Warnstreiks in den Häfen: Ein Streik am Ende der Lieferkette

Während der Stau der Containerschiffe in der Deutschen Bucht angekommen ist, setzt die Gewerkschaft Ver.di einen drauf und bestreikt die Häfen.

Ein Mitarbeiter steht vor einer Wand aus gestapelten Containern

Viel Arbeit im Hamburger Hafen: Gestapelte Container, hier im Jahr 2010 Foto: dpa / Marcus Brandt

HAMBURG taz | Der weltweite Stau der Containerschiffe ist auch in Nordeuropa angekommen. Allein in der Deutschen Bucht warten ein Dutzend Schiffe mit 150.000 Containern darauf, Bremerhaven oder Hamburg anlaufen zu dürfen. Trotzdem – oder gerade wegen des damit verbundenen Drohpotenzials – hat die Gewerkschaft Ver.di am Donnerstagnachmittag mehrere Tausend Beschäftigte zu einem Warnstreik aufgerufen. In Hamburg beteiligten sich nach Angaben von Ver.di mehr als 90 Prozent der Spätschicht-Belegschaft.

„Wir wollen unseren Tarifforderungen Nachdruck verleihen“, sagte Ver.di-Verhandlungs­führerin Maya Schwiegershausen-­Güth. Als Teil der kritischen Infrastruktur hätten die Beschäftigten in den letzten Jahren durchgehend gearbeitet und seien an Belastungsgrenzen gegangen. Dafür hätten sie „Anerkennung und ihren gerechten Anteil verdient“.

Der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) bezeichnete den Warnstreik als unverhältnismäßig. „Wir befinden uns mitten in einer absoluten Ausnahmesituation“, sagte ZDS-Verhandlungsführerin Ulrike Riedel. „Von der einen Seite kommt eine große Welle verspäteter Schiffe auf uns zu, auf der anderen Seite gibt es große Engpässe im Güterverkehr der Bahn.“ Jetzt zu Warnstreiks aufzurufen, sei verantwortungslos und werde auch den laufenden Tarifverhandlungen nicht gerecht.

Der ZDS hat als Vertreter der Arbeitgeberseite vorgeschlagen, die Löhne für die Beschäftigten in Containerbetrieben über zwei Jahre im Gesamtvolumen von 7 Prozent zu steigern und um 6,1 Prozent für die Mitarbeiter anderer Bereiche. Dazu käme eine Einmalzahlung von insgesamt 600 Euro. Die jährlich Pauschale für Beschäftigte in Vollcontainerbetrieben soll um 200 auf 3.500 Euro steigen. Zusammen mit dem Entlastungspaket der Bundesregierung für die Ukraine-Krise soll das die Inflation ausgleichen.

Die Forderungen

Ver.di fordert für die 12.000 Beschäftigten in den 58 tarifgebundenen Betrieben in Niedersachsen, Bremen und Hamburg dauerhaft 1,20 Euro mehr pro Stunde sowie einen „tatsächlichen Inflationsausgleich“. Die jährliche Zulage für Beschäftigte im Containerumschlag soll um 1.200 Euro steigen, der Tarifvertrag nur zwölf Monate laufen.

Die Beschäftigten in den verschiedenen Bereichen des Hafens verdienen sehr unterschiedlich. Das Grundgehalt im Containerumschlag liegt bei 60.000 Euro pro Jahr und kann durch Arbeit in der Nacht, am Wochenende sowie durch Überstunden auf über 90.000 Euro gesteigert werden. In anderen Bereichen liegt das Grundgehalt nur bei 30.000 Euro.

Allerdings laufen auch die Geschäfte der verschiedenen Sparten der Häfen mehr oder weniger gut. Während es mit dem Containerumschlag nach dem Einbruch der Coronakrise rasch wieder aufwärts ging, tut sich etwa der Auto-Export schwer. „Das sollte sich in dem Angebot auch abbilden“, sagt Leonard Kutscher vom ZDS.

Mit Blick auf den Containerverkehr sagt Vincent Stamer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW): „Es wird schon mehr gehandelt als vor der Pandemie.“ Allerdings kommen die Waren neuerdings nicht an: Nach Zählung des IfW stecken vor den Häfen Deutschlands, Belgiens und der Niederlanden gegenwärtig knapp zwei Prozent der globalen Frachtkapazität fest und können weder be- noch entladen werden.

Ursache für den Stau ist, dass die Häfen keine Container mehr unterbringen können. „Eines der größten Probleme ist seit einigen Wochen, dass Importcontainer nicht abgeholt werden und dadurch den Hafen verstopfen“, sagt etwa Hans-Jörg Heims vom Hamburger Terminalbetreiber HHLA. Normalerweise stünden Container nur zwei bis drei Tage auf den Terminals, seit ein paar Wochen seien es sechs bis sieben, in manchen Fällen sogar 30 Tage.

Ursache für den Stau in den Häfen ist, dass die Betriebe keine Container mehr unterbringen können

Warum der Weitertransport stockt, darüber kann Heims nur spekulieren. „Es könnte sein, dass die eigenen Lagerkapazitäten vieler Importeure erschöpft sind, weil diese in den letzten Jahren zurückgefahren wurden und Lagerpersonal abgebaut wurde“, sagt Heims. Aber auch der verhaltene Konsum sowie der an vielen Stellen gestörte Eisenbahnverkehr könnten Gründe sein.

Nicht nur die Schiene habe Kapazitätsprobleme, sagt Burkhard Lemper, Geschäftsführer des Bremer Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL). Dies gelte auch die Straße. So hätten die Corona- und die Ukraine-Krise den Lkw-Fahrer-Mangel verstärkt. Weitere Probleme würden verspätet einlaufende Schiffe schaffen, die dadurch wiederum Plätze im Hafen blockierten. „Das sorgt dafür, dass die Häfen wesentlich weniger effizient arbeiten, als das eigentlich möglich wäre“, sagt Lemper.

Den nachmittäglichen Ausstand der Hafenarbeiter will der Professor nicht überbewerten: „Wir reden über den Warnstreik einer Schicht, der wird die Lage nicht drastisch verschärfen, kommt aber trotzdem zu einem ungünstigen Zeitpunkt“, sagt Lemper.

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