Jahrestag des Stauffenberg-Attentats: Ambivalenz aushalten

Erneut wird über die Motive der Umsturzgruppe um Graf Stauffenberg debattiert. Es zeigt, welche Leerstellen die Widerstandsgeschichte noch aufweist.

Büste von Claus Schenk Graf von Stauffenberg, in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Büste von Claus Schenk Graf von Stauffenberg, in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Foto: Winfried Rothermel/imago

Immer wieder liest man am 20. Juli von Mut, von Widerstand, dem Kampf gegen das nationalsozialistische Regime und vom Eintreten für Demokratie. So auch in diesem Jahr, 78 Jahre nach dem 20. Juli 1944. Es sind Wörter und Formulierungen, die im Zusammenhang mit dem gescheiterten Attentat auf Hitler durch die Verschwörergruppe um Graf Claus Schenk von Stauffenberg fallen.

Unser Kanzler zum Beispiel twitterte am Jahrestag: „Heute vor 78 Jahren haben die Frauen und Männer um Oberst #Stauffenberg ihr Leben riskiert, um Hitlers Regime zu stürzen. Ich bewundere ihren Mut und den all derer, die sich den Nazis entgegenstellten. Ihr Opfer verpflichtet uns, stets für die Demokratie einzustehen.“ In ähnlichem Ton formulierten auch Politiker wie Friedrich Merz oder die CDU und AfD ihre Tweets. Besonders die Worte von Olaf Scholz haben eine alte Debatte über die Person Stauffenberg ausgelöst: Ist die Glorifizierung von Stauffenberg und seinen Anhängern legitim? Ist er und sind die Verschwörer des 20. Juli Helden?

Was in dieser Debatte oftmals nicht gelingt, ist, zwei Dinge gleichzeitig zu besprechen und anzuerkennen. Einerseits, dass das versuchte Attentat auf Hitler sicherlich Mut erforderte. Das kann man anerkennen. Andererseits, dass, um als Held verehrt zu werden, Stauffenberg einiges fehlt. Unmittelbar nach Kriegsbeginn 1939 schrieb Stauffenberg über seine ersten Eindrücke in Polen an seine Frau: „Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt.“

Mindestens ein Beleg dafür, dass Stauffenberg die Rassenpolitik der Nationalsozialisten nicht ablehnte. Ein Freund der Juden war er also eindeutig nicht. Belegt ist ebenso, dass zahlreiche Mitglieder des militärischen Widerstands um Stauffenberg Antisemiten waren. Manche von ihnen wie Wolf-Heinrich von Helldorff waren aktiv an der Entrechtung von Juden beteiligt. Der Antisemitismus der Nationalsozialisten, so viel ist klar, war nicht das zentrale Motiv, das Attentat auf Hitler durchzuführen. Die Frage danach, mit welcher Intention Stauffenberg und seine Anhänger gehandelt haben, ist im Hier und Jetzt aber nicht unerheblich.

Die vermeintlichen Helden

Sicherlich, man muss alle Verschwörer des 20. Juli differenziert betrachten. Weniger bekannt ist nämlich, dass sich auch Gewerkschafter und Sozialdemokraten gegen Hitler stellten und ihr Leben als Teil der Gruppe riskierten. Aufräumen muss man dennoch mit der heutigen Inszenierung des 20. Juli als heroischen Kampfes für die Demokratie.

Wie das politische System nach dem Umsturz aussehen sollte, war noch nicht klar. Für die anderen Mitglieder der Gruppe, Konservative, Monarchisten, Militärs, ging es nämlich vordergründig nicht um Demokratie. Ausschlaggebend für die Empörung vieler Verschwörer des 20. Juli war die Angst vor einer Niederlage im Krieg und der Verlust einer Vormachtstellung Deutschlands. Ein Großteil des 20. Juli hatte sich lange Zeit nicht am nationalsozialistischen Regime gestört. Diese Menschen mussten erst zur Besinnung gebracht werden. Was sagt das über vermeintliche Helden aus?

Bemerkenswert ist ja, wie sich das deutsche Verhältnis zu Stauffenberg in den vergangenen 78 Jahren gewandelt hat. Die Widerstandsgeschichte brauchte nämlich lange, bis sie einen festen Platz in Deutschland hatte. Dass es Widerstand gegen Hitler gab, wurde im Nachkriegsdeutschland zunächst nicht anerkannt. In vielen Teilen der Bevölkerung wollte man nichts davon wissen. Denn anzuerkennen, dass es widerständige Deutsche gegeben hat, hätte für die noch lebende Kriegsgeneration bedeutet, sich einzugestehen, dass man selbst nicht aktiv gegen das Regime gekämpft hat. Das eigene Versagen wäre somit sichtbar geworden. So schaffte man es nicht nur den Widerstand unsichtbar zu machen, sondern auch die eigene Täterschaft zu verdrängen.

Die Geschichte des Widerstands bleibt so wichtig

Man muss sich vor Augen halten, welche Grundhaltung in Deutschland der Fünfziger-, Sechziger- und auch Siebzigerjahre vorherrschte: Die Deutschen verstanden sich nicht als Täter, sondern als Opfer der Geschichte. Verführte vom bösen Hitler, die vom Führer missbraucht worden und an der Front gefallen waren. Am Ende hatten die bösen Alliierten auch noch ihre schönen Städte bombardiert. Diese gefühlte Opferschaft wirkt bis heute nach und hat zur Folge, dass in vielen deutschen Familien versäumt wurde, die eigene Tätergeschichte aufzuarbeiten. Jeder fünfte Deutsche glaubt eben nicht ohne Grund auch heute noch, dass seine Vorfahren zur Zeit des Nationalsozialismus Jüdinnen und Juden oder anderen Verfolgten geholfen hätten.

Zu den Nachfolgegenera­tio­nen der Deutschen passen Stauffenberg und Co. deshalb ja ganz gut: Sie entlasten wieder das Gewissen. Bis heute symbolisieren der 20. Juli, die Weiße Rose oder der Kreisauer Kreis für viele Mehrheitsdeutsche den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Dabei hat der Widerstand viel mehr Gesichter: Jüdischer Widerstand, Gewerkschaften, kommunistischer Widerstand, Frauen im Widerstand, Partisanen, sie alle tauchen kaum auf, über sie wird wenig erzählt.

Es bleibt deshalb so wichtig, die Geschichte des Widerstands – aber auch des ausbleibenden Widerstands einer Mehrheit der Deutschen – heute und in Zukunft so unmissverständlich wie nur irgend möglich zu erzählen. Dafür braucht es den Willen, komplexe Geschichte aufzuarbeiten, sie ganz präzise einzuordnen und sie in all ihrer Komplexität abzubilden – ohne sie zu instrumentalisieren. Ob die Deutschen 78 Jahre nach dem Attentat des 20. Juli dafür bereit sind?

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