Bundestag debattiert über Sterbehilfe: Selbstbestimmt mit Würde

Der Bundestag debattierte über Beihilfe zum Suizid. Die vorgestellten Gesetzentwürfe haben unterschiedliche Beratungskonzepte.

Eine Kerze verlischt

Im Oktober will sich der Bundestag für einen der Entwürfe entscheiden Foto: Reilika Landen/plainpicture

BERLIN taz | Jeder Mensch hat das Recht, selbstbestimmt über seinen Tod zu entscheiden – so jedenfalls die Idee des Bundesverfassungsgerichts, als es Anfang 2020 das damals geltende Verbot der Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt hatte. Aufgrund der Bundestagswahl hatte es das vorige Parlament nicht mehr geschafft, zu einer Entscheidung zu kommen.

Um die Folgeregelung zu klären, führt der Bundestag am Mittwoch eine sogenannte Orientierungsdebatte durch und stellt drei Vorschläge vor. Alle drei haben gemeinsam, dass eine Beratung vorab verpflichtend ist.

Die erste Gruppe verlangt mit ihrem Entwurf, die Beihilfe zum Suizid wieder unter Strafe zu stellen. Eine Ausnahme soll gelten, wenn die sterbewillige Person volljährig und einsichtsfähig ist und mindestens zwei psychiatrische und psychotherapeutische Untersuchungen im Abstand von drei Monaten durchgeführt hat. Außerdem sollen die Betroffenen mindestens ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch absolviert haben und die freie Entscheidung ohne inneren oder äußeren Druck feststellbar sein. Zwischen der abschließenden Untersuchung und der Selbsttötung soll es eine „Wartefrist“ von mindestens zwei Wochen geben.

Zusätzlich soll es einen neuen Paragrafen 217a geben, der die „Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung“ unter Strafe stellt. Wer Sterbehilfe um „seines Vermögensvorteils wegen“ oder „in grob anstößiger Weise“ anbietet, soll sich demnach strafbar machen. Zu den In­itia­to­r:in­nen des Entwurfs gehören Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Stephan Pilsinger (CSU), Benjamin Strasser (FDP) und Kathrin Vogler (Linke).

Priorität liegt auf Selbstbestimmung

Zwei weitere Gesetzesvorschläge stellen das Recht auf selbstbestimmten Suizid in den Vordergrund und lehnen eine neue strafrechtliche Regelung ab.

Das Suizidhilfegesetz, entworfen von Katrin Helling-Plahr (FDP), Otto Fricke (FDP), Petra Sitte (Linke) und Helge Lindh (SPD), sieht ein breites Beratungsangebot vor. Frühestens zehn Tage nach einer solchen Beratung soll es Ärz­t:in­nen möglich sein, tödliche Medikamente zur Selbsteinnahme zu verabreichen.

Dabei müssen die Ärz­t:in­nen von der „Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit des Sterbewunsches“ ausgehen. Für die Durchführung plant der Entwurf den Aufbau eines Netzes von staatlich anerkannten Beratungsstellen, die Betroffene aufklären sollen. Bei diesem Vorschlag sollen alle, die „aus autonom gebildetem freiem Willen [ihrem] Leben beenden möchte[n]“, das Recht haben, „hierbei Hilfe in Anspruch zu nehmen“.

So erklärt Lindh, dass es „der falsche Weg“ sei, die Beihilfe zum Suizid unter Strafe zu stellen. „Auch, wenn wir sie rational für falsch halten“, müsse man die Debatte aus der Perspektive der Betroffenen und Helfenden sehen. Das Spannungsverhältnis zwischen „Individuum und Gesellschaft“ müsse die Gesellschaft zugunsten des Individuums aushalten, so der SPD-Abgeordnete.

Nur Ausgewählte dürfen Sterben

Ein weiterer Entwurf, verfasst von den Grünen Abgeordneten Renate Künast und Katja Keul, trägt den Namen „Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“. Dieser Entwurf sieht zwei Wege zum assistierten Suizid vor. Menschen in einer medizinischen Notlage können von ihrer behandelnden Ärz­t:in mit hinzuziehen einer weiteren Ärz­t:in ein tödliches Medikament „nach § 13 Absatz 1 Satz 1 des Betäubungsmittelgesetzes zum Zwecke der Selbsttötung“ verschrieben bekommen.

Eine solche medizinische Notlage können schwere Leiden oder starke Schmerzen sein. Sterbewillige, die sich nicht in einer medizinischen Notlage befinden, sollen sich von einer unabhängigen Beratungsstelle mindestens zwei Mal beraten lassen und eine Bescheinigung erhalten. Zudem sollen Betroffene ihren Sterbewunsch samt Ursache, Dauerhaftigkeit sowie Erklärung schriftlich formulieren.

Die Stiftung Patientenschutz sowie die evangelische Kirche kritisieren die Vorschläge. Eugen Brysch von der Stiftung betont, dass durch eine solche Beratung kein praktikabler Schutz vor Fremdbestimmung erzielt werden könne. Die Kirche fordert indes, dass es ein Suizidpräventionsgesetz geben müsse, damit es gar nicht erst zu suizidalen Gedanken kommen kann. Die Entwürfe sollen noch vor der Sommerpause beraten werden. Die Anhörungen soll es nach dem Sommer geben, damit im Oktober die Entscheidung getroffen werden kann.

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111 oder 08 00/111 0 222 oder www.telefonseelsorge.de).

Aktualisiert am 19.05.2022 um 11:25 Uhr. Im Text hieß es zuvor fälschlicherweise, dass der Gesetzentwurf der Grünen assistierten Suizid ausschließlich für Menschen in einer medizinischen Notlage vorsieht. Tatsächlich ist aber geplant, assistierten Suizid auch Menschen außerhalb medizinischer Notlagen ermöglichen, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. d. R.

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