Putins Rede zum 9. Mai: Leidvoller Bedeutungsverlust

Russlands Präsident Putin erlebt in der Ukraine militärische Misserfolge. Wenig verwunderlich, dass auch seine Rede zum 9. Mai eher moderat ausfiel.

Wladimir Putin bei einem Gedenkmarsch zum Jahrestags des Sieges über Nazideutschland

Moskau am Montag: Wladimir Putin nimmt an einem Gedenkmarsch zum „Tag des Sieges“ teil Foto: Alexander Zemlianichenko/ap

Im 77. Jahr nach dem sowjetischen Sieg ist Russland wieder einsam geworden. Ausländische Gäste nahmen an der Feier zum Sieg über den Hitlerfaschismus auf dem Roten Platz am Sonntag nicht teil. Selbst Staaten, die den Überfall Moskaus auf die Ukraine in diesem Februar nicht öffentlich verurteilten, waren nicht zugegen. Russlands Versuch, an imperiales Verhalten anzuknüpfen, schürt bei vielen Wegbegleitern Bedenken.

Wladimir Putins Hände triefen vor Blut. In seiner elfminütigen Rede vor der Parade gab sich der Oberbefehlshaber der Streitkräfte jedoch weder blutrünstig noch schlachtbereit. Hatte er die Tonlage nur den moderateren Gepflogenheiten des Gedenktags angepasst oder signalisierte seine Zurückhaltung eine neue Einsicht, womöglich sogar Friedens- und Versöhnungsbereitschaft?

Putin hat einige Misserfolge im Ukrainefeldzug zu verantworten. Selbst vor den Toren Kiews machte die russische Streitmacht kehrt und nahm neuen Anlauf auf den Donbass. Es läuft nicht so glatt, wie es sich der bislang unbesiegte Heerführer ausgemalt haben mag. Russlands Kriegsziele schrumpfen zusammen. „Entmilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ waren ohnehin nur Hirngespinste, mit denen Putin die Wiederholung des ruhmreichen Sieges über Hitlerdeutschland simulieren wollte.

Auch der Westen erlag der Putin’schen Propaganda. Seit zehn Jahren wird die russische Armee reformiert, umgebaut und neue Superwaffensysteme werden gefeiert. Doch gibt es diese überhaupt? Stützt sich nicht auch der Sicherheitsbereich auf Angaben einer Elite, die dem Chef im Kreml vor allem Durchbrüche melden möchte? Autoritäre Systeme sind dafür anfällig.

Krieg gegen die Ukraine bedeutet einen Feldzug gegen die Demokratie. Tatsächlich richtet sich der Krieg vor allem gegen den Westen. Die Nato verkörpert für Moskaus Kleptokraten die westliche Welt. Moskau fühlt sich nicht so sehr in die Enge getrieben oder bedroht. Wohl eher leidet man am Bedeutungsverlust, der mit dem Ende des sowjetischen Imperiums einherging.

Auch Großbritannien und Frankreich verloren einst ihre Imperien und leiden bis heute darunter. Doch während Demokratien meist langfristig Mechanismen entwickeln, mit Verlusten umzugehen, träumt in Russland ein Autokrat davon, in die Geschichte einzugehen. Ohne die Ukraine ist Russland nur ein großes Land, kein Reich. Das zu ändern, hat sich der Kremlchef offenbar vorgenommen.

War es wirklich das Wetter, das am Sonntag den Einsatz der Flugstaffel über dem Roten Platz vereitelte, wie der Kreml-Pressesprecher behauptete? Man kann es auch anders deuten: als Maßnahme, knappes Fluggerät nicht für Showzwecke zu verschleißen.

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Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.

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