Ermittlungen gegen Straßenblockierer: „Auf der Sachebene bleiben“

Berliner Generalstaatsanwältin verwahrt sich gegen die Kritik, Ermittlungen gegen die Blockierer der Letzten Generation würden zu lange dauern.

Sitzblockade auf der Greifswalder- Ecke Ostseestraße in Prenzlauer Berg

Sitzblockade auf der Greifswalder- Ecke Ostseestraße in Prenzlauer Berg Foto: Florian Boillot

taz: Frau Koppers, die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, und deren Innensenatorin, Iris Spranger, betreiben gerade heftige Justizschelte, weil es noch keine Urteile gegen Straßenblockierer der „Letzten Generation“ gibt. Der Subtext: Die Polizei mache ihre Arbeit, aber die Staatsanwaltschaft komme nicht zu Potte. Was sagen Sie zu diesem Ton?

Margarete Koppers: Ich finde ihn sehr betrüblich, vor allem deshalb, weil Staatsanwaltschaft und Polizei auseinanderdividiert werden. Wenn man die jüngsten Erklärungen der Polizeigewerkschaften liest, fällt einem der Kitt aus der Brille. Die sollten sich einfach einmal beim Landeskriminalamt sachkundig machen, woran es liegt, dass sich die Ermittlungen so hinziehen. Da hat doch jemand überhaupt keine Vorstellung vom Rechtsstaat.

Bitte klären Sie uns auf.

Wir sind natürlich nicht untätig und in gutem und engem Austausch mit dem Landeskriminalamt.

Margarete Koppers

60, ist seit März 2018 Generalstaatsanwältin in Berlin. Zuvor war sie Polizeivizepräsidentin und davor Vizepräsidentin am Landgericht Berlin.

Was heißt das konkret?

Bei der Staatsanwaltschaft gibt es 73 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den Sitzblockaden. Zu prüfen sind vor allem Delikte wie Nötigung und Widerstand. Alle Akten haben wir zurückgesandt an die Polizei zu Nachermittlungen. Bei der Polizei selbst sind nach meinem Kenntnisstand seit Jahresanfang um die 600 Strafanzeigen wegen der Straßenblockaden eingegangen.

In keinem einzigen Fall wurde bisher Anklage erhoben, was ist der Grund?

Die Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht stellt sehr dezidierte Anforderungen an die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen. Wir haben die Akten an die Polizei zurückgesandt, um entsprechende Beweise hierfür zu erheben.

Können Sie Beispiele nennen?

Die Polizei muss ermitteln und belegen, wie lange die Blockaden angedauert haben, ob sie hätten umfahren werden können, welche Instrumente dabei genutzt wurden, zum Beispiel welcher Klebstoff, und wie lange das Ablösen gedauert hat, wie viele Personen sich an der Aktion beteiligt haben und wie viele Personen in etwa blockiert worden sind. Wichtig ist es auch festzustellen, ob es besondere Situationen gab, etwa wenn die Feuerwehr oder ein Rettungswagen blockiert worden ist. Das hätte natürlich ein anderes Gewicht. Das alles muss genau dargelegt werden, um es bewerten zu können: Ist das, was die Demonstrantinnen und Demonstranten tun, tatsächlich verwerflich? Denn das ist die entscheidende Frage, die sich bei der Prüfung des Nötigungstatbestands stellt.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich auch mit der sogenannten zweiten Reihe der Autos bei Blockaden befasst. Was hat es damit auf sich?

Die erste Reihe der Autofahrenden könnte theoretisch weiterfahren. Die Blockierenden stellen für sie ein psychologisches, aber kein faktisches Hemmnis dar. Und das reicht nach der Rechtsprechung nicht. Aber die zweite Fahrzeugreihe dahinter wird physisch blockiert von der ersten Reihe. Deshalb handelt es sich gegebenfalls um eine mittelbare Nötigung ab der zweiten Reihe der Autofahrenden durch die Blockierenden.

Klingt alles verdammt juristisch.

