Deutschland und die Bundeswehr: Steffi schützt das Vaterland?

Unser Autor war immer gegen die Bundeswehr, wie alle seine Freund:innen. Aber er ist unsicher, ob er sich diese Haltung noch leisten kann.

Demonstrierende Menschen gehen an einem Zaun entang, sie tragen ein Plakat mit der Aufschrift "Stoppt den Krieg. Frieden für die Ukraine und ganz Europa"

April 2022, Ostermarsch am Fliegerhorst Büchel. Hier arbeitet Steffi als Ausbilderin Foto: Thomas Frey/dpa

Mehr als die Hälfte der Mitglieder meiner weit verzweigten Großfamilie besteht aus Lehrer:innen. Wenn da mal wieder Jüngeren, die etwas Anderes mit ihrem Leben anfangen wollen, Skepsis entgegengebracht wird, geht mir das stets ein wenig auf die Nerven. Doch bei einem Familienmitglied konnte ich mich selbst nie von dieser Skepsis gegenüber dem Anderen befreien: bei meiner Großgroßcousine Steffi, Hauptfeldwebel bei der Bundeswehr.

Steffi heißt eigentlich anders. Sie ist 37, ich bin 25. Mindestens einmal im Jahr sehen wir uns beim traditionellen Familientreffen und ich mag es, ihr zuzuhören, wenn sie mit Leidenschaft und Empathie über sich und die Verwandtschaft spricht. Wenn sie aber auf die gleiche Weise von ihrem Job erzählt, schalte ich innerlich ab.

Es gibt nachvollziehbare Gründe, die Bundeswehr abzulehnen oder ihr gegenüber mindestens skeptisch zu sein: ihre Entstehungsgeschichte, Militarismus an sich und die sich häufenden Berichte über rechte Strukturen, zum Beispiel. Ich selbst war auch deswegen gegen die Bundeswehr, weil es in meinem Freundeskreis eben alle waren. Und ich finde es unvorstellbar, wie jemand tagein, tagaus in Uniform herumstiefeln und Befehle empfangen kann, und das freiwillig. Falls es ihr um Autoritätsliebe oder ein sicheres Gehalt ginge, hätte Steffi sich doch auch wie die anderen aus der Familie einfach verbeamten lassen können – dachte ich mir.

Beim letzten Familientreffen im Mai war das anders. Da habe ich Steffi am Ende gefragt, ob sie mir ihre Arbeitsstelle zeigen würde. Vielleicht aus Unbehagen, sie immer etwas belächelt zu haben, während jetzt gar nicht weit von Berlin entfernt Bomben in Europa fallen und der Gedanke, eine Verteidigungsarmee zu haben, doch nicht der allerschlechteste ist. Vor allem aber, weil es mir immer noch schwerfällt zu verstehen, wieso sich Steffi damals mit 21 Jahren aus ihrem Job als freiberufliche Personal-Trainerin für den Wehrdienst später für eine Verpflichtung und – damit nicht genug – für Auslandseinsätze beworben hatte, „um Deutschland zu verteidigen“.

„Viele wissen nicht, was wir hier tun“

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Als ich einige Wochen später ihr Haus in der Eifel erreiche, wartet sie bereits vor der Eingangstür. Wir umarmen uns. Sie fährt sich durch die krausen rotblonden Haare und bedeutet mir, ins Auto zu steigen. Wir wollen zu ihrer Dienststelle fahren.

Steffi ist Ausbilderin kämpfender Soldaten im Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz. Ein Nato-Stützpunkt und wichtiger Standort des Bünd­nisflugverkehrs, auf dem bald die neuen, hochmodernen amerikanischen F-35-Kampfjets stationiert werden. Außerdem lagern hier offenbar die letzten US-amerikanischen Atomwaffen in Deutschland, weswegen sich oft Ak­ti­vis­t:in­nen aus der ganzen Welt vor dem Stützpunkt versammeln.

