Belastungen in der Coronapandemie: Melodramatischer Clown

Verschleppte Erkältungen kennt man. Aber was ist eigentlich mit verschleppten Gefühlen? Mit denen hat unsere Autorin seit der Pandemie zu kämpfen.

Auf gelbem Grund ist ein leicht schmelzendes Spaghettieis mit roter Erdbeersoße zu sehen.

Mit Spaziergängen und Spaghettieis versuchte sich unsere Autorin während der Pandemie abzulenken Foto: Robert Kneschke/mauritius images

Wir alle kennen verschleppte Erkältungen oder Krankheiten, aber seit Kurzem bemerke ich das auch bei Gefühlen. Hört sich vielleicht merkwürdig an, aber ich habe Gefühle verschleppt, und jetzt holen sie mich mit voller Wucht ein. Wut, Trauer, Verliebtheit, aber auch Neid und Ohnmacht mischen sich unter.

Die letzten zweieinhalb Jahre waren für die meisten von uns eine merkwürdige Phase. Ich bin seit der Pandemie viel mehr alleine, gehe seltener unter Menschen und arbeite viel im Homeoffice. Früher war ich ständig unterwegs, heute strengen mich soziale Situationen an. Ich habe aber auch aufgehört zu trinken, vielleicht hängt es damit zusammen. Alkohol wirkt manchmal wie eine Powerbank für den so­zia­len Akku und macht Gespräche und Abende leichter und die Morgen danach schwerer.

Ich habe in den letzten fünf Monaten viel erlebt, aber keinen Platz gehabt oder gemacht, um es zu verarbeiten. Es fehlte mir die Zeit, sag ich mir. Aber irgendwie glaube ich es mir nicht so richtig. Ich hab mich verliebt, ich hab mich geärgert, ich hab mich übergangen, überarbeitet und übersehen gefühlt. Ich war stolz, glücklich und dann wieder traurig. Ich war krank und gesund und habe mich über meinen Körper geärgert, der nicht so funktionieren will, wie ich möchte. Dann hatte ich wieder das Gefühl, undankbar zu sein. Es passiert mir doch so viel Gutes in meinem Leben, wie kann ich es wagen, traurig sein?

Zur Ablenkung habe ich mehr gearbeitet, mehr Projekte angenommen. Ich bin spazieren gegangen. Alle sagen, man soll spazieren gehen. Ich habe es gemacht, obwohl ich es wirklich hasse. Ich habe mir dann einfach Spaghettieis gekauft. Bei jedem Spaziergang. Dann habe ich traurige Musik gehört, auf einer Bank gesessen, Spaghettieis gegessen und geweint. Ich musste fast lachen, weil ich mir vorkam wie ein weinender, trauriger und ziemlich melodramatischer Clown. Wer weint schon, wenn er Spaghettieis hat?

Auseinandersetzung statt Ablenkung

Spaziergänge haben also auch nicht geholfen. Ob ich sechs Schritte oder sechs Kilometer laufe, hat an meinem Gemüt nicht viel geändert. Vielleicht erwarte ich aber auch zu viel. Ich flüchte mich in die Arbeit und halbherzige Spaziergänge, weil ich Angst habe, das Erlebte zu verarbeiten. Am liebsten würde ich die Vorspultaste drücken und alles in 1,5-facher Geschwindigkeit fühlen und verarbeiten. So, wie ich es bei allen Sprachnachrichten mache, die länger als zweieinhalb Minuten dauern. Aber das geht leider nicht.

Mein Therapeut sagt dazu: Nehmen Sie sich die Zeit und den Platz, alles in Echtzeit zu verarbeiten. Wovor haben Sie Angst? Was soll schon passieren? – Ich kann es nicht genau sagen. Ich glaube, ich hab Angst, dass alles passiert, ich alles gleichzeitig fühle und zusammenbreche, oder, noch schlimmer, gar nichts passiert, weil ich nichts mehr fühle. Viel länger darf ich das alles aber nicht verschleppen. Das ist weder bei Erkältungen noch bei Gefühlen gut.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Journalistin, Speakerin und freie Kreative. Kolumne: "Bei aller Liebe". Foto: Pako Quijada

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.