Corona-Sommerwelle in Deutschland: Rückkehr der I-Frage

Nach Wochen der Entspannung steigen in Deutschland die Coronazahlen wieder an. Auch die Immunisierungslücke ist unverändert zu groß. Und nun?

Spritzen stecken in Impfdosenfläschen.

Studienergebnisse, die immerhin ermutigend klingen: Corona-Impfstoff von US-Hersteller Moderna Foto: Felix Schlikis/Lobeca/imago

BERLIN taz | Ein paar Wochen Entspannung, mehr war im dritten Corona-Sommer nicht drin. Und mit der stark wachsenden Zahl an Neuinfektionen rückt auch das unangenehme Thema Impfungen wieder in den Mittelpunkt.

Erst vergangene Woche hatte der Expertenrat der Bundesregierung noch eine Strategie vorgeschlagen, um die „relevante Impf­lücke“ in Deutschland zu schließen. Persönliche Einladungen, mobile Impfteams, Monitoringstrukturen – bis zur befürchteten Herbstwelle sollte ein System geschaffen werden, das die Zweifel der Ungeimpften ausräumt und allen BürgerInnen einen bestmöglichen Schutz vor schwerer Erkrankung, Folgeschäden und Tod vermittelt. Auch ohne eine allgemeine Impfpflicht.

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Jetzt aber müsste es schneller gehen, viel schneller. Noch immer haben knapp 20 Millionen Menschen in Deutschland keine einzige Dosis eines Covid-Impfstoffs erhalten. Mehr als 33 Millionen Menschen, das sind 40 Prozent der Bevölkerung, sind trotz einer zweifachen Impfung nicht umfassend durch einen Booster geschützt.

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In der besonders gefährdeten Altersgruppe der über 60-Jährigen fehlt sogar vier von fünf MitbürgerInnen die von der Ständigen Impfkommission – zumindest für über 70-Jährige – empfohlene vierte Dosis. Rechnet man alles zusammen, müssten für einen guten Impfschutz in der rollenden Welle zeitnah 65 Millionen Impfdosen verabreicht werden.

Die verbesserten Impfstoffe kommen wohl zu spät

Kompliziert wird die Situation zudem durch die Varianten des Virus. Die für die aktuelle Welle verantwortliche Variante BA.5 unterwandert die Immunität von vollständig Geimpften noch leichter als sein Vorgänger BA.2 und die ursprüngliche Omikronvariante. Das bedeutet zwar nicht, dass es bei dreifach Immunisierten zu schweren Verläufen mit BA.5 kommt, aber Geimpfte können sich noch häufiger anstecken und das Virus weitertragen. Ungenügend geschützte Menschen, von denen es in Deutschland noch sehr viele gibt, sind dadurch wieder stärker gefährdet. Erneut könnten die Krankenhäuser an ihre Belastungsgrenzen kommen.

Gleichzeitig werden angepasste Impfstoffe entwickelt, die einen zusätzlichen, in der Summe womöglich besseren Schutz vor neuen Varianten und auch Ansteckungen bieten könnten. US-Hersteller Moderna hat soeben erste Studienergebnisse vorgestellt, die ermutigend klingen. Das an Omikron angepasste Spikevax erhöht demnach die Menge an Immunmolekülen, sogenannten Antikörpern, die verschiedene Varianten des Erregers abwehren könnten. Biontech erwartet ebenfalls Daten zu einem angepassten Imfpstoff.

Zudem hat ein Booster-Vakzin von Sanofi in zwei Studien positive Ergebnisse gezeigt. Es richtet sich nicht gegen Omikron, sondern gegen die inzwischen nicht mehr zirkulierende Beta-Variante. Dennoch scheint der Impfstoff das Immunsystem besser gegen Omikron zu stimulieren als Impfungen, die auf dem in China entdeckten Original basieren.

Nun kommen diese Impfstoffe nicht vor dem Spätsommer auf den Markt, und ExpertInnen warnen davor, mit einer Impfung oder einem Booster so lange zu warten. „Die Erfahrungen mit den bisherigen Impfstoffen gegen das Virus zeigen, dass der Schutz vor schwerer Erkrankung sehr robust gegenüber den Virusvarianten ist“, sagt Sebastian Ulbert vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig.

Das Vertrauen in die Vakzine dürfte weiter sinken

„Wir wissen nicht, ob sich diese Ergebnisse auch in klinischer Wirksamkeit vor Übertragung und schwerer Erkrankung äußern werden“, sagt der britische Pharmakologe Stephan Evans von der London School of Hygiene and Tropical Medicine.

Was also tun? Für die meisten Fachleute steht fest, dass die verfügbaren Impfungen für Immungesunde nach der dritten Dosis unverändert einen guten Schutz bieten. Eine drei- oder bei älteren Mitmenschen vierfache Immunisierung ist deshalb sinnvoll, auch wenn es mit den neuen Varianten trotz Impfung immer häufiger zu Ansteckungen kommen kann.

Das gilt ebenso für den Fall, dass im Herbst eine völlig neue Variante auftaucht. Sie könnte so leicht übertragbar sein wie BA.5, aber zugleich sehr viel virulenter, also deutlich krankmachender. Darauf weist auch der Expertenrat in seiner aktuellen Stellungnahme hin.

Sofern die angekündigte Impfkampagne der Bundesregierung erneut zu wenige Menschen mobilisiert, könnten theoretisch noch Impfzertifikate in der anlaufenden Reisesaison einen Anreiz bieten. So gilt das Zertifikat von dreifach Geimpften inzwischen EU-weit ohne zeitliche Beschränkung. Wer nur zweifach immunisiert ist, verliert das Zertifikat nach neun Monaten. Was jedoch fehlt, sind die Einschränkungen. In fast allen Urlaubsländern, einschließlich Spanien, Griechenland und Italien, ist die Einreise inzwischen ohne einen Impfnachweis oder Test möglich. Allein Frankreich besteht auf den Nachweis einer Impfung oder, bei Ungeimpften, auf einen Test.

Unter diesen Voraussetzungen erscheint es schwierig, mit Impfungen für den Sommer noch Schlimmeres zu verhindern. Zumal sich derzeit Berichte über sogenannte Post-Vac-Syndrome häufen. Die Betroffenen berichten über unspezifische Symptome nach einer Covid-Impfung. Wissenschaftliche Belege für einen ursächlichen Zusammenhang gibt es zwar nicht. Das Vertrauen in die Impfungen wird durch die Erzählungen jedoch weiter geschwächt.

US-Hersteller Moderna hat soeben erste Studienergebnisse vorgestellt, die ermutigend klingen

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