BDZV-Rücktritt von Mathias Döpfner: Beleidigte Leberwurstigkeit

Springer-Chef Mathias Döpfner tritt als Präsident des Zeitungsverbands BDZV zurück. Damit macht er den Abgang, bevor er dazu gezwungen wird.

Portrait von Mathias Döpfner

Döpfner ist das Scheitern eigentlich nicht gewohnt Foto: Christoph Hardt/Future Image/imago

Vielleicht denkt Mathias Oliver Christian Döpfner in diesen Tagen mal wieder an seinen Vater. Der Architekturprofessor und spätere Direktor der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main war in den sechziger Jahren von rebellischen Studierenden mit Tomaten beworfen worden, was Döpfner immer mal wieder indigniert erzählte. Die Botschaft war klar: Da war einem zutiefst Unrecht widerfahren, der sich doch so gar nichts hatte zuschulden kommen lassen.

Diese mildbeleidigte Leberwurstigkeit quillt auch aus jeder Zeile von Döpfners Abschiedsbrief, mit dem er Anfang dieser Woche dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) seinen Abgang als dessen Präsident ankündigte. Natürlich tritt Döpfner nicht ab, weil er die Übergriffe von Julian Reichelt in der Bild-Chefredaktion viel zu lange hinnahm und deckte. Oder weil er in satirisch gemeinten SMS-Botschaften den deutschen Journalismus bis auf eben diesen Julian Reichelt im „neuen DDR-Obrigkeitsstaat“ angekommen sah.

Sondern, weil ihm die Arbeit über den Kopf wächst. „Axel Springer ist mit seinem Wachstum in den USA und dem Kauf von Politico, der größten Akquisition in unserer Unternehmensgeschichte, in einer entscheidenden Phase, die deutlich mehr Zeit und Präsenz von mir in Amerika erfordert“, schreibt Döpfner an seine Kol­le­g*in­nen im BDZV. Übersetzt heißt das wohl: Ätsch, macht euren Dreck dann eben alleine, ich bin ja eigentlich eh viel zu erfolgreich für eure Lobbybude.

Die ringt aktuell schwer mit sich und um ihre künftige Verfassung. Denn der eigentlich bis 2024 gewählte Präsident hat den BDZV zwar scheinbar zunächst gestärkt, in den letzten anderthalb Jahren dann aber in seinen Grundfesten erschüttert. Die schon sicher geglaubte Presseförderung fuhr im Sommer 2021 vor die Wand, das von Döpfner als Heiliger Gral vor sich hergetragene Leistungsschutzrecht für Presseverlage ist bis heute im eigenen Verband umstritten.

Worte, die nach Flucht klingen

Anfang des Jahres kündigte die Funke Mediengruppe dann auch noch ihren Austritt aus dem BDZV an, weil sie sich mit ihren Forderungen zur künftigen Arbeit und Struktur des Verbands nicht durchsetzen konnte. Die Empörung und moralische Entrüstung im Ver­le­ge­r*in­nen­la­ger über Döpfners Verhalten im Fall Reichelt ist zwar größtenteils gespielt, kam aber noch erschwerend hinzu.

Vor allem hat Döpfner das Grundschisma der Verlegerlobby nicht in den Griff bekommen: Die Großen der Branche wie Funke, Madsack oder die Südwestdeutsche Medienholding haben andere Interessen als familiengeführte Traditionsverlage auf der Schwäbischen Alb. Das gibt Döpfner in seinem Demissionsschreiben auch selbst zu. „Um stärker die Interessen kleinerer und mittelgroßer, regionaler und lokaler Verlage zu vertreten, braucht es eine Person bzw. Konstellation an der Spitze, die nicht für ein großes, internationales und sehr digitales Verlagshaus steht“, schreibt Döpfner.

Das habe in der Vergangenheit immer wieder zu Missverständnissen geführt, „Beispiel Leistungsschutzrecht: Während ich fest überzeugt bin, dass dieses Recht vor allem die kleineren schützt, behaupteten manche, es nütze vor allem den großen“, so Döpfner weiter.

Er empfiehlt dem BDZV künftig „andere Strukturen“ und vor allem „mehr Repräsentanz der lokalen und regionalen, kleinen und mittleren Verlage“. In anderen Worten: Da ist einer krachend gescheitert und macht jetzt den Abgang, bevor er von der eigenen Branche dazu gezwungen wird. Seine Worte klingen nach Flucht.

