AfD-Parteitag in Riesa: Projekt Faschisierung läuft

Die AfD hat sich weiter radikalisiert, Höckes Einfluss ist gewachsen. Die völkische Strömung bestimmt den Parteitag und setzt einen neuen Vorstand durch.

Chrupalla und Weidel im Profil vor Mikrofonen, lachen sich an

Chrupalla und Weidel nach der Vorstandswahl Foto: Matthias Rietschel/reuters

RIESA taz | Wie der neue Kurs der AfD aussieht, wurde recht schnell deutlich am dritten und letzten Tag des 13. Bundesparteitags im sächsischen Riesa. Direkt nach Eröffnung der ersten Debatte stellt sich Höcke wie so häufig an diesem Wochenende ans Rednerpult in der riesigen Mehrzweckhalle und bekommt als Einziger schon nach seinem „Guten Morgen“ Applaus von den Delegierten. Er wolle mit einer „Ansage an den Verfassungsschutz starten“ sagte er. Der nämlich sei Teil des „Machtinstruments“ des „Altparteienkartells“, auf deren Einstufungen man nichts geben dürfe, sagt Höcke. „Wir bestimmen qua eigener Kraft, wer extremistisch ist.“

Höcke plädiert dafür, die Unvereinbarkeitsliste zu ändern und die Zusammenarbeit mit der kleinen rechtsextremen Scheingewerkschaft „Zentrum“, ehemals „Zentrum Automobil“, zu legalisieren. Mit der Unvereinbarkeitsliste wollte sich die AfD ursprünglich gegen Parteien wie die NPD, Terror­organisationen und militante Rechtsextreme abgrenzen. Der baden-württembergische Vertreter des völkischen Flügels, Dirk Spaniel, hatte beantragt, die Organisation von der Liste zu streichen.

Interessant waren in der Debatte auch die neuen Konfliktlinien im deutlich nach rechts geruckten Bundesvorstand: Christina Baum, neu in den Vorstand gewählte Höcke-Vertraute, sprach sich dafür aus, die Organisation von der Liste zu nehmen, Roman Reusch hingegen sprach von „Harakiri“ angesichts der AfD-Beobachtung durch den Verfassungsschutz, und Marc Jongen wies in der Debatte auf die Verbindungen des „Zentrum-Automobil“-Gründers Oliver Hilburger zum Blood-and-Honour-Terrornetzwerk hin sowie dessen Mitgliedschaft in der Neonazi-Rockband „Noie Werte“. Aber wen kümmert so etwas noch in der AfD? Eine Minderheit: Auch dank des Zuspruchs von Höcke kommt der Antrag recht locker durch: 60,17 Prozent streichen „Zentrum Automobil“ per Parteitagsbeschluss von der Unvereinbarkeitsliste.

Es ist ein Vorgeschmack darauf, wohin die extrem rechte Partei unter ihrer neuen Doppelspitze steuert. Der nach zehn Wahlniederlagen in Serie nur knapp wiedergewählte Tino Chrupalla (53 Prozent) aus Sachsen und die mit mehr Zuspruch neu gewählte Alice Weidel (67 Prozent) setzten sich zusammen mit der fast kompletten völkischen Wunschliste für den neuen Vorstand durch – mit freundlicher Unterstützung von Höcke. Der traute sich trotz großspuriger Ansagen selbst mal wieder nicht, zu kandidieren. Er begründete dies damit, dass seine Kandidatur die Partei wohl spalten dürfte. Das liege aber nicht an seiner extrem rechten Agenda, sondern an dem medialen Bild, das von ihm vermittelt werde.

„Es geht nicht mehr um ‚gemäßigt‘ und ‚radikal‘“

Mit dem Parteitag hat Höcke seinen Einfluss nicht nur durch die Zusammensetzung des Vorstands ausgebaut, sondern unter anderem auch durch seinen erfolgreichen Antrag auf eine mögliche Einzelspitze. Etliche Be­ob­ach­te­r*in­nen vermuten, dass er in zwei Jahren doch noch nach dem Parteivorsitz greift. Dann nämlich sei die Partei womöglich „reif“ für die Führung durch eine Person, wie Höcke in seiner Rede insinuierte.

