Pressefreiheit in Jordanien: „Wir haben ein Problem“

In Jordanien besorgen Pegasus-Bespitzelungen, Festnahmen von Medienmachenden und restriktive Gesetze Jour­na­lis­t*in­nen und Menschenrechtler*innen.

Ein Mann steht vor einer jordanischen Fahne.

Nicht immer ein Freund der Pressefreiheit: Jordaniens König Abdullah II Foto: rtr

AMMAN taz | Taghreed Risheq ahnt nichts, als sie am 6. März das verglaste Gebäude des Flughafens Queen Alia betritt. Draußen auf der Landebahn blinken noch die Lichter, die anfliegende Flugzeuge zu ihren Parkpositionen lotsen. Risheq ist müde, es ist kurz vor Mitternacht, seit 36 Stunden hat sie kein Auge zugemacht. Sie eilt, so wie die anderen Passagiere des Turkish-Airlines-Fluges Istanbul-Amman, zu den Schaltern, wo jordanische Beamte die Pässe prüfen.

Dort endet die Reise der jordanisch-amerikanischen Journalistin. „Der Beamte sagte, dass ich nicht ins Land darf.“ Weshalb, habe er ihr nicht gesagt, nur dass sie sich setzen und warten solle – ein Polizist werde gleich zu ihr kommen.

Der erklärt ihr dann, dass eine Klage nach dem jordanischen Cybercrimegesetz gegen sie anhängig sei – und sie die Nacht in Gewahrsam verbringen müsse. Auch die Versuche von Verwandten, sie durch Hinterlegung einer Sicherheit freizubekommen, scheitern laut Risheqs Angaben. Die Nacht verbringt sie in einem Verwahrungsraum mit einer Polizistin, erst gegen 11 Uhr am nächsten Tag kommt sie frei.

Der Grund für Risheqs Festnahme: Ein zwei Monate alter Tweet, in dem sie einen Journalisten für einen Artikel über den ermordeten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi kritisiert hatte. Dagegen hatte der Autor Beschwerde eingelegt. Der Tweet wurde später gelöscht. „Ich war überrascht, dass ich nicht benachrichtigt wurde, dass es einen Rechtsstreit gegen mich gibt“, sagt Risheq heute. „Ich bin keine Verbrecherin“, fügt sie hinzu.

Themen, über die nicht berichtet werden darf

Zwei Tage nach Risheqs Verhaftung, am 8. März, erfährt der US-palästinensische Journalist und ehemalige Professor an der US-amerikanischen Princeton University, Daoud Kuttab, ein ähnliches Schicksal. Auch er wird nach seiner Ankunft am Flughafen Queen Alia gestoppt. „Ich hatte von einigen Beschwerden gehört“, erzählt der 67-Jährige, „weil ich einen Artikel über die Pandora Papers geschrieben hatte.“

Kuttab ist Direktor der Nichtregierungsorganisation (NGO) Community Media Network, die die Nachrichtenwebsite Ammannet betreibt. Die Seite hatte im Oktober über die Verwicklung von König Abdullah II in den Suisse Secrets berichtet – eine Recherche zu Offshore-Strukturen bekannter Persönlichkeiten – und über die über Offshore-Konten gekauften Luxuswohnungen, die er im Ausland besitzt. Ein gewagtes Unterfangen in einem Land, in dem Kritik am König selbst für Journalisten eine rote Linie darstellt. Ammannet war offenbar das einzige jordanische Medium, das davon schrieb. Zumindest für drei Stunden.

Denn danach, so schildert es Kuttab in einem Artikel für das Magazin Foreign Policy, habe er einen Anruf vom jordanischen Nachrichtendienst bekommen, er möge bitte den Artikel löschen. Besorgt über sein Team und die künftigen Lizenzierung seiner NGO, kam Kuttab der Bitte nach, schrieb dann aber über den Vorfall und den Zustand der Pressefreiheit in Jordanien.

Bei Kuttab dauert die Festnahme deutlich kürzer als bei Risheq: Nach anderthalb Stunden wird er freigelassen. Auch gegen ihn liegt eine Beschwerde nach dem Cybercrimegesetz vor – jedoch für einen Artikel über einen US-jordanischen Investor, den er 2019 geschrieben hatte. „Das Gesetz in Jordanien erlaubt unglücklicherweise, dass Klagen wegen Cybercrime zu vorläufigen Festnahmen führen“, erläutert Kuttab. „Das Pressegesetz besagt eigentlich, dass Journalisten nicht verhaftet werden dürfen für das, was sie schreiben. Im Print.“ Aber für elektronische Zeitungen gelte das nicht.

Selbstzensur ist ein großes Problem

Immer wieder beklagen Aktivist*innen, dass dieses und weitere Gesetze als Mittel dienen, um Jour­na­lis­t*in­nen einzuschüchtern. Die Cybercrimeklagen seien „zu einem riesigen Albtraum für Jour­na­lis­t*in­nen in Jordanien geworden“, sagt der Chefredakteur des Senders Radio al-Balad, Mohammed al-Ersan. Die meisten würden sich aus Angst selbst zensieren.