„Hallo Rüdiger“, ruft Steffi aus dem Autofenster. Ein Mann mit grauen langen Haaren und Basecap winkt fröhlich zurück und reckt danach wieder ein Schild in die Höhe, von dem ich nur die Rückseite erkenne. Neben Rüdiger sitzt noch eine ältere Frau, deren Plakat „Atomwaffen abschaffen!“ fordert. Es sind die einzigen Pro­testierenden an diesem Nachmittag. Für den nächsten Monat haben sich jedoch wieder Hunderte von De­mons­tran­t:in­nen angekündigt, um gut eine Woche vor dem Zaun des Stützpunktes zu kampieren.

„Viele wissen überhaupt nicht, was wir hier tun“, sagt Steffi, während sie auf eine Wiese zeigt, auf der Plakate und Friedenskreuze von hohem Gras umwachsen mahnend vor dem Fliegerhorst ausharren. „Als unweit von hier die Flutkatastrophe wütete und wir helfen mussten, da haben wir Respekt bekommen. Auch als die Impfkampagne gegen das Coronavirus durch Aushilfen der Bundeswehr vorangetrieben wurde. Aber dass mein Job eigentlich darin besteht, auch das Leben dieser Aktivisten zu verteidigen, die mich jeden Tag bei der Arbeit stören, machen sich die Leute nicht bewusst ­– und das ist das Problem: Die meisten haben keine Ahnung, wie wichtig die Bundeswehr ist.“

Mittelfinger für den Militärkonvoi

Auf der Hinfahrt habe ich einen Podcast des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften gehört, bei dem eine vom selben Zentrum durchgeführte Studie zum Ansehen der Bundeswehr in der Gesellschaft ausgewertet wurde. Für mich war überraschend, dass 76 Prozent der Deutschen eine positive Grundhaltung gegenüber der Bundeswehr haben. 71 Prozent sehen sie sogar als wichtigen Teil der Gesellschaft. Die Studie stammt aus dem Jahr 2019.

Im selben Jahr fuhr ich im Sommer mit Freun­d:in­nen ohne Gedanken an Pandemie oder Krieg auf der Autobahn an einem Militärkonvoi vorbei, streckte diesem meinen Mittelfinger entgegen, brach danach in einen Wutmonolog über den „Scheißladen Bundeswehr“ aus und sehnte dessen Beseitigung herbei, unter breiter Zustimmung meiner Freun­d:in­nen.

Steffi führt mich über die Wiesen vor der Kaserne zu weiteren Protestobjekten, die Ak­ti­vis­t:in­nen über die letzten Monate und Jahre aufgestellt haben, sowie zu einem kleinen heruntergekommenen Gebäude, das sie als Versammlungsort nutzten, bis die Bundeswehr es vor Kurzem kaufte, um dies künftig zu unterbinden. Von der Pressestelle der Bundeswehr wurde mir untersagt, die Kaserne zusammen mit Steffi zu besuchen und darüber zu schreiben.

Die Ak­ti­vis­t:in­nen winken uns noch einmal zu. Steffi fällt in Zivilkleidung nicht auf. Im Dienst verschwindet ihre Lockenmähne unter einer Mütze, tarnfarben wie auch der Rest ihrer Arbeitskleidung, die ihre Trä­ge­r:in­nen in meiner Wahrnehmung weniger wie Menschen wirken lässt.

„Hast du manchmal Sorge, deine Uniform in der Öffentlichkeit zu tragen?“, frage ich, als wir wieder im Auto sitzen.

„Wie meinst du das?“, entgegnet sie. „Ich habe sie nur ausgezogen, weil ich wegen dir früher Feierabend gemacht habe und jetzt nicht von Kollegen entdeckt werden will.“

„Also, ich will ja auch nicht sagen, dass man sich überhaupt verstecken müsste“, stottere ich.

Schweigen.

Eid und Volk und Vaterland

„Eigentlich frage ich mich, wieso du dich als junger Mensch, während so viele vor allem Freiheit wollen, ausgerechnet für die Bundeswehr entschieden hast“, sage ich endlich.

