Rassismus und Hass: Nur wenige rufen die Polizei

In Bremen haben viele Menschen Erfahrungen mit Alltagsrassismus und Hasskriminalität. Die Betroffenen tun sich schwer, Unterstützung zu bekommen.

Ein Mann hält ein Schild "Kein Platz für Hass"

Problem erkannt: gesellschaftlicher Hass Foto: Paul Zinken/dpa

BREMEN taz | „Was erleben Menschen, die vorurteilsgeleitet als ‚fremd‘ markiert werden, in Bremen? Und was können wir gegen Hasskriminalität und Alltagsrassismus tun?“ So lauten die Fragestellungen einer Studie über Hasskriminalität und Alltagsrassismus, die Studierende der Universität Bremen diese Woche vorgestellt haben.

Durchgeführt haben sie die Studie in Kooperation mit dem Bremer Rat für Integration (BRI) und der Referentin für Vielfalt und Antidiskriminierung der Polizei Bremen. Auslöser war ein Vorfall im Oktober 2020, als eine Schwarze Frau in einem Bremer Nachtbus von mehreren jungen Männern verbal angegriffen und zusammengeschlagen wurde.

50 Studierende der Kulturwissenschaft und Ab­sol­ven­t:in­nen des Masterstudiengangs Transkulturelle Studien an der Uni Bremen haben unter Anleitung der Kulturwissenschaftlerin und Diversity-Expertin Margrit E. Kaufmann 20 Interviews und eine offene anonyme Umfrage mit 123 Teil­neh­me­r:in­nen durchgeführt. Ziel sei gewesen, „das Dunkelfeld zu beleuchten, um Maßnahmen für einen besseren Schutz vor Diskriminierung und Gewalt ergreifen zu können“.

Denn es gebe zwar immer wieder Beschwerden über rassistische und vorurteilsgeleitete Diskriminierung in Bremen, aber keine Datenerhebungen. Die explorative Studie sei ein Anfang, sagen die Studierenden bei der Vorstellung der Studie im Theater Bremen.

Auf sich alllein gestellt

Dass die Studie überhaupt durchgeführt wurde, ist dem Engagement der Studierenden zu verdanken: Ehrenamtlich haben sie noch ein Dreivierteljahr über das entsprechende Seminar hinaus gearbeitet.

Ergebnis der Studie: Ein Großteil der Befragten blieb in Diskriminierungssituationen auf sich allein gestellt. 53 Prozent hatten innerhalb der vergangenen zwei Jahre selbst oder als Zeu­g:in rassistische Gewalt erlebt. Dabei ist Gewalt ein komplexer Begriff, bemerkt die Absolventin ­Juliane Lux. Mikroaggressionen wie ­Blicke oder abfällige Kommentare reichten aus, damit Betroffene sich fremd fühlen, aber Menschen wurden auch beworfen, bespuckt und ungefragt angefasst, erklärt eine andere ­Studentin.

Nur wenige der Befragten riefen die Polizei (13 Prozent), fast niemand wandte sich an eine Beratungsstelle (1 Prozent). Die meisten Betroffenen hatten das Gefühl, nichts tun zu können (42 Prozent).

Unter ihnen nannten viele, dass sie nicht wüssten, was, bzw. dass sie etwas tun könnten (14 Prozent), dass es nichts gebracht hätte (13 Prozent) oder dass sie bereits schlechte Erfahrungen mit der Polizei (12 Prozent) oder Unterstützungsangeboten (7 Prozent) gemacht hatten. Dennoch: 51 Prozent der Befragten hielten die Polizei für potenziell hilfreich.

82 Prozent der Befragten erlebten verbale Gewalt, 27 Prozent auch körperliche Angriffe

Aus ihren Erkenntnissen entwickelten die Studierenden drei Ideen: Zum einen eine dynamische, fortlaufende Sensibilisierung für das Thema in Bildungseinrichtungen und im Beruf, besonders in relevanten Berufen wie bei der Polizei. Zum Zweiten müsse es weitere Forschung geben, unabhängig, langfristig und zuverlässig finanziert.

Drittens müssten rechtliche Grundlagen geschaffen werden, etwa eine präzise Definition von Hasskriminalität, die auch verbale Straftaten einbezieht und im digitalen Raum greift. Die drei Punkte seien unbedingt als gemeinsames Paket zu verstehen, die Einbeziehung von Betroffenen sei sehr wichtig.

Libuse Cerna vom Bremer Rat für Integration moderiert die abschließende Podiumsdiskussion. Carsten Roelecke aus dem Präsidialstab der Bremer Polizei sitzt in Uniform auf der Bühne und stimmt fast allen Forderungen seiner Mit­re­fe­ren­t:in­nen enthusiastisch zu. Er betont die internen Bemühungen der Polizei, etwa den Druck auf Be­am­t:in­nen zu reduzieren, weil dieser zu unangebrachtem Zynismus führen könne.

Weißenquote abgelehnt

Einen Vorschlag aus dem Publikum nach einer Quasi-Weißenquote bei Kontrollen lehnt er indes ab. Die Polizei müsse Kontrollen mit verdächtigem Verhalten begründen, sagt ­Roelecke. Das lernen Bremer Be­am­t:in­nen mit Virtual-Reality-Brillen am virtuellen Hauptbahnhof.

Außerdem könnten Betroffene bei einer Kontrolle einen Beleg einfordern, der ihnen die Begründung der Kontrolle bescheinigt. Mehmet ­Çaçan vom Bremer Rat für Integration merkt an, dass die Hemmschwelle dafür während einer Kontrolle hoch sei, in den vergangenen sechs Monaten seien nur acht dieser Belege eingefordert worden.

Sowohl Kulturwissenschaftlerin Margit E. Kaufmann als auch Sinanoglu und die Linken-Fraktionsvorsitzende Sofia Leonidakis (letztere aus dem Publikum) warnen Institutionen davor, die notwendige Arbeit und das eigene Gewissen auf ausgelagerten Stellen abzuladen, konkret auf der neuen Polizeibeauftragten Sermin Riedel. Es brauche eine radikale Veränderung in der Polizei, ­betont ­Sinanoglu.

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