Das bestätigen Umfragen des jordanischen Center for Defending Freedom of Journalists: Selbstzensur betreffe mehr als 90 Prozent der Reporter*innen. „Ich kann nicht alles schreiben, es gibt Tabu-Themen, wie die Religion“, bestätigt al-Ersan. Die Regierung übe Druck auf Jour­na­lis­t*in­nen aus, sagt Kuttab. „Das Ergebnis ist, dass sie Angst haben, und wenn sie Angst haben, machen sie ihren Job nicht richtig. Das ist ein Problem.“

Im vergangenen Monat war das Schweigen der größten, lokalen Medien über einen Brief vom Halbbruder des Königs, Prinz Hamza, besonders auffällig. Darin kündigte dieser an, auf den Titel zu verzichten, da seine persönlichen Überzeugungen und Werte nicht im Einklang mit den „Ansätzen, Trends und modernen Methoden unserer Institutionen“ stünden. Ein heikles Thema, von dem Jor­da­nie­r*in­nen hauptsächlich über soziale Netzwerke oder ausländische Medien erfahren mussten, wie auch im Fall der investigativen Berichte Suisse Secrets.

Nach den zwei Festnahmen im März gab es einen gewissen Aufruhr. Laut Medienberichten erklärte Regierungssprecher Faisal Shboul daraufhin, Jour­na­lis­t*in­nen würden in Zukunft nicht mehr an Flughäfen verhaftet. Allein in den ersten vier Monaten diesen Jahres sind laut der NGO Reporter ohne Grenzen sechs Jour­na­lis­t*in­nen festgenommen worden; teilweise wurden sie beschuldigt, Fake-News zu verbreiten.

Jordaniens Pressefreiheits-Ranking ganz okay

Eigentlich steht Jordanien laut Pressefreiheit-Ranking 2022 im regionalen Vergleich ganz okay da: Seine Position hat sich von 129 auf 120 von 180 verbessert; in Nachbarstaaten wie Saudi-Arabien, Syrien oder dem Irak sieht die Lage deutlich dramatischer aus. In Syrien etwa werden immer wieder Medienschaffende getötet, in Saudi-Arabien droht bei Gotteslästerung die Todesstrafe.

Doch kürzlich hat das jordanische Unterhaus für eine Verschärfung der Strafe, wenn man eine Nachrichtensperre umgeht, gestimmt – nun stehen bis zu drei Monaten Haft darauf. Nachrichtensperren – auch „gag orders“ genannt – verhindern etwa, dass Medien über laufende Untersuchungen berichten. Verfechter sehen darin einen Schutz vertraulicher Informationen. Jour­na­lis­t*in­nen bemängeln, dass sie in der Praxis oft genutzt werden, um öffentliche Debatten über umstrittene Themen zu verhindern.

So gab es „gag orders“ über Prinz Hamzah im Rahmen einer mutmaßlichen Verschwörung gegen König Abdullah sowie über die Proteste der Lehrkräftegewerkschaft, denen Massenverhaftungen und ein Verbot der Gruppe folgten. „Wir haben ein Problem“, sagt Kuttab, „und ich weiß nicht, wie man es lösen wird.“

Menschenrechtsorganisationen wie DAWN, deren Sprecherin Risheq ist, beklagen zudem, dass mindestens 150 politische Ak­ti­vis­t*in­nen in den vergangenen Monaten verhaftet worden seien, teilweise präventiv, unter verschiedenen Anschuldigungen. Mehrere sollen Mitglieder der Hirak-Bewegung sein, die im Zuge des Arabischen Frühlings entstand. Sie protestieren immer wieder online und offline gegen Korruption und die Regierung.

Spionage-Programm Pegasus wurde eingesetzt

Anfang April hatte auch ein Bericht der Forschungsanstalt Citizen Lab und der NGO Front Line Defenders für Unruhe gesorgt. Bereits Ende vergangenen Jahres hatten bis zu 200 jordanische Politiker*innen, Men­schen­recht­le­r*in­nen und Jour­na­lis­t*in­nen entdeckt, dass ihre Handys mit der Spähsoftware Pegasus infiziert worden waren. In dem Bericht wurden vier Fälle analysiert, teilweise gibt es Hinweise, dass jordanische Behörden involviert sein könnten. Das Nationale Zentrum für Cybersicherheit bestritt daraufhin, dass die Regierung Handys von jordanischen Bür­ge­r*in­nen ausspioniert habe.

Für die Betroffenen sind die Folgen gravierend. „Als ich entdeckt habe, dass mein Handy mit Pegasus gehackt wurde, war ich geschockt“, sagt die investigative Journalistin Suhair Jaradat. „Bis jetzt frage ich mich, wieso das mir passiert ist.“ Sie beklagt, dass nach dem Bericht lediglich ein Journalist in Jordanien über ihre Erfahrung berichtet habe. Jaradat vermutet politischen Druck dahinter. Eine Anfrage der taz an die jordanische Regierung zu den Vorwürfen der Jour­na­lis­t*in­nen und NGOs blieb unbeantwortet.

Jordanien bekommt seit Jahren Hilfsgelder – unter anderem aus europäischen Ländern – für die Förderung von Menschenrechten. Etwa 32 Millionen Euro haben die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten zwischen 2007 und 2022 dafür ausgegeben.

Risheq sagt, sie habe sich an jenem Abend am Flughafen „frustriert und wütend“ gefühlt. Eigentlich sei Jordanien, bezogen auf die Presse- und Meinungsfreiheit, „viel besser als viele andere arabische Länder“. Und fügt hinzu: „Ich möchte, dass es sich noch verbessert, nicht verschlechtert.“

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