Café Tekiez in Halle: Es bleibt ein Ort der Solidarität

Das Attentat von Halle machte den Kiez-Döner zu einem Tatort. Aus ihm wurde ein Café, in dem Betroffenen zugehört wurde. Nun schließt es.

Acht Menschen stehen und sitzen vor dem "Kiez-Döner", die meisten lachen und tragen Masken. Auf der Fenster-Scheibe des "Kiez-Döner" klebt ein Emoji, der Zeigefinger und Daumen aneinander drückt

Die Soligruppe rund um İsmet Tekin (3. v. r.) Foto: Jens Gyarmaty

HALLE taz | An einem Mittwoch 2019 zur Mittagszeit tritt İsmet Tekin aus der Tür des Kiez-Döners in Halle und geht einkaufen. Vor der Synagoge, kaum 500 Meter entfernt, parkt zu dieser Zeit ein Auto. Es ist nicht irgendein Mittwoch, sondern Jom Kippur, das Versöhnungsfest, der höchste jüdische Feiertag.

Ein schwer bewaffneter Mann steigt aus dem Auto. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die Synagoge zu stürmen. Der Rechtsextremist will zum Symbolträger und Vorbild werden, so kann man es seinem Schriftstück und dem verlinkten Livestream zur Tat entnehmen. Er stellt sich nicht besonders klug an, jedenfalls nicht so klug wie der Sicherheitsmann und die Betenden. Sie reagieren schnell. Vielleicht, weil Jüdinnen und Juden in Deutschland mit solch einem Anschlag rechnen.

Vor der Synagoge ermordet der Täter Jana Lange. Dann fährt er weiter zum Kiez-Döner, trifft auf İsmet Tekin, der gerade vom Einkaufen kommt, und seinen Bruder Rıfat, der an diesem Tag hinter der Theke steht. Beide bleiben körperlich unversehrt. Kevin Schwarze, ein Gast, wird ermordet. Auf seiner Flucht verletzt der Täter weitere Menschen mutwillig und entwendet ein Taxi. Bald darauf wird er von der Polizei gefasst. Dieser Tag wird fortan nur noch „Halle“ genannt, so wie „Hanau“, „Mölln“ oder „Rostock Lichtenhagen“.

Es ist schwer zu überblicken, wie viele Menschen mit den Folgen des Attentats zu kämpfen haben. İsmet Tekin fällt auf, denn er richtet seinen Kampf nach außen. Er wird nicht müde zu sagen, dass diese Tat uns alle angeht, wirbt um Solidarität und Menschlichkeit.

İsmet Tekin ging es nie um sich, sondern immer um die Sache: darum, dass der Hass nicht gewinnt; dass es Opfern rechter Gewalt besser ergeht als ihm; dass sie anerkannt und in ihren Vorhaben unterstützt werden.

Über die Zeit wird İsmet Tekin zum Hoffnungsträger. Etwa ein halbes Jahr nach der Tat versammeln sich Menschen um ihn und arbeiten mit ihm an seiner Vision, den Kiez-Döner von einem Tatort zum Treffpunkt und Gedenkort umzuwandeln. Im November 2021 öffnet schließlich das türkische Frühstückscafé Tekiez mit Sekt und Çay.

An diesem Wochenende wird es schließen. Viele haben sich gewünscht, dass es funktioniert; dass die Hoffnung nicht zuletzt, sondern nie sterben würde. Dass am Ende alles gut ist. Doch auch Hoffnung kann zur Last werden, gerade wenn anderer Ballast hinzukommt.

Sicher war auf dem Weg vom Attentat bis zur Schließung des Ladens vieles gut, ermächtigend und vielleicht sogar versöhnlich. Nach dem ersten Schock fanden die Betroffenen zusammen und eroberten sich Räume zurück. Aus der Synagogentür schufen sie ein Denkmal im Innenhof der Synagoge. Den Gerichtssaal machten sie zum historischen Schauplatz, als sie als Ne­ben­klä­ge­r*in­nen den Fokus von der Erzählung des Täters auf die ihrer Erlebnisse und politischen Forderungen lenkten.

