Studie zu Rassismus in der Polizei: Schlaglicht auf Alltagsrassismus

Ein Forscherteam untersucht im Auftrag der Innenverwaltung rassistische Strukturen in der Berliner Polizei. Der Bericht soll bald vorliegen.

Polizeieinsatz im Görlitzer Park in Kreuzberg Foto: picture alliance/dpa | Christophe Gateau

BERLIN taz | Es war das große Thema der vergangenen Jahre: Nicht nur im Bundesgebiet, auch in Berlin flogen vermehrt Polizisten auf, die in Chats mit rechtsextremen Inhalten geschrieben hatten. Die Ermordung des schwarzen Amerikaners George Floyd in den USA im Mai 2020 durch einen Polizisten tat ein Übrigens, dass immer lauter über rassistisch motivierte Kontrollen und Polizeigewalt diskutiert wurde. Beschwerden von nichtweißen Betroffenen über sogenanntes Racial Profling gibt es genug, aber die Polizei leugnet das Problem, weil es dazu bislang kaum Untersuchungen gab.

Das dürfte sich nun ändern. Als Reaktion darauf, dass sich der ehemalige CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer geweigert hatte, eine entsprechende bundesweite Untersuchung in Auftrag zu geben, haben vier Bundesländer eigene Rassismusstudien aufgelegt. Auch Berlin gehört dazu. Die von der Senatsverwaltung für Inneres 2021 in Auftrag gegebene Rassismusstudie über die Berliner Polizei befindet sich nun in der finalen Phase der Ausarbeitung. Bis zur Sommerpause werde sie der Senatsverwaltung für Inneres vorgelegt, sagte die Studienleiterin Christiane Howe zur taz.

Ein Jahr lang hatten die Soziologin und ihr Team vom Forschungsbereich Sicherheit und Kriminologie im Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) der Technischen Universität zu dem Thema geforscht. Die Studie ist eine qualitative Studie, auch ethnografische Forschung genannt. Anders als quantitative Studien, die repräsentativ erhoben werden, handelt es sich bei einer ethnografischen Forschung um sogenannte teilnehmende Beobachtungen vor Ort. Man geht „ins Feld“ und führt Interviews mit Beteiligten.

Zunächst hatten Howe und ihre Leute mit Betroffenenverbänden über deren Rassismuserfahrungen gesprochen. Im Anschluss nahmen sie dreieinhalb Monate in fünf verschiedenen Abteilungen und Abschnitten im Osten, Nordwesten und in der Mitte an der Polizeiarbeit teil. Auch bei einer direktionsübergreifenden Einheit und beim LKA lief das Team mit. „Tag- und Nachtdienst, häusliche Gewalt, Unfälle, Verkehrsüberprüfung – das volle Programm“, beschreibt es Howe gegenüber der taz.

Mit der Berliner Studie gibt es insgesamt vier diskriminierungskritische Landes­studien über die Polizei: Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben schon Studien, Hamburg steckt noch in den Vorbereitungen. Interessant ist, dass der Begriff „Rassismus“ in allen Studientiteln vermieden wird.

Die Bundestudie, auch Seehofer-Studie genannt, ist eine auf drei Jahre angelegte, vorrangig quantitative Studie. Abgefragt werden Motivation, Einstellung und Gewalterfahrungen im Polizeialltag. Kritiker sprechen von einer „Feelgood-Studie“. (plu)

Und wartet die Studie mit überraschenden Erkenntnissen auf? Dem Ergebnis könne sie nicht vorgreifen, sagt Howe. Um allzu große Erwartungen zu dämpfen, verrät die Soziologin immerhin das: „Wir haben nicht mit der Lupe nach Rechtsextremisten und Oberrassisten bei der Polizei gesucht.“ Was solche Personen angehe, verfüge die Polizei grundsätzlich über genug eigene Mittel auch strafrechtlicher Natur. Bei „der Feldforschung“ habe man sich vielmehr darum bemüht, Schnittstellen aufzuspüren, die bei der Polizeiarbeit Alltragsrassismus befördern. Auch um Lösungsansätze bemühe sich die Studie.

