Fairer Mutterschutz für Selbstständige: Kinder als Karriererisiko

Mutterschutz und Elternzeit gelten nur eingeschränkt für Po­li­ti­ke­r:in­nen und Selbstständige. Doch eine EU-Richtlinie lässt hoffen.

Kämpft für gleiche Rechte im Mutterschutz für Selbsständige: Schreinermeisterin Johanna Röh

Kämpft für gleiche Rechte im Mutterschutz für Selbstständige: Schreinermeisterin Johanna Röh Foto: Angelika Wörthmüller/ZDF/obs

Patrick Puhlmann hat ein Problem. Allerdings keines, das er selbst verursacht hat, sondern eines, das ihm andere bereiten. Der Landrat des Kreises Stendal in Sachsen-Anhalt ist seit vergangenem Jahr Vater und will seine Familie so unterstützen, wie das moderne Väter eben machen: mit Elternzeit. Politiker sollten Vorbild sein, vor allem bei familiärer Carearbeit.

Auch Johanna Röh hat ein Problem. Sie ist vor acht Wochen Mutter geworden und damit ein finanzielles Risiko eingegangen. Keines, das viele Eltern trifft, weil Kinder nun mal kosten. Als selbstständige Tischlerin mit eigener Werkstatt in Alfhausen in Niedersachsen ist sie in der Zeit des Mutterschutzes – sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Entbindung – finanziell nicht abgesichert.

Auf den ersten Blick scheinen beide Probleme unabhängig voneinander zu existieren. Was hat der finanziell abgesicherte Lokalpolitiker ohne Vätermonate mit der selbstständigen Handwerkerin in Mutterschutz ohne finanziellen Schutz zu tun? Die Verbindung zwischen Puhlmann und Röh ist das Gesetz: Während für Mütter und Väter in gewöhnlichen Beschäftigungsverhältnissen – Verkäufer:innen, Lehrer:innen, Angestellte bei Krankenkassen – Mutterschutz und Elternzeit ganz klar geregelt sind, gilt das für Po­li­ti­ke­r:in­nen und Selbstständige nicht.

Es ist kompliziert, holen wir also etwas aus. Politiker Puhlmann könnte zwar Elternzeit nehmen, dafür müsste er seine Arbeit aber vollständig ruhen lassen. Der ambitionierte Landrat will aber nicht komplett pausieren, sondern von August bis Mitte Oktober seine Arbeitsstunden einfach nur reduzieren, auf 22 Stunden wöchentlich. Dabei hat sein Arbeitgeber, in diesem Fall der Kreistag, ein Mitspracherecht. Und der sagte bei einer Abstimmung Ende Juni: No way, so geht das nicht, entweder ganz aussteigen aus dem Job oder gar nicht.

Abgeordnete haben kein Recht auf Elternzeit

Die Stendaler Vaterschaftscausa erinnert an alte Debatten um Mutterschaft im Plenarsaal. Vor vier Jahren wurde die Grünen-Abgeordnete Madeleine Henfling aus dem Thüringer Landtag geworfen, weil sie bei einer Abstimmung ihr Baby dabei hatte.

Abgeordnete haben kein Recht auf Elternzeit, ihr Mandat ist ihre verfassungsrechtliche Pflicht. Wie sie die auslegen, bleibt ihrem Ermessen und Gewissen geschuldet. Das ist ein Dilemma. Nehmen Abgeordnete ihre Sache ernst und entscheiden sich dafür, verkürzt weiter- oder rasch wieder zu arbeiten, werden sie von manchen parlamentarischen Prozessen ausgeschlossen. Auch Mütter wie die Grüne Franziska Brantner und die frühere CDU-Familienministerin Kristina Schröder kennen das.

Die Tischlermeisterin Röh nimmt ihren Job ebenfalls ernst. Sie kann und will ihren Handwerksbetrieb nicht lahmlegen, nur weil sie ein Kind bekommen hat. Doch ihre Schwangerschaft und die Geburt ihrer Tochter sind für sie ein unternehmerisches Risiko. Selbstständige bekommen weder Lohnfortzahlungen für den Fall, dass sie wegen der Schwangerschaft ausfallen, noch den Arbeitgeberzuschuss zum Mutterschaftsgeld. Betroffene können nur vor der Kinderphase genügend Geld für die Zeit mit dem Baby zu Hause sparen.

Im Fall von Röh war das nicht möglich. Ihre Werkstatt läuft zwar gut, am Ende blieb trotzdem nicht genug Geld zum Sparen fürs Baby übrig. Das hat die junge Frau so geärgert, dass sie die Petition „Gleiche Rechte im Mutterschutz für selbstständige Schwangere“ in den Bundestag eingebracht hat. „Selbstständige Schwangere müssen den gleichen gesetzlichen Mutterschutz genießen wie Angestellte. Eine Schwangerschaft darf keine Existenzbedrohung sein oder zu einer Chancenungleichheit auf dem Arbeitsmarkt führen“, heißt es darin. In ein paar Tagen läuft die Petition, die bis Dienstagnachmittag 61.422 Menschen unterschrieben haben, aus.

Würde der Bundestag nur einige Kilometer weiter nach Brüssel schauen, fände er eine Lösung des Problems: Eine EU-Richtlinie schreibt vor, Selbstständige beim Mutterschutz finanziell besser abzusichern. So „können sie Mutterschaftsleistungen erhalten, die eine Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit während mindestens 14 Wochen ermöglichen“.

Puhlmanns Problem hat sich unterdessen gelöst: Der Landrat darf seine Elternzeit jetzt nehmen, wie er das möchte. Der Kreistag hat sich überzeugen lassen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.