„Weil mir klar wurde, dass Freiheit nur mit Regeln funktioniert.“

„Und natürlich durch Befehle …“

„Aron, es ist für dich vielleicht schwer verständlich, aber unser Befehls­ton entsteht aus der Gefechtssituation – da bleibt für ‚Bitte‘ und ‚Danke‘ einfach kein Platz“, sagt Steffi und zwinkert mir zu.

Am späten Nachmittag sitzen wir in Steffis Garten vor ihrem Holzhaus. In einer Hand hält sie ein Glas Bier, in der anderen eine Zigarette. „Durch die Bundeswehr weiß ich endlich, wer ich bin“, sagt sie irgendwann. „Ich bin angekommen, und ich kann sagen, dass ich jeden Tag mit Freude aufstehe und weiß, dass ich das Richtige tue.“

„Aber was soll das sein – das Richtige?“, frage ich.

„Ich habe einen Eid abgelegt, dass ich jederzeit bereit bin, unser Vaterland und das Volk zu schützen. Und dass das richtig ist. Auch wenn das Volk es nicht immer sieht“, sagt sie, und irgendwie scheint es mir, als wollte sie damit genau mich ansprechen.

Das Volk schützen – was soll das in der Praxis überhaupt heißen? Etwa: Steffi und ihre Sol­da­t:in­nen würden im Notfall ihr Leben riskieren, damit ich weiterhin in Ruhe in meinem Berliner Lieblingscafé frühstücken kann. Trotzdem käme es mir nicht in den Sinn, wie es zum Beispiel in den USA üblich ist, einem Soldaten auf offener Straße „Danke für Ihren Dienst!“ zuzurufen. Ich wüsste einfach nicht, wofür.

In Steffis Küche hängt ein Foto ihres Ehemanns und ihres gemeinsamen Sohnes, der in diesem Jahr eingeschult wird. Ihr Mann ist ebenfalls in Büchel als Leutnant stationiert.

„Würdest du trotz deiner Familie in den Auslandseinsatz gehen?“, frage ich.

„Ich habe mich noch einmal für Mali beworben“, sagt Steffi. „Ich will wirklich in eine Krisenregion, darauf habe ich mich schließlich vorbereitet.“

„Aber hast du keine Angst, nie wieder zurückzukommen und deine Familie zurückzulassen?“

Sie legt den Kopf schief. „Das ist nun mal das Risiko, dafür habe ich mich entschieden. Außerdem schickt die Bundeswehr doch nicht irgendwen in den Einsatz. Ich bin schließlich bestens ausgebildet.“

Ist raushalten noch okay?

In der Abenddämmerung fahre ich nach Hause und sehe den Fliegerhorst in der Ferne. Den Nato-Stützpunkt, Steffis Arbeitsplatz. „Ich bin bestens ausgebildet“ – wenn ich ehrlich bin, will ich gar nicht genau wissen, wofür. Aber kann ich mich da weiterhin rausziehen? Hat das alles nicht doch mehr mit mir zu tun, als ich denke? Ich stelle mir einen Auslandseinsatz vor, sehe mich, wie ich plötzlich in viel zu weiter Uniform mit zu schwerem Sturmgewehr in irgendeine staubige Kriegslandschaft geschickt werde. Aus meinem Alltag gerissen – wie die mobilisierten Männer aus der Ukraine. Absurd, natürlich. Oder?

Etwas in mir sträubt sich weiterhin gegen Steffis Aussage, dass sie gerade für solche Ernstfälle Menschen ausbildet und bei der Bundeswehr arbeitet, damit mir so etwas notfalls erspart bleiben kann. Und dieses Etwas in mir will auch, dass es bitte schön weiterhin normal ist, dass kaum jemand wirklich weiß, wo die Bundeswehr gerade eingesetzt wird. Das war doch bis vor Kurzem noch völlig okay, zumindest in meinem Freundeskreis!

Aber: Globale Ungewissheiten und Kriege machen auch mir immer mehr Angst. Es war angenehm, einfach zu glauben, ich könnte oder müsste mich aus diesen Fragen heraushalten. Aber vielleicht funktioniert das jetzt nicht mehr.

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