Eine Schnapsidee

Denn Döpfner ist eigentlich nicht gewohnt, zu scheitern. „Ist ihm nicht immer alles gelungen, dem Wunderkind der Verlagswirtschaft, dem Aufsteiger?“, lästerte schon 2010 die Süddeutsche Zeitung, als sich das Projekt „Schalom“ in Luft auflöste. Die schon sicher geglaubte Übernahme der ProSiebenSat.1-Sendergruppe durch Springer scheiterte damals am Nein der Kartellwächter. Aber das war höchstens eine kleine wirtschaftliche Schlappe, auch wenn sie den Konzern teuer zu stehen kam. Genauso wie der von Döpfner verantwortete Kauf des Postdienstleisters Pin AG ein paar Jahre zuvor – ein paar Millionen Verlust, okay. Aber angesichts der von Jahr zu Jahr steigenden Konzerngewinne verhältnismäßig leicht zu verschmerzen.

Ansonsten war Döpfners Karriere bei Springer ein einziger rasanter Aufstieg. 1998 kam er als Chefredakteur zur Welt. Dass da einer mehr vorhatte, als aus der strammkonservativen Pro-Kohl-Schleuder eine halbwegs lesbare Zeitung zu machen, zeigte sich schon am Willkommensgruß. Döpfner schenkte damals allen Menschen im Springer-Aufsichtsrat das Buch „Personal History“ der US-Verleger­ikone Katharine Graham von der Washington Post. Die ganz unbescheidene Botschaft lautete: Das kann ich auch.

Seitdem arbeitete Döpfner, 2000 in den Springer-Vorstand gewechselt und seit 2002 dessen Vorsitzender, an nichts Geringerem als der Reinkarnation des Axel Cäsar Springer als er selbst. Dazu gehört natürlich auch die bei Döpfner tief verwurzelte Überzeugung, Springer sei wie seinem Vater übel mitgespielt worden. Auch wenn Döpfner die Studierendenrevolte nur aus der Überlieferung kennt, wollte er die damaligen Schlachten nochmal schlagen und das in seiner Sicht schiefe Bild vom hetzenden, zutiefst konservativen Monopolverlag geraderücken.

Nichts verdeutlicht dies besser als Döpfners Schnapsidee, das Springer-Tribunal mit über 40 Jahren Verspätung doch noch stattfinden zu lassen. Das echte, im Februar 1968 vor dem Republikanischen Club begonnene, wurde kurz nach Beginn vertagt und nie fortgesetzt. Hier wollte die Studierendenbewegung dem Verlag und seinem Verleger den Prozess machen. „Reden wir davon“, hieß es zu Beginn des Tribunals, „welche Verbrechen an der Gesellschaft die Springer-Presse begeht, und warum Springer, den wir ja nicht eigentlich aufhängen, noch nicht einmal ins Gefängnis stecken, den wir ja nur in irgendeinem produktiven Beruf, beispielsweise als Herrenschneider, beschäftigt sehen möchten, warum Springer enteignet werden muss.“

Gekränkte Unschuld

Die Neuauflage sollte 2009 von Springers Gnaden im Springer-Hochhaus stattfinden. Dass die damaligen „Gegner“ aufseiten der Studierendenbewegung, darunter auch taz-Legende Christian Semler, dem Ansinnen die kalte Schulter zeigten, hat Springer/Döpfner nicht verwunden. „Bemerkenswert finden wir, dass ausgerechnet diejenigen, die immer den offenen Diskurs gefordert haben, diesen nun verweigern“, ließ sich Döpfner damals in der Verlagsmitteilung zur Tribunal-Absage zitieren.

Doch wer sich wie Springer bis heute zu Unrecht von der Studentenbewegung verfolgt fühlt, kann eben keinen ganz freien Diskurs anzetteln. Döpfner ließ aber nicht locker und verordnete seinem Laden ein Jahr später noch das „Medienarchiv68“ im Netz. Knapp 6.000 Artikel sollten belegen, dass man von Bild bis B.Z. gar nicht so schlimm war und endlich das Trauma von 1968 verscheuchen. Geklappt hat das bekanntlich nicht.

Döpfners jüngste Eskapaden erinnern vielmehr an den echten Axel Springer selbst, der sich auch über Recht und Anstand wähnte. Dass jetzt auch noch sein Doktortitel wegen Plagiatsverdacht auf dem Prüfstand steht, fällt da kaum mehr ins Gewicht. „Dank Ihrer sehr engagierten und kompetenten Arbeit hat der Verband in den letzten Jahren sehr viel erreicht“, schließt der Brief des Präsidenten an seine Verbandsgetreuen. Und kann sich in gekränkter Unschuld doch ein „Wir sollten in dieser Geschlossenheit weiter agieren. Gemeinsamkeit ist immer stärker als Partikularinteressen – vor allem, wenn sie öffentlich ausgetragen werden“ nicht verkneifen.

Vielleicht sollte Döpfner einfach mal den Beruf wechseln und beispielsweise – siehe Springer-Tribunal – Herrenschneider werden. Maßanzüge tragen kann er ja schon ganz gut.

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