G7-Treffen auf Schloss Elmau: Russland schuld an Hunger

Hilfsorganisationen halten das Engagement der G7-Staaten gegen die Nahrungskrise für unzureichend – und erinnern an deren gebrochene Versprechungen.

Ein Weizenfeld

Ein Weizenfeld in der Nähe von Saporischschja unter russischer Kontrolle im Juni 2022 Foto: ap

ELMAU taz | EU-Ratspräsident Charles Michel hat auf dem G7-Gipfel in Elmau Russland für die globale Ernährungskrise verantwortlich gemacht. Er sprach mit Blick auf die russische Blockade ukrainischer Schwarzmeerhäfen von „Hungerspielen Russlands“. Tatsächlich waren die Ukraine und Russland bis zum Beginn von Putins Angriffskrieg die größten Weizenexporteure weltweit. Bis dahin deckten sie knapp ein Drittel des globalen Bedarfs ab. Weil Russland die ukrainischen Häfen blockiert, kann Getreide nur zu einem geringen Teil exportiert werden. Moskau verhindere auf diese Weise die Ausfuhr von rund 20 Millionen Tonnen Weizen, sagte Michel.

Die Entwicklungsorganisation Oxfam weist aber darauf hin, dass die Lage für viele Länder des Globalen Südens schon vor Kriegsbeginn dramatisch war. Nach Jahrzehnten sinkender Armut sei die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen während der Pandemie „dramatisch um über 100 Millionen“ angestiegen, sagte Max Lawson von Oxfam. Die Krise in der Ukraine habe die Preisinflation bei Nahrungsmitteln und Energie nur noch einmal „massiv beschleunigt“. Was Lawson zugleich empört: Die Krisen haben „sehr große Gewinner hervorgebracht“. Seit Beginn der Pandemie gebe es 62 neue Lebensmittel-Milliardäre.

Unternehmen weltweit hätten während der Pandemie 480 Milliarden Dollar an überschüssigen Profiten gemacht. Eine einmalige Steuer auf diese Gewinne könnte den Welthunger beenden. Die Welthungerhilfe kommt zu einem negativen Urteil. „Seit über einem Jahrzehnt entfalten die Initiativen der G7-Staaten zur Hungerbekämpfung nur eine schwache Wirkung.“

Wie dramatisch die Lage in vielen Ländern des Globalen Südens inzwischen ist, hat das UN-Welternährungsprogramm zusammengefasst: Aktuell stünden 50 Millionen Menschen weltweit kurz vor einer Hungersnot. Als katastrophal schätzt die UN-Organisation die Lage vor allem in Ostafrika ein, namentlich in Äthio­pien, Somalia und dem Südsudan. Aber auch in Nigeria, im Jemen und in Afghanistan sei die Lage dramatisch. 750.000 Menschen in besonders betroffenen Ländern droht dem Bericht zufolge der Hungertod. Fast ein Zehntel der Weltbevölkerung lebt mit weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag und damit in extremer Armut.

G7-Gastgeber Olaf Scholz hat am Montag auch die Staats- und Regierungschefs der fünf Schwellen- und Entwicklungsländer Indien, Indonesien, Südafrika, Senegal und Argentinien zur G7-Runde geladen, um mit ihnen über die globale Ernährungssicherheit zu beraten. UN-Generalsekretär António Guterres war aus New York zugeschaltet. Konkret geht es um die Frage, wie Getreide aus der Ukraine exportiert werden kann. Falls die UN-Verhandlungen mit Russland zur Blockade der Schwarzmeerroute scheitern sollten, wollen die G7 den Export auf dem Landweg über Polen und Rumänien verstärken.

Es fehlt nicht an Geld – aber für andere Dinge

Hilfsorganisationen halten das für unzureichend. Die NGO Global Citizen erinnert daran, dass die G7 sich schon 2015 darauf geeinigt hätten, 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftskraft für Entwicklungs- und humanitäre Hilfe bereitzustellen. Dieses Ziel sei bis heute nicht eingehalten worden.

Dass Geld aufgetrieben werden kann, wenn der politische Wille da ist, beweist eine andere Initiative, die die G7-Regierungschefs auf Betreiben der USA am Sonntag vorgestellt haben: Die gigantische Summe von 600 Milliarden Dollar wollen die sieben Industrieländer für ein umfassendes Investitionsprogramm in den nächsten fünf Jahren bereitstellen, um Infrastrukturprojekte in ärmeren Ländern zu finanzieren. Die Initiative mit dem Namen „Partnerschaft für Globale Infrastruktur“ solle „hochwertige und nachhaltige Infrastruktur ermöglichen“, teilte US-Präsident Joe Biden mit. Allein die USA würden davon 200 Milliarden Dollar an öffentlichen und privaten Mitteln bereitstellen, „Team Europe“ 300 Milliarden, versprach EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Die G7-Initiative kann als Gegenprogramm zur sogenannten „Neuen Seidenstraßen“-Initiative verstanden werden, mit der China darum bemüht ist, mit dem Bau von Schienen, Straßen, Häfen, Pipelines und Stromleitungen Entwicklungsländer stärker an sich zu binden. Nun ziehen die westlichen Industrie­länder nach.

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