Regierungskrise in Großbritannien: Die Stunde der Opposition?

Labour-Chef Keir Starmer hätte nach Boris Johnsons Rücktritt eine Chance, sich zu profilieren. Doch sein eigener Posten könnte bald wackeln.

Keir Starmer steht im Parlament am Rednerpult

Keir Starmer, Vorsitzender der Labour-Partei, am 22.06.2022 im britischen Unterhaus Foto: Jessica Taylor/ap

BERLIN taz | Endlich sei auch Boris Johnsons eigene Partei zu dem Schluss gekommen, dass er als Premier ungeeignet sei, äußerte am Donnerstag Oppositionsführer Keir Starmer und schickte gleich noch eine Drohung hinterher: Sollte Johnson, wie von ihm angekündigt, noch so lange im Amt bleiben wollen, bis die Konservativen seine Nachfolge geklärt hätten, würde Labour im Unterhaus ein Misstrauensvotum gegen die Regierung anstrengen. Unwahrscheinlich, dass das in der mit einer satten Mehrheit von 86 Sitzen ausgestatteten Tory-Fraktion Eindruck macht.

Bei der wöchentlichen Fragestunde des Premierministers hatte Starmer manchen konservativen Politiker durchaus erblassen lassen. Da war der Labour-Chef wieder in die Rolle geschlüpft, die er am besten kann: in die eines Staatsanwalts. Akribisch sezierte er die Lügengespinste Johnsons im Fall der Anschuldigungen sexualisierter Gewalt gegen den Abgeordneten Chris Pincher.

Und da Starmers Rede ein paar gut sitzende Punchlines aufwies, stieß sie auch bei Kommentatoren auf Wohlwollen, die ihn sonst als anständigen und fleißiger Politiker einstufen, aber auch als farblos. Seine An­hän­ge­r*in­nen sind dagegen überzeugt, dass Starmers Ruf des verlässlichen Langweilers bisher den bestmöglichen Kontrast zur losen Kanone Johnson bot.

2020 wurde Starmer mit großer Mehrheit an die Parteispitze gewählt, auch, weil es zunächst nicht danach aussah, dass er sich von der sozialen und wirtschaftlichen Agenda seines Vorgängers Jeremy Corbyn verabschieden würde. Schließlich diente er selbst in Corbyns Schattenkabinett als Brexit-Minister. Doch seine Personalpolitik sprach schnell eine andere Sprache: Mit dem scharfen Schwert des Antisemitismusvorwurfs ließ er Corbyn aus der Fraktion ausschließen und säuberte die Vorderbänke der Fraktion von Mitgliedern des linken Flügels.

Doch blieb ein Rätsel, welche politische Vision der als sogenannter Soft-Linker geltende Parteichef verfolgte. In Sachen Brexit herrscht nun mehr Klarheit: Starmer schließt aus, dass es mit einer Labour-Regierung eine Rückkehr in die EU geben werde, auch keinen Wiedereinstieg in Binnenmarkt und Zollunion. Und das aus dem Munde des einst vehementen Befürworters eines Verbleibs in der EU, der die Partei gegen ihren damaligen Chef auf ein Ja zu einem zweiten Brexit-Referendum einschwor.

Aus dieser Position heraus bei der nächsten Wahl die Tory-Mehrheit überwinden – das geben die Umfrageergebnisse nicht her. Mit Starmer an der Spitze ist aber auch der Graben zwischen Labour und den Liberaldemokraten kleiner geworden. Letztere sind in vielen Wahlkreisen stärkster Widersacher der Konservativen. Und viele Wäh­le­r*in­nen wünschen sich eine progressive Anti-Tory-Allianz. Sie sind dazu bereit, das Kreuzchen bei der jeweils aussichtsreicheren Oppositionspartei zu machen. Noch gibt es keine offiziellen Absprachen zwischen Starmer und Ed Davey, dem Chef der Liberaldemokraten.

Bevor es zu einer solchen Koalition kommt, könnte der jetzige Labour-Chef aber schon wieder Geschichte sein. Während der Partygate-Affäre Johnsons war ein Video aufgetaucht, das Starmer während des Lockdowns mit Kollegen beim Biertrinken und Pizzaessen im Labour-Büro von Durham zeigt. Die örtliche Polizei ermittelt nun. Um Johnson als besonders ruchlos dastehen zu lassen, hatte Starmer seinen Rücktritt zugesagt, sollte er wegen Brechens der Lockdownregeln eine Geldstrafe aufgebrummt bekommen. So mancher Kommentator schüttelte da wieder den Kopf über so viel Anständigkeit.

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