Parteitag der Linken in Erfurt: Großer Krawall bleibt aus

Die Linkspartei ringt um ihre Haltung zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die ganz radikalen Nato-Kritiker setzen sich nicht durch.

Saal mit Bühne und MEnschen

Die Diskussionen verlaufen zivilisierter als befürchtet

ERFURT taz | In der Generaldebatte der Linkspartei herrscht am Freitag in Sachen Ukraine weitgehend Einigkeit. Der Satz, dass man die einzige wahre Friedenspartei sei, kehrt wie ein Refrain in den Reden der Delegierten wieder. Man verurteilt Putins Angriffskrieg, mal etwas pflichtschuldig, mal engagierter. Man sei solidarisch mit der Ukraine und natürlich gegen Waffenlieferungen und gegen die 100 Milliarden für die Bundeswehr, die nur Rüstungskonzerne nützen, sowieso.

Eine junge Linke aus Hessen sagt: „Wir sind die einzigen, die diesen Schweinen, die mit dem Tod Geld verdienen, den Kampf ansagen“. Dass zwischen der Solidaritätsbekundung mit der Ukraine und der entrüsteten Absage an Waffenlieferungen (die, so die ebenso routinierte und fragwürdige Behauptung, noch nie einen Krieg beendet hätten) ein Widerspruch bestehen könnte, wird nonchalant ignoriert. Lieber wettert man gegen „hemmungslose Aufrüstung“.

Dann passiert etwas, das die Selbstinszenierung als einziger Hort des Friedens unterbricht. Sofia Fellinger, eine junge in der Ukraine geborene Linke, gibt sichtlich nervös eine persönliche Erklärung ab. Die Redebeiträge seien allesamt „unerträglich“. Wo bleibe „der Aufschrei über den mörderischen russischen Imperialismus“?

Mit sich überschlagender Stimme ruft sie: „Frieden kommt nicht, wenn man Panzer umarmt!“ Das habe mit der viel beschworenen Solidarität nichts zu tun. „Fahrt in den Donbass und betet dort für den Frieden“, ruft sie wütend. Und: „Checkt mal eure Privilegien.“ Das Tagungspräsidium bedankt sich bei Sofia und verweist auf die Rede der Parteivorsitzenden Janine Wissler. Die habe doch schon gesagt, man sei solidarisch mit der Ukraine, und dass man „nichts von Putins Krieg“ halte.

Antimilitarismus vs. Solidarität mit der Ukraine

In diesen drei Minuten blitzt schlaglichtartig die Realitität des Krieges in den routinierten Wortgefechten auf. Jene Wirklichkeit, die sich die Linkspartei sorgsam von Leib zu halten versucht.

Parteichefin Wissler vertritt in ihrer Rede am Freitag das fragile Konsens-Konstrukt der Linkspartei in Sachen Ukraine. Man sei solidarisch mit den Menschen in der Ukraine, lehne aber Waffenlieferungen entschieden ab. Es gebe keine Rechtfertigung für diesen imperialen Krieg, aber es sei ein Fehler, dass die Nato sich nach Osten ausgedehnt habe. Einerseits-Andererseits. Dieses „ja, aber“ verspricht, die Realität nicht völlig zu ignorieren, ohne den friedenspolitischen Kanon der Partei zu demolieren.

Bodo Ramelow plädiert etwas undeutlich für die Möglichkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine. Aber niemand befasst sich mit dem komplizierten Konflikt von zwei Zielen: Nein zu Waffenexporten, und dass die Ukraine Waffen braucht, um als Staat weiter zu existieren.

Wagenknecht und Dağdelen bleiben fern

Niemand traut sich den Widerspruch zu benennen, in dem die Partei seit dem 24. Februar steckt: Gibt es einen Weg, Antimilitiarist zu bleiben, ohne die Ukraine herzlos Putin auszuliefern? „Widersprüche bearbeiten“ ist zwar eine Lieblingsformulierung auf linken Parteitagen, aber damit sind offenbar nur die Widersprüche der anderen gemeint. Bei Frieden wird in der Linkspartei mit Sätzen mit Ausrufezeichen gearbeitet, Fragezeichen könnten das antimilitaristische Selbstbild ins Wanken bringen.

Den Geist risikoarmer innerer Befriedung unter Vermeidung aller Zweifel atmet auch der im Vorfeld hart umrungen Leitantrag zum Ukrainekrieg. Putin stehe für eine „nationalistische, militaristische und autokratische Großmachtideologie“, heißt es dort, aber man sei gegen Waffenlieferungen und mehr Geld für die Bundeswehr.

„Wir verurteilen den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands aufs Schärfste. Unsere Solidarität gilt den Menschen in der Ukraine, die leiden, Widerstand leisten oder flüchten müssen.“ Diese Sätze wollten Sahra Wagenknecht und Sevim Dağdelen gestrichen sehen. Diese unverhüllt russlandfreundliche Position hat in Erfurt wenig Sympathisanten. Wagenknecht ist wegen Krankheit nicht gekommen, und wird auch nicht sonderlich vermisst. Auch Dağdelen spart sich einen Auftritt in Erfurt.

Keine antiimperialistische Phantasiewelt

Der ganz große Streit findet, wie oft bei linken Parteitagen, nicht statt. Auch Metoo und der teilweise völlig aus dem Ruder gelaufene Zoff um sexuelle Übergriffe verläuft zivilisierter als befürchtet. „Wir werden keine persönlichen Angriffe oder Namensnennung dulden“, kündigt Katina Schubert im Tagungspräsidium an. Solid, die aktivistische Jugendorganisation, trägt anonyme Protokolle von sexuellen Belästigungen und sexualisierter Gewalt vor.

Solid-Sprecher klagen bitter, dass in der Partei Täterschutz herrsche. Doch verglichen mit den Schlammschlachten in sozialen Medien zuvor ist die Debatte rational. Parteichefin Wissler hatte sich in ihrer Rede zuvor angemessen zerknirscht über mangelhafte Aufarbeitung sexueller Übergriffe in ihrem Landesverband Hessen gezeigt. Das trug zur Beruhigung bei – und auch, dass man sich in Erfurt zum ersten mal nach drei Jahren coronabedingter Abwesenheit live trifft, und nicht nur per Zoom.

Eine Auseinandersetzung gibt dann doch: zwischen Wisslers Einerseits-Andererseits-Position und einem von Parteilinken wie Christine Buchholz und Özlem Demirel unterstützten alternativen Leitantrag. Dort wird der russischen Krieg verurteilt, aber die Nato zum zentralen Gegner erklärt Zudem werden alle Sanktionen gegen Moskau schroff verworfen. „Die Nato versucht, diesen Angriffskrieg zu verwerten und in die Länge zu ziehen“, brüllt Demirel in den Saal – eine bemerkenswerte Verdrehung der Lage. Der Anti-Nato-Antrag bekommt immerhin 226 Stimmen, der Antrag des Parteivorstands 303. Der Parteitag will keinen Krawall, keine Demütigung der Parteispitze.

Als politisches Zeichen bedeutet das: Die Linkspartei will sich nicht ins politische Aus und in eine antiimperalistische Phantasiewelt verabschieden. Jedenfalls nicht komplett.

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