Nato-und G7-Beschlüsse: Viel Militär, wenig für Ziviles

Die Nato setzt auf Aufrüstung und mobile Truppen. Das ist angesichts der russischen Aggression nötig. Doch der Politik des Westens fehlt etwas.

Ein Soldat vor einem Fahrzeug

Ein Soldat der finnischen Armee während einer Übung in Rovajarvi im Mai 2022 Foto: Stoyan Nenov/reuters

Nach 1990 war die Nato eine leere Hülle, ein Relikt des Kalten Krieges. Den blutigen Krieg gegen den Terror führten die USA nach 2001 mit einer „Koalition der Willigen“, die Nato war dabei überflüssig. Dass der Militärpakt je wieder ein zentraler Akteur werden würde, glaubten nur gesinnungsfeste Transatlantiker – und deren Konterpart, gesinnungsfeste linke Nato-Kritiker. Ihren Machtverlust ignorierten beide entschlossen.

Putins Angriffskrieg hat der Nato eine erstaunliche Rückkehr beschert. Schweden und Finnland treten dem Bündnis bei. Die Nato erscheint in Europa als einzig verlässliche Versicherung gegen die imperiale Bedrohung aus Russland. Putin will Osteuropa, vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer, mit Gewalt zur russischen Einflusssphäre machen. Die USA und Westeuropäer werden deshalb mit 260.000 zusätzlichen SoldatInnen als mobile Eingreiftruppe Osteuropa, und vor allem die baltischen Staaten, schützen. Angesichts der rohen Brutalität des russischen Krieges in der Ukraine und wüster Drohungen aus Moskau, die sogar die Unabhängigkeit Litauens in Frage stellen, ist diese Aufstockung richtig.

Nicht erfreulich, aber besser als alles andere. Diese Erkenntnis ist bitter für alle, die zu Recht skeptisch auf Militär blicken und zivile Lösungen fordern. Was aber wäre die Alternative? Nichts zu tun? Die Aufrufe für einen Waffenstillstand in der Ukraine mögen gut gemeint sein – angesichts des ungebrochenen russischen Expansionsdrangs sind sie beklemmend hilflos.

Dass die Nato wieder eine Hauptrolle spielt, hat Schattenseiten. Erdoğan versucht sich sein Ja zur Norderweiterung mit einem scharf antikurdischen Kurs bezahlen zu lassen. Falls das gelingt, wird der Beitritt von Schweden und Finnland einen giftigen Beigeschmack haben. Die 300.000 SoldatInnen umfassende Eingreiftruppe dürfte zudem auch bei weitherziger Auslegung die Nato-Russland-Grundakte von 1997 verletzen. Dort ist fixiert, dass im Nato-Gebiet von Estland bis Bulgarien keine „substanziellen Kampftruppen“ stationiert werden dürfen. Die Nato-Verbände rotieren deshalb dort.

Dieser Krieg wird nicht nur mit Panzern entschieden, sondern auch mit Narrativen

Das soll zwar im Prinzip auch mit mehr westlicher Militärpräsenz so bleiben – aber nicht nur die Bundeswehr wird dauerhaft schwere Waffen im Baltikum stationieren. Ja, seit dem 24. Februar ist alles anders. Als russische Panzer auf Kiew rollten, haben sie auch diese Grundakte zermahlen. Für die Zeit nach dem Ukrainekrieg wäre es wichtig, dass der Westen und Russland wenigstens die Grundakte gemeinsam anerkennen würden. Die militärische Logik ist derzeit alternativlos. Sie demoliert als unvermeidlicher Kollateralschaden zivile Chancen.

Diese kritische Erkenntnis drängt sich noch stärker auf, wenn man vom Nato-­Gipfel in Madrid zurück auf den G7-Gipfel­ in Elmau schaut. Die G7-Staaten versorgen Kiew mit mehr Waffen und Geld. Das ist nötig, um den russischen Imperialismus einzuhegen. Kanzler Scholz hat aber zu Recht darauf beharrt, dass der Krieg in der Ukraine nicht nur mit Panzern entschieden wird, sondern auch mit Narrativen. Putin versucht die Erzählung durchzusetzen, dass der Westen in der Südukraine gegen den Rest der Welt kämpft, der unter dessen Sanktionen zu leiden habe.

Scholz hat bewusst Indien, Indonesien, Senegal, Südafrika und Argentinien nach ­Elmau eingeladen – als Symbol, dass Demokratie mehr ist als der Westen. Der Versuch, Indien und Südafrika für die Sanktionspolitik des Westens zu gewinnen, fruchtet indes nicht. Auch der Versuch, den Preis für russisches Öl zu deckeln, wird wohl erfolglos bleiben.

Wo ist die zivile Initiative des Westens? Wo ist das Angebot an den globalen Süden? Senegal Gasförderung anzubieten, ist zu wenig. Scholz wirkt wie ein Klempner, der weiß, wo die Leitung leckt, aber nicht, wo der Werkzeugkasten steht. Deutschland gibt 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus, die G7 helfen der Ukraine mit 28 Milliarden Euro und einem Marshallplan. Doch für die Bekämpfung der auch wegen des Kriegs drängenden globalen Hungerkrisen haben sie keine fünf Milliarden übrig.

Die Nato antwortet auf die russische Bedrohung militärisch überzeugend. Doch als politischer Akteur wirkt der Westen unschlüssig. Das Militärische funktioniert, das Zivile nur schleppend. Das ist gefährlich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.