Streit um A 100 in Berlin: SPD findet die Autobahn-Ausfahrt

Die SPD stimmt auf ihrem Landesparteitag klar gegen den 17. Bauabschnitt. Dessen Planungen hatte der Bundesverkehrsminister vor kurzem angeschoben.

Menschen stehen hinter einem Transparent, das einen Stopp des Autobahnbaus fordert

Protest am Samstag gegen einen Weiterbau der A 100 Foto: dpa

BERLIN taz | Es war die letzte Debatte auf dem langen Landesparteitag der SPD, und eigentlich auch die einzige an diesem Sonntag, die diese Bezeichnung wirklich verdiente. Am Ende sprach sich fast eine Zweidrittelmehrheit der Delegierten gegen den Weiterbau der Stadtautobahn 100 durch Friedrichshain aus.

Die Entscheidung hat Signalcharakter in doppelter Hinsicht. Zum einen in die Partei hinein, weil die Berliner SPD seit Jahrzehnten um ihre Position zur A 100 gerungen hat; mehrfach war die Präferenz unterschiedlich ausgefallen. Nun scheinen sich die linkeren und jüngeren Kreisverbände durchgesetzt zu haben: Der erfolgreiche Antrag kam aus dem Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg. Zum anderen ist es ein Signal in Richtung Bund, denn dieser ist zuständig für den Bau von Autobahnen und finanziert ihn auch.

Auslöser für die Diskussion um den 17. Bauabschnitt der A 100 von Treptow durch Friedrichshain bis Prenzlauer Berg war die Entscheidung des FDP-geführten Bundesverkehrsministeriums, die Planungen dafür zu starten – entgegen den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag der Ampel im Bund. Und während sich Berliner Linke und Grüne schon lange gegen die Autobahn aussprechen – 2011 scheiterte gar eine Koalition auf Landesebene mit der SPD unter anderem an diesem Streitpunkt – war die Position der Sozialdemokraten unklar.

Im Wahlkampf hatten sie eine Mitbestimmung der Bür­ge­r*in­nen zur Vorbedingung für einen möglichen Weiterbau gemacht – ohne dass klar ist, wie diese Mitbestimmung überhaupt umgesetzt werden kann. Im rot-grün-roten Koalitionsvertrag von Dezember 2021 heißt es, dass in dieser Legislaturperiode die A 100 nicht weiter geplant wird, auch das ein Zugeständnis an die SPD.

Klimaschutz-Demonstranten haben am Montagmorgen in Berlin an mehreren Stellen Autobahnausfahrten blockiert. Nach Angaben der Polizei betrafen die Aktionen neun Ausfahrten oder nahe gelegene Kreuzungen. Jeweils habe sich eine einstellige Zahl von Demonstranten beteiligt. Bei Twitter veröffentlichte die Gruppe „Letzte Generation“ Fotos, die zeigten, wie Blockierer mit Transparenten im Regen auf der Straße sitzen. Es kam zu Staus, die Polizei war im Einsatz.

Betroffen waren laut Polizei seit etwa 8.30 Uhr vor allem Autobahnausfahrten im Westen Berlins: Tegeler Weg, Sachsendamm, Beusselstraße, Siemensdamm, Saatwinkler Damm, Spandauer Damm, Messe Nord, Konstanzer Straße und Seestraße. Die Gruppe „Letzte Generation“ hatte schon vor einiger Zeit angekündigt, ab dieser Woche wieder Autobahnen zu blockieren. (dpa)

Neue Situation durch FDP

Die Geg­ne­r*in­nen des Antrags aus Friedrichshain-Kreuzberg argumentierten dann auch, dass diese von Parteitagen abgesegnete Position nicht bereits nach einem halben Jahr wieder geändert werden dürfe. Doch sie hatten keine Chance in der emotionalen Debatte nach fast neun Stunden Parteitag.

Durch den nicht in der Ampel-Koalition abgesprochenen Vorstoß des Bundesverkehrsministeriums sei eine neue Situation entstanden, auf die schnell und klar reagiert werden müsse, erklärten mehrere Unterstützer*innen. Zudem sei eine verlängerte Autobahn das letzte, was Berlin für die Verkehrswende bräuchte: Denn mehr Straßen erzeugten auch mehr Autoverkehr. Die Planungen für die Autobahn seien jahrzehntealt und längst überholt.

Am Ende votierten 64,35 Prozent der Delegierten für den Antrag. Dieser fordert die SPD in Bund und Land auf, sich gegen den 17. Bauabschnitt einzusetzen. Vor allem soll das Land den Flächennutzungsplan ändern und für die Areale, die für den Autobahnbau vorgesehenen sind und frei gehalten werden, andere Nutzungen festschreiben, etwa Wohnungsbau, Urban Gardening oder Sportplätze. Auf diese Weise soll dem Bund die Möglichkeit genommen werden, die Strecke zu bauen.

Tiefe Narben in der Stadt

Derzeit laufen die Arbeiten für den 16. Abschnitt der Autobahn, der nahe der Elsenbrücke über die Spree endet. Kostenpunkt: voraussichtlich mindestens 700 Millionen Euro. Wer von Norden mit der S-Bahn zum Neuköllner Hotelkomplex Estrel fährt, wo die SPD ihren Parteitag abhielt, passiert die brachiale Baustelle der Stadtautobahn 100, die einer tiefen Narbe im Gelände gleicht. Vielleicht hat auch dieser Eindruck dazu beigetragen, dass die Partei endlich die Ausfahrt gefunden hat. Denn die noch aufwändigeren Arbeiten durch das dicht bebaute Friedrichshain würden sich über Jahre, vielleicht Jahrzehnte hinziehen.

Für Regierungschefin Franziska Giffey, die bei der Debatte nicht mehr anwesend war, ist die Entscheidung problematisch: Sie hatte sich im Vorfeld nicht gegen einen Weiterbau positioniert, sondern auf Zeit gespielt. Zusammen mit dem mageren Ergebnis bei ihrer Wiederwahl als Parteichefin – auch ohne Ge­gen­kan­di­da­t*in­nen kam sie nicht über 58,9 Prozent hinaus – dürfte das zu Diskussionen in der Partei führen.

Und noch ein weiterer erfolgreicher Antrag dürfte Giffey wenig in den Kram passen: Der Parteitag sprach sich dafür aus, schnellstmöglich mit der Ausarbeitung eines Enteignungsgesetzes zu beginnen, sofern die vom Senat eingesetzte Kommission ein solches Gesetz für rechtlich möglich hält. Die Menschen, die mit großer Mehrheit für den Volksentscheid gestimmt hatten, würden einen solchen Schritt auch von der SPD erwarten, argumentierten die Unterstützer*innen. Die Kommission soll das Ergebnis ihrer Prüfungen Ende April 2023 veröffentlichen.

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Bausenator Andreas Geisel hatte noch versucht, diese Entscheidung zu verhindern. Natürlich müsse auch noch über die Finanzierbarkeit eines solchen Gesetzes diskutiert werden; allgemein wird mit Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe gerechnet. Doch die Delegierten ließen Geisel abblitzen, ähnlich wie zuvor ihre Parteiführung bei der Wahl.

Die Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen feierte das Votum als einen „Richtungswechsel“. Allerdings gilt als unwahrscheinlich, dass die 13-köpfige Senatskommission unter Leitung der einstigen Bundesministerin Herta Däubler-Gmelin zu einer einheitlichen Empfehlung kommt.

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