Forschungsförderung in Deutschland: Im Datengrab der Forschungspolitik

Zwei Berichte geben Aufschluss, woher Wissenschaftsgelder kommen und wohin sie gehen. EU-weit ist Deutschland führend bei der Förderung.

Eine Wissenschaftlerin in einem Reinraum

Doktorandin im Reinraumlabor im MEET-Batterie-Forschungszentrum in Münster, Nordrhein-Westfalen Foto: Rupert Oberhäuser/imago

Wo steht Deutschland mit seiner Forschungspolitik und wie soll es weitergehen? Zur Beantwortung dieser Fragen sind in den letzten Wochen zwei voluminöse regierungsamtliche Reports erschienen, die jenseits der bekannten Politiklyrik („Aufbruch in ein Transformationsjahrzehnt“) zugleich eine datenbasierte Grundlage über die Entwicklung des deutschen Wissenschaftssektors liefern. Wir haben uns in die beiden Berichte – den deutschen „Bundesbericht Forschung und Innovation 2022“ (BUFI) und den Bericht der EU-Kommission „Science, Research and Innovation Performance of the EU“ (SRIP) vertieft und nach Zukunftstrends gesucht.

Beide Reports nebeneinander gelegt, zeigt sich, dass der europäische Weg zur innovativen Spitzenposition deutlich mehr Holpersteine aufweist als der deutsche. Seit zwei Jahrzehnten wird von den europäischen Innovationspolitikern in Kommission und Parlament eisern das Ziel verfolgt, dass 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU-Staaten in Forschung und Entwicklung investiert werden sollen, mit dem Effekt, dass dadurch der europäische Kontinent zur „innovativsten und wettbewerbsfähigsten Region weltweit“ aufsteigen soll.

In Trippelschritten wurde davon bis 2020 lediglich die Marke von 2,32 Prozent erreicht, während Deutschland bereits die 3-Prozent-Hürde überschritten hat und bis 2025 einen BIP-Anteil von 3,5 Prozent anstrebt.

Tatsächlich kann sich Deutschland ausweislich der SRIP-Tabellen vielfach als amtierender europäischer Innovationschampion fühlen. 2020 wurden 34 Prozent aller FuE-Investitionen innerhalb der EU mit einer Gesamtsumme von 205 Milliarden Euro in Deutschland realisiert. Das ist so viel wie in 23 anderen EU-Mitgliedsstaaten zusammen.

Zehn Jahre zuvor betrug der deutsche Anteil noch 32 Prozent. Dagegen hat sich der Anteil der beiden nachfolgenden Power­länder im Innovationskonzert – Frankreich mit 17 Prozent und Italien mit 8 Prozent – im Vergleichszeitraum sogar verringert. Bei einem von der Wirtschaftsorganisation OECD angestellten Vergleich der FuE-Ausgaben mit der Zahl der forschenden Personen zeigt sich, dass Deutschland mit einer FuE-Quote von 3,2 Prozent und zehn Forschern je 1.000 Erwerbstätige zwar im Quadrant der Besten angesiedelt ist. Aber noch ein Stück besser sind bei diesen Verhältniswerten Österreich, Japan, die USA, Belgien, Schweden – und uneinholbar Südkorea (5,8 Prozent).

Weniger Geld in der Industrie

Bei der Forschung und Entwicklung (FuE) durch die deutsche Wirtschaft zeigt sich im BUFI deutlich der Einbruch im verarbeitenden Gewerbe, der Industrie, die 2019 noch 64,3 Milliarden Euro für FuE ausgab, im ersten Coronajahr 2020 aber nur noch 57,3 Milliarden – ein Rückgang von mehr als 10 Prozent. Dabei sind die Effekte bei näherem Hinsehen durchaus unterschiedlich. Während die FuE im Automobilbau um 4 Milliarden auf 24,4 Milliarden einbrach, blieb sie in den Branchen Chemie (4,2 Milliarden), Pharma (5,2 Milliarden) und Informationstechnik (8,6 Milliarden) annähernd gleich.

