Nachrichten aus dem falschen Leben: Der Nissan

Ein Pick-up war für mich immer noch schlimmer als ein SUV. Wer, bitte, braucht eine blödsinnige Ladefläche? Ich.

Von Arno Frank

Ich musste 50 Jahre alt werden, um mich erstmals ernsthaft für ein Auto zu begeistern. Zuletzt habe ich immer mal geguckt, was es so gibt unter den Elektrischen, den Hybriden oder den Wasserstoffmobilen, was auch immer, für den Tag, an dem mein alter Kombi mal die Biege macht. Gestern aber sah ich ihn unten auf der Straße stehen. Einen Pick-up, ein »Truck«, ein Nissan D21 aus den späten Achtzigerjahren. Mit Achtzigerjahrezierstreifen!

Muhammad Ali hat mal gesagt: »Wer die Welt mit 50 noch so sieht wie mit 20, hat 30 Jahre seines Lebens verschwendet.« Ein tröstlicher Gedanke zumindest für mich, der ich bereits ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel habe. Tief ist der Brunnen der Vergangenheit, fürwahr. In letzter Zeit aber scheine ich schneller zu altern, als die Welt durch den Fortschritt ihrer Verjüngung entgegenschreitet. Das ist kein tröstlicher Gedanke.

Mit 20 lag mir das Kinderhaben noch ferner als der Pluto, das Geldhaben sowieso. Ich war schon zufrieden, wenn ich mir die »drei großen M« meines Lebens leisten konnte: Miete, Motorrad, Marihuana.

Inzwischen habe ich Kinder und sogar ein wenig Geld gespart. Nicht viel, aber genug, dass Leute, die sich mit Geld auskennen, mir dringend dazu geraten haben, es in einen Fonds zu stecken: »Du wärst blöde, wenn du das nicht tun würdest, sonst frisst dir die Inflation alles weg!« Durchaus hätte ich die – wirklich: bescheidene – Summe, statt ihr beim Verdunsten zuzusehen, in irgendein angeblich »grünes« Finanzprodukt stecken können; jedenfalls nicht in klassische Sektoren wie fossile Energie, militärische Robotik oder Großplantagen für Palmöl.

Auf dem Land begegnet der Pick-up seiner Bestimmung

Das wollte ich aber nicht. Ich arbeite für mein Geld; nicht umgekehrt. Ist vermutlich so ein »Okay, Boomer!«-Ding. Und weil es für eine richtige Immobilie nicht reichte, habe ich mir eine Holzhütte im Wald gekauft, die mit Holz beheizt wird und nicht einmal an die Kanalisation angeschlossen ist. Alles Wasser kommt aus einer Zisterne und verschwindet nach Gebrauch in einer Sickergrube, die alle Jubeljahre mal gelehrt werden muss.

Dort könnte ich, wenn auch auf einer sehr frugalen Ebene, ganz autark wunderlich werden. Weil es nun aber für ein klimaneutrales Tiny House mit ökologischer Trockentoilette im Schatten eines großen Bahnhofs nicht gereicht hat, muss ich da irgendwie hinkommen, in den Wald. Und auch wieder weg. Die Kinder müssen das auch.

Bis zur nächsten Bushaltestelle sind es zu Fuß 45 Minuten, bis zum nächsten Bimmelbahnhof wandert man etwa einen halben Tag. Überdies ist das Haus eine Baustelle. Ich lebe grün, grüner geht’s nicht – habe dafür aber einen gewissen Bedarf an Steinwolle, Dämmstoff, Holzdielen, Fallrohren, Werkzeugen, muss Müll und Grünschnitt entsorgen.

Und hier kommt der Nissan ins Spiel.

Der Pick-up war für mich immer noch schlimmer als ein SUV. Wer, bitte, braucht eine blödsinnige Ladefläche? Ich. Ich brauche die, für Steinwolle, Dämmstoff, Holzdielen, Fallrohre, Werkzeuge, Müll und Grünschnitt. Und protzig ist dieser Nissan auch nicht. Er wirkt eher wie eine japanische Durchschnittslimousine, die etwa ab der Hälfte irgendwie beschlossen hat, nützlich zu sein. In der Stadt ist er ein grotesker, fast obszöner Fremdkörper. Auf dem Land begegnet er seiner Bestimmung. Kurzum, ich habe ihn gekauft und spare jetzt darauf, ihn umrüsten zu lassen. Auf Strom, Wasserstoff, Holz oder einen noch zu erfindenden Antrieb auf Basis meines eigenen guten Gewissens.

Versprechen kann ich nichts.

»Nachrichten aus dem falschen Leben« löst ab sofort »Frag Frank« ab. Bitte also keine Fragen mehr an Arno Frank, aber gerne Nachrichten aus dem falschen Leben an ihn unter futurzwei.leserbriefe@taz.de.

Dieser Beitrag ist im März 2022 in taz FUTURZWEI N°20 erschienen.

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