Bauernprotest in den Niederlanden: Streik gegen Umweltregeln

Niederländische Bäue­r*in­nen rufen für Freitag zu einem 15-Minuten-Ausstand auf. Sie suchen Verbündete im Kampf gegen strengere Umweltauflagen.

Eine Menschengruppe sitzt vor Traktoren

Demonstration in Utrecht: Land­wir­t*in­nen blockieren Logistik­zentrum einer Supermarktkette Foto: Oscar Brak/NurPhoto/imago

BERLIN taz | Der anhaltende Protest der niederländischen Bäue­r*in­nen wird immer breiter. An diesem Freitag um 15 Uhr soll im ganzen Land für fünfzehn Minuten die Arbeit niedergelegt werden. Aufgerufen dazu hat Agractie, einer der im Zuge des Konflikts um Stickstoffemissionen gegründeten Interessenverbände. Die Demonstrationen der vergangenen Wochen hätten gezeigt, dass „die Mehrheit der Niederlande die Bäue­r*in­nen unterstützt“, so der Aufruf. „Werde auch aktiv und zeige deine Solidarität mit den Bauern und der Provinz“, heißt es dort.

Der Hintergrund der Proteste: In den Niederlanden ist der Ausstoß von Stickstoffverbindungen mehr als dreimal so hoch wie im EU-Schnitt. Stickstoff, der mit Sauerstoff zu Stickstoffoxid oder mit Wasserstoff zu Ammoniak reagiert, trägt zu Feinstaub bei, schadet der Ozonschicht und Biodiversität und gefährdet damit Ökosysteme.

Die niederländische Landwirtschaft ist eine der intensivsten Europas. Sie ist im Land der größte Verursacher von Stickstoffemissionen. Plänen der Regierung zufolge soll der Stickstoffausstoß bis 2030 halbiert werden. Im Juni wurde das Vorhaben konkretisiert. Unter anderem soll der Viehbestand bis 2030 um ein Drittel bis ein Viertel schrumpfen.

Eine „Stickstoffkarte“ gliedert das Land in Zonen, in denen die Emissionen um 12 bis 95 Prozent gesenkt werden sollen. Dagegen machen Bäue­r*in­nen mobil – zunehmend rabiater mit brennenden Heuballen, Blockaden von Logistikzentren oder Straßen.

Noch vor fast einem Monat zeigten Umfragen, dass eine Mehrheit der Nie­der­län­de­r:in­nen Sympathie für das Anliegen der Land­wir­t:in­nen hatte. Der aggressiven Charakter der Proteste macht viele Bür­ge­r:in­nen aber auch wütend. Nach einer aktuellen Le­se­r*in­nen­be­fra­gung der großen Regionalzeitung De Stentor wollen 45 Prozent ein Ende der Proteste, 41 Prozent stehen „voll dahinter“. 13 Prozent begrüßen zwar andere Solidaritätsbekundungen. Doch ein Streik, auch wenn er nur eine Viertelstunde dauert, geht ihnen zu weit.

Problematische Symbole

Gespalten ist die Bevölkerung auch angesichts eines Symbols, dass die renitenten Land­wir­t*in­nen verwenden: die umgedrehte niederländische Flagge. Inzwischen hängt die Fahne nicht nur an Traktoren, sondern auch, zumal in ländlicher Umgebung, an Wohnhäusern und Laternenpfählen. Einst wurde damit in der Seefahrt eine Notlage signalisiert. Heute wenden die Protestierenden den Slogan „Blau-Weiß-Rot, Schiff in Not“ auf die Lage im gesamten Land an. Das macht sie anschlussfähig für andere Gruppen, die die Politik der Regierung in Den Haag scharf kritisieren, etwa Co­ro­na­leugner*innen und Rechte.

Die Entwicklung spiegelt sich in den aktuellen Umfragewerten der Parteien. Die erst 2019 im Zuge der damals aufkommenden Stickstoffdiskussion gegründete Bauern-Bürger-Bewegung (BBB), aktuell mit einem Sitz im Parlament vertreten, hat in den vergangenen Wochen rasant zugelegt. Je nach Quelle steht sie bei 12 bis 20 Sitzen. In einer Umfrage ist sie sogar die zweitstärkste Partei des Landes.

Auch jenseits der Grenze finden die Proteste Widerhall. In Deutschland bekundeten mehrere Agrarverbände ihre Solidarität mit den niederländischen Kolleg*innen. Nahe der Grenze gab es mehrere Kundgebungen. In der vergangenen Woche besetzten Land­wir­t*in­nen aus beiden Ländern gemeinsam einen Kreisverkehr auf niederländischer Seite.

Die Breitenwirkung des Konflikts liegt nicht nur an der Anschlussfähigkeit für Co­ro­al­eug­ne­r*in­nen und die Unterwanderung durch rechtspopulistische Kräfte. Vielmehr betrifft die Frage nach Stickstoffemissionen und ihrer Reduzierung zentrale Aspekte des ökologischen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft. Fest steht, dass die Stickstoffwerte der Niederlande gesenkt werden müssen. Das höchste Verwaltungsgericht hat schon 2019 geurteilt, dass die Regierung zu wenig unternimmt, um, die Stickstoffemissionen zu reduzieren.

Politik wartete ab

Nur: Wie soll das von der Regierung vorgegebene Ziel – die Reduzierung um 50 Prozent bis 2030 – erreicht werden? Während die konkreten Pläne noch ausgearbeitet werden müssen, machen unter Land­wir­t*in­nen Szenarien die Runde, nach denen die Zahl der Agrarbetriebe um ein Drittel sinken wird. Aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts liegen derzeit auch Bauprojekte still, mit denen die Wohnungsnot gelindert werden soll. Denn auch beim Bau wird Stickstoff freigesetzt.

Die Kollision von Stickstoff- und Wohnungskrise resultiert auch daraus, dass die Frage nach der Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft lange aufgeschoben wurde. Die Online-Zeitung De Correspondent kommentiert diese Woche: „Schon seit 30 Jahren liegt die Lösung des Stickstoffproblems auf der Hand: Verringern des Viehbestands und weniger Kunstdünger im Ackerbau. Doch die Politik wand sich die ganze Zeit um den heißen Brei herum und machte das Problem damit nur noch schlimmer.“

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