Dokumentarfilmdebüt „Pornfluencer“: Er verteilt seine Gene

Joscha Bongards Dokumentarfilm „Pornfluencer“ erzählt von einem jungen deutschen Paar, das von Amateurpornos lebt. Sie drehen jeden Tag ein Video.

Ein küssendes Paar auf einem Sofa, rechts die Kamera, die sie filmt

Alles sauber bei dieser Pornoproduktion? Nico und Andreea, die Protagonisten von „Porn­fluencer“ Foto: Salzgeber

Andreea und Nico, ein aufgeräumt lächelndes deutsches Heteropaar Anfang zwanzig, begrüßt das Filmteam vor ihrem großen, etwas schmucklosen Haus in Zypern und lädt zur Besichtigung ein. Neben Andreeas Schminktisch ist ein ­Video-Schnittplatz eingerichtet, an der Wand hängt Nicos großes „Visions-Board“. Im Bücherregal stehen Wirtschaftsratgeber neben Jordan Belforts „The Wolf of Wall Street“.

„Pornfluencer“. Regie: Joscha Bongard. Deutschland 2022, 74 Min.

Die Jungunternehmer filmen ihren Sex für eine Amateurporno-Seite, Kategorie „verified couple“, echtes Paar. Im ersten Monat haben sie 10.000 Euro eingenommen, nach Zypern sind sie wegen der Steuer­erleichterungen, mittlerweile haben sie ein eigenes Onlineangebot mit direktem Abo-System programmiert. Sie drehen jeden Tag ein Tiktok-Video, das die Interessenten zu Youtube führt, von dort zu Twitter, von dort auf die Hardcore-Seite. Die erste Million ist in Reichweite.

Wahre Gefühle

Reichtum heißt für sie Freiheit. Fern von ihren Freunden, entfremdet von ihren Familien, lächeln sie in die Kamera, fallen sich unterstützend ins Wort, machen sich Komplimente und geben sich High Five, wenn eine neue Sexszene aufgezeichnet ist. Ihr Versprechen ans Publikum ist auch ein ethisches: direkte Kommunikation, konsensualer Sex, wahre Gefühle, neue, saubere Ökonomien statt Ausbeutung, Fremdbestimmung, dirty Business. Der sexpositiv eingestellte junge Filmemacher Joscha Bongard hat dem Paar auf Instagram geschrieben und will mehr über diesen Ansatz wissen.

Am Anfang steht eine Verständigung des Films mit seinem Publikum über den normalisierten Konsum von Pornografie. Eine sanfte Stimme erinnert im scheinbaren Schulterschluss daran, dass wir ja alle mittlerweile Internetpornos teilen wie Songs oder Memes, die uns gefallen.

Die Zuschauenden als User

Auch Bongards Debütfilm präsentiert sich als zirkulierendes Onlinevideo, die Anfangscredits werden als Messages fingiert, die Schlusscredits als Nutzungsbedingungen einer Webseite, den Film selber sehen wir wie in einem Incognito-Fenster. Das kommt ein bisschen didaktisch daher, die Zuschauenden sollen sich als User fühlen und die Bedingungen hinterfragen, unter denen die von ihnen konsumierten Videos entstehen.

Eigentlich ist „Pornfluencer“ aber als Desktop-Recherche inszeniert, wir sehen den Cursor und werden durchs Material geführt, manchmal springen wir vor und zurück, nach Belieben werden auch zusätzliche Videos mit Ex­per­t:in­nen angeklickt und auf Vollbild gestellt. Damit stellt Bongard die Kontrolle über sein gefilmtes Material aus, geht auf Distanz zu seinen Protagonist:innen. Und warum er das tut, ist verständlich, denn in den Selbstdarstellungen des Paars wird sehr schnell eine problematische Dynamik deutlich. Eine Triggerwarnung steht am Anfang von „Pornfluencer“. Es geht um sexualisierte Gewalt.

Ein natürliches Anrecht auf Frauen

Zu Nicos autodidaktischer Ausbildung gehören nicht nur Motivationsvideos, sondern auch Ideen und Überzeugungen der „Pick-up“-Szene: Männer, die anderen Männern Tipps fürs Aufreißen geben und ihnen das Gefühl vermitteln wollen, ein natürliches Anrecht auf Frauen zu haben – auch auf die, die sich widersetzen. Sex heißt für ihn auch: sein genetisches Material zu verteilen. Wenn er das sagt, lächelt Andreea und stimmt ihm zu. Spannungsmusik auf der Tonspur macht klar, wie die Filmemachenden das finden.

Der auf vielen Ebenen interessante Einblick in eine neue Ökonomie, in eine schräge kleine Welt, in der ein sympathisches Normalo-Paar noch gar nicht zu wissen scheint, wie ihm geschieht, wird damit zum subtilen Horrortrip, in dem ein reaktionäres Genderverständnis unter Jugendlichen sichtbar wird, das in ihrer selbstgeschaffenen Blase keinen Widerspruch von außen erfährt.

„Ich bin ein geiler Führer“

Widerspruch erfahren Nico und Andreea auch im Film nicht. Bongard filmt Andreea am Schneidetisch, in einer vertraulichen Atmosphäre, in der sie zugibt, letztlich immer zu tun, was Nico ihr aufträgt. Bongard kommentiert Szenen, in denen das schmerzhaft deutlich wird, aber letztlich auch nur am eigenen Schneidetisch, durch Musik, Montage und seine zugeschalteten Expert:innen. Wie sehr die Selbstdarstellungen der beiden auch ein Effekt des anwesenden Dokumentarfilmteams sind, reflektiert er nicht. Nico und Andreea werden dadurch zu Material, das anschließend eine Triggerwarnung bekommt.

Die Fragen, die sich aus diesem Material ergeben, gehen über Nico und Andreea und ihre kleine Welt hinaus. Und auch über die Frage nach einer ethischen Varietät allgegenwärtiger Pornografie. Sie betreffen die Aktualisierungen eines patriarchalischen Weltbildes, die auf neuen Kanälen zirkulieren.

Wenn Andreea und Nico als getrennte Morgenrituale ihre „Affirmationen“ in den Spiegel sprechen, damit eine Selbstsuggestion versuchen, die sie in Motivationsvideos gelernt haben, lässt die Montage einen Direktvergleich zu. Viele Sätze sind identisch. Aber an der Stelle, wo Nico sich weismacht: „Ich bin ein geiler Führer“, sagt Andreea: „Ich bin eine gute Freundin.“

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