Die alte und sich als gemäßigt inszenierende Meuthen-Mehrheit im Vorstand ist jedenfalls dahin – eine Palastrevolution der Reste der Selbstverharmloser um den Anfang des Jahres ausgetretenen AfD-Chef Jörg Meuthen war, wie im Vorfeld bereits vermutet, krachend gescheitert, ebenso ihre chancenlosen Kandidat*innen. Nachdem selbst das prominente Neu-Mitglied Erika Steinbach, die frühere CDU-Bundestagsabgeordnete, keinen Platz im Vorstand ergattern konnte, schickte das Lager um Beatrix von Storch teilweise nicht einmal mehr Kan­di­da­t*in­nen ins Rennen.

Der Rechtsextremismus-Experte David Begrich findet nicht erst sei dem Parteitag von Riesa, dass es bei der Analyse neue Begriffe für die jetzt noch weiter nach rechts gerückte AfD brauche. Er sagte der taz: „Es geht nicht mehr um ‚gemäßigt‘ und ‚radikal‘.“ Die AfD sei ein fragmentiertes rechtes Lager, das unterschiedliche Akzente setzt. Es gehe nicht um unterschiedliche Inhalte, sondern nur um unterschiedliches Auftreten bezüglich „Habitus, Inszenierungen und Adressierungen“, wie Begrich sagte: „Was Höcke selbst das ‚sozialpatriotische Lager‘ nennen würde, lautet im Klartext: Da wird die Faschisierung der AfD betrieben.“ Das unterlegene Lager wolle die gleichen Inhalte lediglich „in eine nationalkonservative Form“ gießen – aber die Unterschiede seien längst marginal.

Die Ergebnisse des Parteitags wertete Begrich als Sieg des völkisch-radikalen Flügels in allen Belangen. Das habe sich mit der veränderten Unvereinbarkeitsliste gezeigt, sagt Begrich: „Zentrum Automobil spielt zwar eine untergeordnete Rolle, aber die Vereinigung ist eine rechtsextreme Gründung und wird in die Mitte der Partei zurückgeholt und anerkannt.“ Mit dem neuen Vorstand ist es laut dem Politilogen wahrscheinlicher geworden, dass sich diejenigen durchsetzten, die für eine Regionalpartei Ost stehen – also dass sich die AfD gemäß ihrer Radikalisierung zu einer reinen ostdeutschen Partei verzwergen könnte, die im Westen kaum noch eine Rolle spielt.

Der rausgeworfene Kalbitz könnte zum Streitherd werden

Inhaltlich neue Ideen präsentierte die Führungsspitze Chrupalla und Weidel nicht. Wie sie den Abwärtsstrudel aus Mitgliederschwund und Wahlniederlagen aufhalten wollten, ist offen. Einzige Losung scheint zu sein: Kein öffentlicher Streit mehr und ein von Höcke abgesegneter geschlossener Bundesvorstand.

Das jedenfalls ging bereits am Sonntag schief: Die völkische Mehrheit um Höcke grillte den neuen Vorstand gleich bei der ersten inhaltlichen Debatte um eine russlandfreundliche EU-Resolution. Es wurde zu einer Feuerprobe mit dem schlechteren Ende für den Vorstand. Gleich mehrfach stimmte die Basis gegen Chrupalla und Weidel bei einer allzu russlandfreundlichen EU-Resolution von Höcke und anderen.

Ein künftiger Streitherd im Vorstand könnte der rausgeworfene Rechtsextremist Andreas Kalbitz werden. Der Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel hat der taz am Sonntag bestätigt, dass er sein Mandat für die AfD in dem Parteiausschlussverfahren gegen Kalbitz niederlegt. In einer der taz vorliegenden Erklärung schreibt Steinhöfel, dass Kalbitz „in einer demokratischen Partei ebensowenig wie ein Herr Höcke einen Platz haben sollte“.

Nach dem Parteitag sehe er „die Gefahr eines Positionswechsel in Sachen Kalbitz“. Für derartige Bestrebungen stehe Steinhöfel nicht zur Verfügung. Juristisch könne man das Verfahren „nicht mehr verlieren, sodass es auch durch jemand anderes fortgeführt werden kann“, so Steinhöfel. Das sah tatsächlich auch das Berliner Landgericht ähnlich. Aber politisch wäre eine Wende durchaus möglich: Der neue Vorstand könnte einfach auf die Idee kommen, den Ausschluss zurückzunehmen.

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