Parkplatzfreier Kiez in Berlin geplant: „Gegenwind gibt es immer“

Die Verkehrsstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg, Annika Gerold (Grüne), über die Idee, private Parkplätze aus dem Graefekiez zu verbannen.

Schilder "Böckhstraße" und Verkehrsberuhigte Zone

Großspielplatz Graefekiez? Mal sehen! Foto: dpa

taz: Frau Gerold, im Graefekiez soll ein Verkehrsexperiment stattfinden, bei dem für ein halbes oder sogar ganzes Jahr die meisten privaten Kfz-Parkplätze wegfallen sollen. Seit wann bereiten Sie das vor?

Annika Gerold: Bislang handelt es sich um einen Antrag aus der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), der noch nicht angenommen wurde. Daher laufen im Bezirksamt bislang keine konkreten Vorbereitungen. Allerdings sind wir aufgrund der wissenschaftlichen Kooperation mit dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) in einem regelmäßigem Austausch.

Wie viele Parkplätze fallen denn am Ende tatsächlich weg? Es werden ja auch neue eingerichtet.

Dazu haben wir bislang noch keine Zahlen. Die Idee ist aber, aufzuzeigen, wie der öffentliche Raum ohne Autos genutzt und erlebt werden kann. Wir haben ja bereits jetzt schon mehrere Projekte für mehr Flächengerechtigkeit, wie die „Xhain-Terrassen“ [die Nutzung von Parkplätzen am Straßenrand durch Gastronomiebetriebe, d. Red.] oder temporäre Spielstraßen. Solche Projekte ließen sich dann ausbauen. Auch Entsiegelung wäre dann möglich.

Im Graefekiez in Friedrichshain-Kreuzbergbei einem Verkehrsversuch fast alle privaten Parkplätze im öffentlichen Straßenraum wegfallen. Das fordert ein Antrag von Grünen und SPD in der Bezirksveordnetenversamlung (BVV). Sollte diese den Antrag verabschieden und das Bezirksamt ihn umsetzen, gäbe es im Rahmen des vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) begleiteten Projekts sechs bis zwölf Monate lang nur noch Parkmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen sowie für Sharing-Fahrzeuge.

Untersucht werden soll damit, wie im Sinne von mehr Flächengerechtigkeit der Straßenraum ohne parkende Autos genutzt werden kann. Einen genauen Zeitplan gibt es noch nicht. Für AnwohnerInnen soll es laut dem Antrag möglich sein, ihre Kfz für einen Sonderpreis von 30 Euro pro Monat im Parkhaus am Hermannplatz zu parken. Weitere Stellflächen würden nach Bedarf vom Bezirk angeboten. Die auch durch wiederholte Befragungen gewonnenen Erkenntnisse sollten genutzt werden, „um ein übertragbares ‚Arbeitsprogramm‘ für andere Kieze“ zu entwickeln.

In jedem Fall könnte es heftige Gegenwehr seitens der autofahrenden AnwohnerInnen geben, oder?

Solche Maßnahmen für mehr Flächengerechtigkeit verlaufen nie ohne Gegenwind. Aber aus der Befragung, die das WZB im Vorjahr in unserer Bevölkerung durchgeführt hat, wissen wir, dass die Mehrheit unserer Bür­ge­r*in­nen Verkehrswende- und Flächengerechtigkeitsprojekte befürwortet. Auch weil der Großteil der Haushalte kein eigenes Auto hat.

Das Problem im Graefekiez ist ja der hohe Parkdruck. Warum gibt es denn dort noch immer keine Parkraumbewirtschaftung?

Der gesamte Bezirk wird mittelfristig Teil der Parkraumbewirtschaftung. Daran arbeiten wir aktuell. Leider haben wir es mit einigen Herausforderungen zu tun, wie dem Fehlen von geeigneten bezirkseigenen Liegenschaften für die Dienstkräfte. Dafür müssen wir Lösungen finden. Darum haben wir auch ein Pilotprojekt initiiert, bei dem bald sogenannte Scancars testweise die digitale Kontrolle der Parkgebühren durchführen werden. Für das nächste Gebiet in Kreuzberg – den Wrangelkiez – sind die Räumlichkeiten noch ausreichend.

Erwarten Sie nicht, dass viele AutobesitzerInnen zum Parken in die umliegenden Straßen ausweichen? Dann wird das Problem am Ende nur verlagert.

Der Antrag enthält ja die Idee für Anwohner*innen, ihr Auto für 30 Euro im Monat im Parkhaus am Hermannplatz abzustellen. Das wäre ein fairer Preis für einen wohnortnahen Parkplatz, auch gemessen an den monatlichen Gesamtkosten für ein privates Auto. Daher hoffe ich, dass viele davon Gebrauch machen werden – oder den Umstieg auf Carsharing in Betracht ziehen.

1986 geboren, Volkswirtin, Grüne. Bevor sie im Dezember 2021 in Friedrichshain-Kreuzberg zur Stadträtin für Verkehr, Grünflächen, Ordnung und Umwelt gewählt wurde, war sie u. a. als Referentin bei der Senatsverwaltung für Finanzen tätig.

Große Teile des Graefekiezes sind schon lange verkehrsberuhigt, eigentlich müssten selbst RadfahrerInnen hier in Schrittgeschwindigkeit unterwegs sein. Daran hält sich bekanntlich niemand. Wollen Sie dieses Tempolimit beibehalten?

Der Antrag sieht vor, dass alle Straßen zu verkehrsberuhigten Bereichen mit Schrittgeschwindigkeit werden. Wir haben im Graefekiez allerdings auch eine Fahrradstraße. Das wäre dann im weiteren Verfahren zu prüfen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.