Krieg im Jemen: „Ein Gefängnis wie eine Müllhalde“

Saudi-Arabien lässt 163 jemenitische Gefangene frei – angeblich Huthi-Kämpfer. Die taz konnte zwei von ihnen ausfindig machen: Sie widersprechen.

Ein Mann in einer Weste des Roten Kreuzes hilft einem Mann in weißen, langen Kaftan

Endlich wieder auf jemenitischem Boden: Ein Freigelassener wird von einem Helfer begleitet Foto: Najm Aldain Qasem

SANA'A taz | Am Morgen des 28. November 2019 fährt Muhammad Salem raus aufs Rote Meer. Mit vier Kollegen möchte er vor der Küste des jemenitischen Gouvernements Hodeidah fischen, in zwei Booten sind die Männer gemeinsam unterwegs.

Wenige Minuten nachdem sie ihr Ziel erreichen, nähert sich ihnen ein Schnellboot der Marine der arabischen Koalitionsstreitkräfte – zu denen unter anderem Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gehören – und beginnt auf die Fischer zu schießen.

Salem sagt, sie seien überrascht gewesen von dem Angriff: „Wir waren weit entfernt von ihren großen Marineschiffen.“ Durch den Beschuss sinken die Boote der Fischer – die Besatzung wird verhaftet, und auf einem Schiff der Militärkoalition nach Saudi-Arabien verschleppt. Salem wird erst im Mai 2022 wieder jemenitischen Boden betreten.

Die Koalition kämpft im Jemen gegen die vom Iran unterstützte Miliz der Huthi und nimmt immer wieder Jemeniten, die angeblich zu dieser gehören, fest. Vor allem Saudi-Arabien unterstützt die jemenitische Regierung, der bis April 2022 Abdrabbuh Mansur Hadi vorsaß – er lebt im saudischen Exil. Nun wird die Regierung von einem Präsidialen Führungsrat geleitet. Auch dessen Vorsitzender, Raschad al-Alimi, sitzt in dem nördlich an den Jemen angrenzenden Königreich.

Nur fünf von 163 Freigelassenen gehören zu den Huthis

Am 6. Mai gibt Saudi-Arabien bekannt: 163 Gefangene, die der Miliz der Huthi angehören sollen, werden freigelassen – darunter auch Salem. 108 von ihnen werden mit zwei Flugzeugen des Internationalen Roten Kreuzes aus Abha in Saudi-Arabien in die Großstadt Aden im Südjemen gebracht, 9 in die Hauptstadt Sana’a geflogen, 46 weitere reisen auf dem Landweg in den Jemen zurück.

Der UN-Sonderbeauftragte für den Jemen, Hans Grundberg, erklärt auf Twitter, dass er diesen Schritt begrüße. Auch andere internationale Organisationen loben Saudi-Arabien: Es ist eine Annäherung zwischen den Huthis und dem Königreich, das militärisch seit März 2015 gegen die Miliz vorgeht – ein Konflikt, der eine humanitäre Katastrophe auslöste.

Doch laut dem Nationalen Komitee für Gefangenenangelegenheiten der Huthis sind die meisten der Häftlinge keine Kriegsgefangenen, die zu ihnen gehören, sondern entführte jemenitische Zivilisten.

Abdul Qader al-Mortada, Leiter des Komitees, betont: „Die Namen der Personen auf der von Saudi-Arabien übermittelten Liste waren uns nicht bekannt.“ Lediglich fünf von ihnen gehörten zu der Miliz, sagt er.

„Sie schlugen mich mit dem Gewehrkolben“

Baschir Omar, Sprecher des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes im Jemen, bestätigt das: „Die am Flughafen Aden Angekommenen sind Häftlinge, keine Kriegsgefangenen. Die meisten wurden von den saudi-arabischen Behörden in Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt festgehalten.“

Abdullah al-Nahari, Kopf der Fischergenossenschaft in Hodeidah, erzählt: „Am zweiten Tag, als Muhammad Salem und seine Begleiter nicht vom Fischen zurückgekehrt waren, dachten wir, dass sie auf dem Meer gestorben sind, einige Familien hielten Trauerfeiern ab. Ein paar Tage später erhielten wir die Nachricht, dass sie am Leben waren. Seitdem haben wir darauf gewartet, dass sie freigelassen werden.“

Im Mai kommt auch Ali Ahmed frei, der hier anders heißen soll. Er ist einer von 2 Millionen jemenitischen Arbeitern im Königreich Saudi-Arabien. Anfang 2020 wird er von den Behörden unter dem Vorwurf der Kollaboration mit den Huthis festgenommen. Er soll Koordinaten an diese geschickt haben, bestimmt für die Bombardierung von Militär- und Dienstleistungseinrichtungen.

Ahmed erzählt: Im Januar 2020 sei er mit dem Auto seines Arbeitgebers dienstlich unterwegs gewesen. Er habe Explosionen auf dem Luftwaffenstützpunkt Chamis Muschait gehört – ausgelöst von Raketen der Huthis. Das habe er gefilmt, dann sei er weitergefahren. „Eine Überwachungskamera hat mich wohl entdeckt. Wenige Stunden später stürmten Sicherheitskräfte mein Zuhause, schlugen mich mit einem Gewehrkolben. Ich verlor das Bewusstsein und wurde schließlich festgenommen.“

Saudi-Arabien richtete im März sieben Jemeniten hin

„Ich wurde verhört, beschuldigt, für die Huthis zu spionieren, mit dem Tod bedroht.“ Monatelang sei er in Untersuchungshaft gesessen, bevor er in die Sammelstelle für jemenitische Gefangene verlegt worden sei. „Das Gefängnis war nicht menschenwürdig, es war wie eine Müllhalde“, so Ahmed.

Doch er ist mit dem Leben davongekommen. Im März exekutierte Saudi-Arabien 81 Menschen wegen „Loyalität zu ausländischen terroristischen Organisationen“ und „abweichender Überzeugungen“. Unter den Hingerichteten befanden sich auch sieben Jemeniten, denen vorgeworfen wurde, für die Huthis oder die Terrororganisation al-Qaida zu arbeiten.

Abdel Basset Ghazi ist Anwalt und leitet das Verteidigungskomitee für Inhaftierte im Jemen. Er sagt: „Die Entführung von Zivilisten und ihre Behandlung als Kriegsgefangene ist ein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht und ein Kriegsverbrechen der Militärkoalition.“

Die Vermittlung zwischen den Kriegsparteien läuft schleppend: Seit April besteht ein bis Anfang August verlängerter Waffenstillstand. Für Konflikt sorgt unter anderem die anhaltende Huthi-Belagerung der jemenitischen Großstadt Taiz.

Mitarbeit: Lisa Schneider

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