Um es kurz zu machen: In jedem einzelnen Fall müssen ein individueller Vorsatz und die Verwerflichkeit des Handelns geprüft werden. Im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung ist es relevant, das Versammlungsrecht der Blockierenden abzuwägen mit den Freiheitsrechten der Blockierten. Hierfür ist es relevant festzustellen, ob die Blockade vor allem so lange dauert, dass sie nicht mehr hinnehmbar ist.

Weiß Innensenatorin Spranger, dass die Polizei nachliefern muss?

Die Staatsanwaltschaft hat bereits im Februar entsprechende Vermerke an die Polizei geschickt, und wir haben es auch aktuell noch einmal erklärt.

Haben Sie die Innensenatorin mal persönlich kennengelernt?

Nein, nur einmal virtuell in größerer Runde.

Warum machen Giffey und Spranger jetzt so einen Druck?

Das ist schwer einzuschätzen. Ich versuche, auf der Sachebene zu bleiben, was allerdings schwer ist, wenn man so unsachlich angegangen wird und vor allem die Polizeigewerkschaften so polemisieren. Meine Vermutung ist: Der Druck aus der Stadtgesellschaft ist sehr groß. Berlin ist eine Autofahrerstadt; dass es noch keine Anklagen und Urteile gibt, ist für Menschen, die juristisch nicht vorgebildet sind, vermutlich schwer nachzuvollziehen. Der Sachverhalt an sich erscheint ja auch einfach: Da sitzt jemand und blockiert. Natürlich geht es den meisten Menschen nur darum, dass die Blockierer weggetragen werden, damit sie weiterfahren können. Aber sie wollen auch deshalb nicht dauernd im Stau stehen. Also wächst der Druck auf die Politik, etwas dagegen zu unternehmen.

Sie als Chefin der Staatsanwaltschaft, als Berlins oberste Ermittlerin, wollen sich aber nicht zum Werkzeug der Autofahrerlobby machen lassen, oder?

Wir sind weder Werkzeug der Autofahrenden noch der Blockierenden. Wir sind Teil eines rechtsstaatlichen Verfahrens, und da bedarf es eben einer sorgfältigen Prüfung. Es macht keinen Sinn, wenn wir solchen Forderungen nachkommen, irgendetwas zu Gericht tragen und dann unterliegen mit unseren Anträgen, weil man uns etwa schlampige Ermittlungen vorhält. Das hilft niemandem.

Haben Sie ein wie auch immer geartetes Verständnis für die Blockierer?

Aus Strafverfolgersicht finde ich es überraschend, welche Erwartungshaltung von der Bevölkerung an die Justiz herangetragen wird. Soweit mir bekannt ist, sind die Blockierenden lauter junge Menschen, die diese Aktionen aus tiefster Überzeugung veranstalten. Menschen, die tatsächlich verzweifelt sind, weil sie keine Perspektive mehr zu haben glauben. Sie sind wirklich voller Angst um das Klima und ihre Zukunft.

Das Engagement dieser Menschen beeindruckt Sie also?

Darum geht es nicht. Ich persönlich finde die Art ihres Vorgehens nicht sinnvoll, und ich glaube auch nicht, dass sie damit weiterkommen. Aber ich bin alt und privilegiert, das größte Drama werde ich wahrscheinlich nicht mehr erleben. Diese jungen Menschen haben eine ganz andere Perspektive. Deshalb finde ich die Erwartung an die Justiz auch so schwierig, dass wir mit unseren strafrechtlichen Instrumenten die Haltung dieser jungen Menschen beeinflussen können.

Hunderttausende fahren in Berlin jeden Tag allein in ihrem Auto zur Arbeit und zurück. Wie bewegen Sie sich fort?

In früheren Zeiten bin ich auch täglich mit dem Auto über die Autobahn zum Polizeipräsidium gefahren. Das habe ich dann irgendwann eingestellt und bin aufs Fahrrad oder – je nach Wetter – die U-Bahn umgestiegen. Aber es ist natürlich auch Luxus, so zu wohnen, dass man überall mit dem Fahrrad hinkommen kann.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.