In die deutschen Hochschulen flossen 2019 insgesamt 40,1 Milliarden Euro

Im Wirtschaftsbereich Information und Kommunikation gab es sogar einen Sprung von 4,2 auf 4,5 Milliarden Euro. Verantwortlich dafür das Homeoffice und die vermehrten Videokonferenzen wegen des Coronalockdowns. Insgesamt aber reduzierte sich die wirtschaftsseitige FuE in den Jahren von 2019 zu 2020 von 75 auf 71 Milliarden Euro.

In die deutschen Hochschulen flossen 2019 insgesamt 40,1 Milliarden Euro. Das waren 4 Milliarden mehr als 2017 – 10 Prozent zusätzlich in zwei Jahren, das ist schon ein guter Schnitt. Den Hauptbatzen erhielten 2019 mit 25,1 Milliarden Euro die Universitäten, gefolgt von den Fachhochschulen mit 8,2 und den Unikliniken mit 6,7 Milliarden Euro. Knapp die Hälfte des Hochschulbudgets, nämlich 19,1 Milliarden Euro, flossen in die Forschung, der Rest in die akademische Lehre. Der Drittmittelanteil, also die von externen Auftraggebern finanzierten Forschungsprojekte, erhöhte sich auf 8,7 Milliarden, was schon einen nennenswerten Anteil am Forschungsbudget der Hochschulen ausmacht.

Wie verteilen sich die Forschungsgelder regional auf die Bundesländer? Von der Gesamtsumme von 92 Milliarden Euro im Jahr 2016, die sich auf 109 Milliarden 2019 erhöhte, gingen nur 12,8 Prozent in die ostdeutschen Länder einschließlich Berlin (2019: 12,5 Prozent). Wenig Veränderung gab es auch beim Ranking der Länder. Nicht das größte Bundesland NRW führt die Tabelle an, sondern unangefochten Baden-Württemberg, wo 2016 insgesamt 23,4 Milliarden Euro in FuE eingesetzt wurden, vier Jahre später sogar 30,2 Milliarden. Das bedeutete einen Anstieg der Quote von 25,5 auf 27,5 Prozent. Bayern auf Platz zwei trat mit 19,7 Prozent 2020 praktisch auf der Stelle, während sich NRW mit 14,1 Prozent leicht verschlechterte. Auch für Berlin mit 5,2 Milliarden Euro FuE-Ausgaben verkleinerte sich der Anteil auf 4,8 Prozent – eigentlich kein strahlender Wert für Deutschlands selbsternannte „Wissenschaftshauptstadt“.

Wie viele Menschen arbeiten in der deutschen Forschung? 2013 waren es 588.000 Personen, bis 2019 hatte sich diese Zahl auf 735.000 erhöht. Davon waren 475.000 im Wirtschaftssektor tätig, 147.000 in den Hochschulen und 112.000 in den staatlichen Forschungsinstituten. Sehr unterschiedlich ist die Frauenquote: Sie lag mit 43 Prozent beim Forschungspersonal in den Hochschulen am höchsten, gefolgt mit 41 Prozent in den außeruniversitären Instituten und 18 Prozent in der Wirtschaft.

Bei den Qualifikationen für die wissenschaftliche Laufbahn ist der Trend unterschiedlich. Die Zahl der Promotionen, die 2009 bei 25.000 lag, steigerte sich bis 2020 auf 26.000, nachdem zwischenzeitlich auch die 29.000-Marke überschritten wurde. Der Frauenanteil ist mit 11.000 Dissertationen in der Tendenz rückläufig. Die Zahl der Habilitationen ging von 1.800 im Jahr 2009 auf 1.500 im Jahr 2020 zurück, weil sie in immer weniger Fächern als bindende Voraussetzung für die Uniprofessur angesehen wird. Der Frauenanteil erhöhte sich hier aber auf ein Drittel.

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