Im Kern gehe es um Fragen wie diese: Wie gelinge bei einer so anforderungsreichen, stressbesetzten Arbeit wie bei der Polizei eine gute, bürgernahe Kommunikation und Interaktion unter Wahrung von professioneller Distanz? Oder, anders ausgedrückt: „Wie bleibe ich wertschätzend handlungsfähig?“

Gespräche geführt hat das Forscherteam auch mit Biplab Basu, Mitarbeiter der Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ReachOut. Basu, der auch die „Kampagne gegen rassistische Polizeigewalt“ (KOP) gegründet hat, kennt sich aus. Zur taz sagte er am Donnerstag, er erwarte sich von der Berliner Studie nicht viel, weil die Innenverwaltung die Auftraggeberin sei. Er wolle damit nicht die Unabhängigkeit von Howe in Frage stellen, betont Basu, „aber eine Behördenstudie ist immer eine verdeckte Rechtfertigung“.

Unterstützung aus Fachkreisen

Howe selbst hatte die Frage nach einer Parteilichkeit im vergangenen Jahr mit den Worten kommentiert: Einzige Bedingung der Innenverwaltung sei gewesen, dass es sich um eine qualitative Studie handele. Ethnografische Forschung sei ohnehin ihr Spezialgebiet, sagt Howe.

Unterstützung erfahren die Soziologin und ihr Team aus wissenschaftlichen Fachkreisen. Studien wie die von Howe seien überfällig, sagt Daniela Hunold, Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht mit dem Schwerpunkt Empirische Polizeiforschung, zur taz. Die Polizei könne sich nun nicht mehr damit rausreden, es gebe keine Studienergebnisse darüber, dass es Rassismus in der Polizei gebe. Mit Argumenten wie diesen sei eine Auseinandersetzung mit dem Thema bislang blockiert worden.

Wie Howe ist Hunold spezialisiert auf ethnografische Forschung. Bei der Berliner Polizei hat Hunold bisher nicht geforscht, die Erkenntnisse aus ihren Projekten in zwei Bundesländern ließen sich aber auch auf die Berliner Behörde übertragen, sagt sie. Für Hunold steht fest: „Es gibt ganz eindeutig Racial Profiling bei der Polizei, aber es wird negiert.“

Polizeibeauftragter kommt

Das Problem sei, dass es keine klar strukturierten Wege in der Behörde gebe, wie Racial Profling von der Kollegenschaft anzeigt werden könne. Denn: Racial Profling ist strafbar. Bei einer Meldung muss ermittelt werden. Die Folge: „Die meldende Person bleibt nicht anonym und gerät in Konflikt mit Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten“, so Hunold. „Das ist das allergrößte Problem.“Eine Lösung sieht die Wissenschaftlerin deshalb in dem unabhängigen Polizeibeauftragten, den das Abgeordnetenhaus am 9. Juni wählen wird. Dieser könne ganz unabhängig Verfahren in die Wege leiten.

Als Polizeiforscherin ist Hunold lange genug im Geschäft, um die Fallstricke zu kennen: Der ethnografische Ansatz der Berliner Studie könnte möglicherweise von der Öffentlichkeit und der Polizei Berlin kritisiert werden, da dieser keine repräsentativen Ergebnisse zulasse. Umso mehr, sagt Hunold, komme es darauf an, was die Politik aus den Erkenntnissen macht.

Auf weit geöffnete Ohren stoßen solche Sätze bei Niklas Schrader, innenpolitschem Sprecher der Linkspartei. Ähnlich wie Howe und Hunold versteht er die Studie als Anfang, um identifizierte Problemfelder differenzierter zu untersuchen und darauf aufbauend Maßnahmen einzuleiten. Die Mittel für eine Ausweitung der Studie bis zum Frühjahr 2023 seien bereits in den Haushaltsplan eingestellt, sagte Schrader am Donnerstag zur taz.

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