Unterwegs bei der Frauen-EM: Hype und Achselzucken

Unsere Autorin erlebt ein Turnier der Gegensätze. Nach einem Trip in den Norden Englands verabschiedet sie sich mit besten Eindrücken von der EM.

Zwei Fans der Niederlande, eine mit eionem Goudakäse auf dem Kopf, tanzen auf der Straße

Garantiert stimmungsvoll: Fans der niederländischen Nationalmannschaft Foto: imago

Plötzlich, spät, ist der Rausch da. In Sheffield schiebe ich mich durch die endlose Straßenparty der Oranje-Fans, die Stadt ist ein pulsierendes Herz dieser EM – und eines sehr egalitären Supports, nicht nur der Fans. Die Uefa hat Plakate aufgehängt, überall weisen Schilder den Weg zum Stadion, es gibt gar eine Fanzone. So gleichgültig, lieblich und dröge der Süden war, so warm empfängt mich der Norden.

Erst Sheffield, die Stu­den­t:in­nen­stadt mit Counterculture-Flair und rauem Charme der alten Industriemetropole, eine unwiderstehliche Mixtur aus Abschwung und Aufschwung. Meine Gast­ge­be­r:in­nen sind ein südafrikanisches Trio, das hier sein Mittelklasseglück jenseits von täglichen Stromausfällen sucht. Dann Rotherham, eine Stadt, die bessere Tage gesehen hat, aber ein neues Stadion aufbietet. Rotherham strahlt förmlich vor Stolz, diese EM zu hosten. Die gesamte Innenstadt ist geschmückt und voller enthusiastischer Volunteers, es gibt gleich drei Fanfeste.

An jeder Ecke auch fragen mich begeisterte Menschen nach dem Turnier. Da ist die ältere Dame, die sich Tickets für sieben Spiele gekauft hat und schwärmt, wie viele lokale Leute hier zu den Partien gingen. Da ist der Ordner, der das Spiel der Französinnen bewundert, aber zu Island hält, und der mich früher ins Stadion lässt, es sei doch so heiß. Seine Kollegen, Jungs von vor Ort, erzählen mir von ihren Reiseträumen und schimpfen miteinander über die schlechten Arbeitsbedingungen.

Und die Bedienung im Imbiss erzählt gleich ihre Lebensgeschichte. Aus dem Iran ist sie geflüchtet wegen Stress mit der Regierung, in Norwegen saß sie im Abschiebeknast, jetzt ist sie hier und glücklich. Sie lädt zu sich nach Hause ein. Ich kann nicht, heute Nacht muss ich abreisen. Gerade jetzt, wo mich der Norden umwirft mit seiner Herzlichkeit. Sie entschuldige sich für Rotherham, die Stadt sei so runtergekommen, sagt die ältere Dame. Wofür entschuldigt sie sich? Es ist der beste Ort, an den ich bei dieser EM komme.

Guck mal, wer da guckt

Es war für mich ein Turnier voller Gegensätze: Hypende Medien und achselzuckende Großstädte, leblose Standorte und solche, für die das hier einfach großer Fußball ist, mit einer wahren, ehrlichen Begeisterung. Und in Deutschland? Da gucken jetzt Männer, von denen ich es nie für möglich gehalten hätte, zum ersten Mal. Alle sind sie überrascht, wie gut der Fußball ist, und halten dieses Vorurteil für ein Kompliment. Sie gucken nicht die EM, sie gucken Deutschland. Aber immerhin, Frauen gehören jetzt auch zu Deutschland. Vielleicht muss man all das einfach mal anerkennen. Das hat die Uefa geschafft.

Es kommt mit allen Risiken und Nebenwirkungen; mit Aneignung, Ungleichheit, Hypervermarktung und oft unerträglicher Gönnerhaftigkeit. Aber all das wussten wir doch vorher, als wir nach den Verbänden gerufen haben, oder nicht? Es ist unübersehbar, wer den Wandel führt: Für die großen Medien fahren weiter vorwiegend Männer hin, und in ihren Unterhaltungen jenseits der Fanboy-Artikel schwingen oft subtiler Sexismus und Gönnertum mit.

Dass das Spiel der Frauen einmal die Bedeutung von dem der Männer erlangt, ist für sie unvorstellbar. Sheffield und Rotherham werden bei ihnen immer etwas gönnerhaft Besonderes für die Frauen bleiben, nicht die Normalität. Die müssen wir ohne sie erringen.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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