Ein Abschiedsfest wird es nicht geben

Und auch der Kiez-Döner veränderte sich. Menschen aus der Nachbarschaft wuchsen zu einer Gruppe zusammen, die die Tekin-Brüder unterstützen. Die jüdische Studierendenunion sammelte Geld, die Stadt versprach welches. Viele Hände entfernten Möbelstücke, Wandfarbe, Bodenbelag – alles, was an die Tat erinnerte – und schufen etwas Neues.

Ein Teil der Wahrheit ist auch, dass İsmet Tekin nicht losgelöst von der Tat leben kann. Immer wieder sah er sich mit ihren Folgen konfrontiert. Zum einen ist da der Kampf um Anerkennung. Die Tat wurde erst zögerlich als rassistisch anerkannt. Vielleicht tauchte İsmet Tekin deswegen in anfänglichen Erzählungen gar nicht auf. Der Kiez-Döner wurde erst nach lauten Forderungen von Po­li­ti­ke­r*in­nen aufgesucht.

Obwohl İsmet Tekin im Kugelhagel des Täters stand, sah das Oberlandesgericht keinen versuchten Mord. Und auch wenn im Laufe der Zeit Po­li­ti­ke­r*in­nen kamen, so gingen sie meist mit Fotos und hinterließen kaum mehr als Blumenkränze. Tekin legte sich bei jedem Besuch Worte zurecht, doch er traf selten auf Gehör. Auch den Gedenkveranstaltungen der Stadt gingen keine ernsthaften Absprachen mit den Betroffenen voran.

Dazu kamen die existenziellen Sorgen. Wo Platz zum Verarbeiten sein sollte, drückten sich finanzielle Nöte in den Vordergrund. Nach dem Attentat blieben die Gäste im Laden aus. Und obwohl die Gruppe um Tekin die meisten Umbauarbeiten selbst vornahm, genügten all die Auslagen, Spenden und Versprechungen gerade, um die Fassade der Hoffnung aufrecht zu erhalten.

Die Eröffnung des Tekiez stellte sich bald als Meilenstein einer Reise heraus, nicht als ihr Ziel. Kurz darauf verwarf der Bundesgerichtshof Tekins Revisionsgesuch. Omikron wütete in Deutschland und hielt die Menschen davon ab, sich in Cafés zu setzen. Versprochene Hilfen der Stadt blieben aus. Am Ende blieb oft nicht genug Geld, um die Theke zu füllen.

İsmet Tekin selbst wollte einen Anlaufpunkt schaffen, einen Ruhepol. Einen Ort der Solidarität, wie er selbst gern sagt. Und den gab es: Am Tag vor dem ersten Jahrestag, als Menschen mit Migrationsgeschichte vor dem Laden ihre Geschichten in ein Mikrofon sprachen. In dem Jahr, als Menschen ohne einen Cent Vergütung das maßgeschneiderte Konzept für das Tekiez entwarfen, Geld zusammenkratzten und es umsetzten. Am Tag vor dem zweiten Jahrestag, als Angehörige der Opfer von Hanau und München in dem fast fertigen Laden Falafel aßen und sich austauschten.

An diesem Sonntag, dem letzten Tag des Tekiez, gibt es kein Abschiedsfest. Es ist nicht klar, wie es mit dem Raum weitergehen wird. Er wird kein Café bleiben, doch die Gruppe um Tekin hält an der Grundidee fest: Das ehemalige Café soll ein Ort der Solidarität bleiben.

İsmet Tekin fährt an diesem Wochenende nach Hanau, um andere Betroffene rechter Gewalttaten zu treffen. Dort wird er nicht erklären müssen, warum das Tekiez nicht funktioniert.

Er wird auf Menschen treffen, die anerkennen, dass der Schmerz bleibt; dass er mal aufputscht, mal lähmt. Dass der Kampf bleibt, auch weil ihn die Gesellschaft nicht anerkennt. Und dass Heilung nicht heißt, dass am Ende alles gut wird.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.