Geschichte des Fußballs im EM-Land: Graham’s Eleven und ihre Töchter

Um 1920 waren britische Fußballerinnen überaus populär. Die Männer reagierten darauf mit Verboten, doch die Frauen kickten weiter.

Schwarz-weiß-Aufnahme einer Trainingssituation von Fußballerinnen 1927

Kopfball­training: der Preston Ladies Football Club beim Training für eine Tour durch Schottland Foto: Fox Photos/Hulton Archive/getty images

BERLIN taz | Am Boxing Day 1920, dem zweiten Weihnachtsfeiertag, spielten im Liverpooler Goodison Park die Dick, Kerr Ladies gegen die St. Helens Ladies vor 53.000 Zuschauern. Etwa 14.000 Fans wurden abgewiesen und konnten den 4:0-Sieg der Dick, Kerr’s aus Preston nicht erleben. Zu den Heimspielen der Männer des Everton FC kamen damals im Schnitt nur 38.000 Fans.

Eine Bedrohung. Die FA, die Football Association, schritt zum Verbot und untersagte damit etwas bis dato Selbstverständliches. Die Vorformen des Fußballspiels, der Folk Football, als Dorfgemeinschaften auf großen Wiesen gegeneinander spielten, waren meist gemischtgeschlechtlich, manchmal gab es auch reine Frauenspiele, etwa Verheiratete gegen Ledige. Als der Fußball modern wurde, Regeln erhielt, in Vereinen und Ligen gespielt wurde, sind Frauen hinausgedrängt worden. Doch bald gründeten sich Frauenklubs.

Der erste war Mrs. Graham’s XI, 1881 in Schottland von Helen Graham Matthews ins Leben gerufen. Ein weiterer war der British Ladies Football Club 1895, unter anderem von der Journalistin Nettie Honeyball gegründet. Ihr Name ist ein Pseudonym, der richtige Name bis heute nicht bekannt.

1895 trat der BLFC erstmals öffentlich an: Ein Team Nord schlug ein Team Süd vor 10.000 zahlenden Zuschauern 7:1. Dass sie Eintritt verlangten, wurde den Frauen vorgeworfen. Niemand habe etwas gegen sportelnde Frauen, schrieb eine Zeitung, „solange sie bereit sind, sich bescheiden im Hintergrund zu halten“.

Harsche Reaktion aus der Männerwelt

Verbote oder Häme, das prägte den Frauenfußball von nun an. Doch aufhalten ließ er sich nicht. Als die FA wegen des Ersten Weltkriegs die Männerligen aussetzte, spielten Frauen – mit Erfolg. Zeitgenössische Berichte belegen, dass auf hohem Niveau gespielt wurde. In diesem Umfeld wurden 1917 die Dick, Kerr Ladies gegründet. Es waren Arbeiterinnen der „Dick, Kerr & Co“-Waffenfabrik, und zum sportlichen Erfolg trug eine besonders talentierte Spielerin bei: Lily Parr, etwa 1,80 Meter groß, ein Raubein, dem eine Mitspielerin attestierte, sie habe einen „Tritt wie ein Maultier“. Bemerkenswert an Parr war auch, dass sie offen lesbisch lebte und überhaupt nicht einsah, warum sie sich verstecken solle.

Die Dick, Kerr Ladies sammelten auch etwa für streikende Bergarbeiter. Die Bedrohung, die die Herren der FA erblickten, war eine soziale. Barbara Jacobs, die ein Buch über die Dick, Kerr Ladies geschrieben hat, sagt, dass Frauenfußball „für diejenigen, die die Gewerkschaften als ihre Feinde betrachteten, zu einem politisch gefährlichen Sport geworden war“.

Das Verbot von 1921 zeigte Wirkung: Die Klubs warfen die Frauen hinaus, die meisten der 150 Frauenvereine lösten sich auf. Doch so ganz war ihr Fußball nicht zu verhindern, er wurde informell gespielt. Es gibt etwa ein Foto, das 1939 englische Soldaten zeigt, wie sie Fußballerinnen trainieren. Ein anderes Foto zeigt, wie Cissie Charlton ihren Söhnen Bobby und Jackie Bälle zuspielt. Bis heute hält sich das – von den Brüdern bestrittene – Gerücht, es sei Cissie gewesen, die ihnen den Fußball beigebracht hat, der sie 1966 zu Weltmeistern machte.

Informelle Titelkämpfe

1957 fand in Berlin eine inoffizielle EM statt, die von den Manchester Corinthians, gegründet 1949, gewonnen wurde. Und um 1967/68 nahmen die Proteste zu. Die damals 19-jährige Patricia Gregory schaltete eine Zeitungsanzeige, und sowohl Spielerinnen als auch Vereine, die ihnen Plätze anboten, meldeten sich bei ihr. Gregory gründete den Verein White Ribbon. Der Funktionär Arthur Hobbs baute mit Gregory zusammen ein Netz an Ligen auf, und sie gründeten 1969 die Women’s Football Association (WFA), ein Gegenstück zur mächtigen FA.

Neben Gregory, Hobbs und ihrer WFA gab es noch andere, unabhängige Bestrebungen. Mit Blick auf Italien, wo 1970 die 1. inoffizielle WM stattgefunden hatte, rief das Ehepaar Harry und June Batt in Luton einen Verein namens Chiltern Valley Ladies ins Leben. Das Team stellte das Gros einer englischen Auswahl, die 1971 zur 2. WM nach Mexiko reiste. Über 100.000 Fans kamen dort in die Stadien, Spnsor war die Getränkefirma Martini & Rossi.

Weil die WFA ihnen die Teilnahme untersagte, nannten die Batts ihr Team „The British Independents“, gleichwohl wurden sie von der WFA ausgeschlossen, die Spielerinnen lange gesperrt. Eine der Spielerinnen war die damals 13-jährige Leah Caleb. Sie glaubt, dass die Politik der WFA gegenüber dem unabhängigen Nationalteam vieles zerstört hat. „Der Frauenfußball hatte die Möglichkeit, sich ab 71 explosionsartig zu entwickeln.“

Immerhin konnte die FA nicht anders, als 1971 – es gab bereits 44 Vereine – das Verbot von Frauenfußball aufzuheben. 1972 fand das erste offiziell lizenzierte Länderspiel statt: England gegen Schottland (3:2). WFA und FA arbeiteten zusammen, 1993 löste sich die WFA auf, und die FA übernahm die Organisation des Frauenfußballs. Das hohe Niveau von 1921 oder 1971 wird nun wieder angestrebt.

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