Die Wahrheit: Paketbote mit Schleudertrauma

Wird die eigene Straße als „Test-Area“ für Paketboten auserkoren, ist die mittelalterliche Wurfzustellung nicht mehr weit. Kommt es zum Äußersten?

Mir stellen sich schon die Nackenhaare auf, höre ich nur das dieselschwere Röhren des Transporters, der in unserem Berliner Ortsteil Plänterwald täglich seine Runden dreht. Die Schiebetür öffnet sich und hinaus tritt der gelb-rote Mann. In unserer Straße regiert nicht das Gesetz, sondern der Paketbote. Seit Amazon, Corona und allgemeine Faulheit die Weltlage bestimmen, sind wir angewiesen auf sein Wohlwollen.

Zum Glück verstehe ich mich gut mit ihm, seit ich die Sackkarre schiebe, zentnerschwere Pakete auf meinen Rücken buckle und für die Nachbarn als Versandzentrale fungiere. Ich lasse das alles geschehen, weil es sonst böse enden könnte.

Unfassbare Geschichten finden sich im Netz zuhauf. So wollte der Paketbote einem Anwohner den Signierstift nicht zurückgeben – so einen habe er „schon lange gesucht“ –, woraufhin die Polizei die rangelnden Streithähne entknoten musste. Berüchtigt sind auch die handschriftlichen Hinweise der Boten, wo sich die Sendung denn nun eigentlich befinde: „Auf Balkon hochgeworfen“, „liegt in der Mülltonne“ oder doch „auf der Teras“? Andernorts hat ein Hermes-Angestellter derart viele Nachbarn nicht zu Hause angetroffen, dass er im Hausflur einen riesigen Götterboten aus Paketscheinen aufgeklebt hat.

Auch wenn mir bislang nichts dergleichen geschehen ist, fragte ich besorgt Volker Wissing um Rat, der mir als Bundesminister für Verkehr, Digitales und Infrastruktur vage zuständig erschien. Antwort erhielt ich von der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation. Um den Druck auf die Paketboten zu verringern, plane die Ampelkoalition, das altgediente Sechziger-Jahre-Postfahrzeug von VW namens „Fridolin“ zu reaktivieren. Der Kleinlieferwagen würde in jeden noch so schmalen Hauseingang passen und lange Laufwege reduzieren.

„Sling Executive“ meldet sich zum Dienst

Überhaupt sei es „total praktisch“, dass ich mich melden würde, schrieb die Botin von der Post. Denn meine Straße sei als „Test-Area“ auserkoren worden. Neben „Fridolin“ gebe es nämlich noch das Projekt „Schleuder“, mit dem die Kompetenzen der Paketboten merklich erweitert werden sollten.

Wurden die früher schlicht als „Fahrer“ angeheuert, heißen sie nun „Ramp Agent“, „Ramp Manager“ und „Sling Executive“. Letztere Bezeichnung bezieht sich auf eine Schleuder, die „Sling“, die jetzt im DHL-Karren mitgeführt wird. Wer künftig zur Paketzustellung nicht da ist, soll seine Sendung auch durchs geschlossene Fenster geliefert bekommen können.

Mein „Sling Executive“ führt uns sein neues Arbeitsgerät beim nächsten Paketbotenbesuch gleich vor. Eine große, hölzerne Wurfschleuder ist es. So eine, wie man sie im Mittelalter bei Belagerungen benutzt hat. Das dicke Achtung-Zerbrechlich-Paket fliegt in hohem Bogen mitten durch die berstende Fensterscheibe. Übrigens: Kommende Woche soll Kleintransporter „Fridolin“ dann wirklich starten. Ob da im Hausflur noch Platz für den aufgeklebten Götterboten von Hermes ist?

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