rasenmähen noch immer oft Männersache ist und die Frau eher Unkraut jätet.

Glücklicherweise zeichnet sich dabei mit dem verstärkten Hang zu alternativen und umweltbewussten Methoden ein Wandel ab. Das neue Gärtnern muss für alle da sein, wenn es nicht nur Entspannung, sondern auch gesellschaftliche Alternative sein soll.

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