Bundestag debattiert über Pflegebonus: Ein „Danke“ nur als Alibi

Der Bundestag befasst sich am Donnerstag mit dem Pflegebonus. Dieser sei zu kurz gegriffen, kritisieren Pra­xis­mit­ar­bei­te­r*in­nen und Verbände.

Mitarbeiterin eines Pflegeheims betreut einen Bewohner.

Mehr Arbeitsbelastung durch Corona: Szene aus einem Pflegeheim in Baden-Württemberg Foto: Marjian Murat/dpa

BERLIN taz | Zwei Jahre lang kümmerten sie sich um die Menschen, die wegen einer schweren Coronaerkrankung nicht mehr zu Hause versorgt werden konnten. Sie schlossen Beatmungsgeräte an und wieder ab, organisierten Schutzmaßnahmen sowie die Verteilung und Betreuung anderer Pa­ti­en­t*in­nen – und das alles in einer vielerorts ohnehin knappen Personalsituation.

Pfle­ge­r*in­nen sollen nun für ihre „besonderen Leistungen während der Coronapandemie“ honoriert werden: mit einer Prämie von 1.700 Euro für Pfle­ge­r*in­nen im Krankenhaus, für In­ten­siv­pfle­ge­r*in­nen sogar 2.500 Euro. Al­ten­pfle­ge­r*in­nen bekämen 550 Euro. Das sieht das Pflegebonusgesetz vor, das die Bundesregierung beschlossen hat und das am Donnerstag erstmals im Bundestag diskutiert wird. Es richtet sich an Krankenhäuser und Altenpflegeeinrichtungen, die den Bonus steuerfrei und einmalig an Pflegekräfte auszahlen sollen. Anderes medizinisches Personal wie die Mit­ar­bei­te­r*in­nen in Arztpraxen und Rettungsdiensten hingegen gehen leer aus.

„Wir in den niedergelassenen Praxen werden vergessen und übergangen und das, obwohl wir die meiste Arbeit damit haben“, sagt Bastian Thumser. Der 28-Jährige ist Medizinischer Fachangestellter, kurz MFA, in einem medizinischen Versorgungszentrum in Unterfranken. In der Pandemie seien sie die erste Anlaufstelle für Coronapatient*innen, erzählt er. Sie nähmen PCR-Abstriche ab und kümmerten sich um die Impfungen, für die sie zusätzliche Sprechstunden eingerichtet hätten.

Die Arbeitsbelastung sei durch Corona stark gestiegen. „Wir haben alle Überstunden gemacht, das machen wir auch immer noch. Nach so einer 60-, 70-Stunden-Woche kann man einfach nicht mehr. Ich verstehe die Leute, die in dieser Zeit ihren Beruf an den Nagel gehängt haben.“

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung fordert deshalb Boni auch für Mit­ar­bei­te­r*in­nen in den Arztpraxen und Steuerbefreiung für Extra-Zahlungen, sodass Praxen vergleichbare Prämien eigenständig an ihre Mit­ar­bei­te­r*in­nen auszahlen können. Diese könnten die meisten Praxen ohne staatlichen Zuschuss aber nicht stemmen, meint Bastian Thumser. Neben den laufenden Kosten wären in der Pandemie zusätzliche Ausgaben für Schutzausrüstung dazugekommen. „Und dann noch oben drauf ein Bonus für die Mitarbeiter? Das ist schon sehr sportlich.“

Boni auch für The­ra­peu­t*in­nen und Ret­tungs­sa­ni­tä­te­r*in­nen

Dass der Bonus zu kurz greife, kritisiert auch die Opposition im Bundestag. Die Unionsfraktion fordert deshalb in einem eigenen Antrag die Auszahlung von 500 Euro für alle Vollzeitbeschäftigten im medizinischen Bereich, also auch für Pra­xis- oder Rettungsdienst­mit­ar­bei­te­r*in­nen. Die Linke will die Prämie auch auf Berufsgruppen wie The­ra­peu­t*in­nen und Reinigungskräfte ausweiten. Auch sie hätten durch die Pandemie unter großem Druck gestanden und sich bei ihrer Arbeit einer hohen Infektionsgefahr ausgesetzt, sagt der Abgeordnete Ates Gürpinar.

Dass nur Kranken- und Al­ten­pfle­ge­r*in­nen den Bonus bekommen sollen, liegt am Budget: Eine Milliarde Euro stellt Bundesfinanzminister Christian Lindner für die Auszahlung bereit – das Geld soll zu gleichen Teilen auf den Klinik- und den Altenpflegebereich aufgeteilt werden.

„Die SPD-Bundestagsfraktion sowie der Bundesgesundheitsminister haben durch verschiedene Anträge beim Bundesfinanzminister versucht, die Summe für diesen Bonus zu erhöhen, um eine Grundlage für einen erweiterten Bezugskreis zu schaffen. Dies war aber nicht erfolgreich“, räumt SPD-Abgeordneter Andreas Philippi ein. Auf eine Summe, wie hoch der Bonus stattdessen hätte sein müssen, möchte er sich nicht festlegen.

Intensivpfle­ge­r*in­nen sollen mehr bekommen

Statt einer einmaligen Prämie könnten Steuererleichterungen für alle Pflegekräfte helfen, sagt Jörn Wegner von der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Dass In­ten­siv­pfle­ge­r*in­nen mehr als Pflegekräfte auf anderen Stationen erhalten sollen, lehnt der Verband ab. Nach aktuellem Entwurf sieht das Gesetz vor, dass In­ten­siv­pfle­ge­r*in­nen das anderthalbfache des Bonus für Kran­ken­pfle­ge­r*in­nen auf anderen Stationen bekämen.

„Dies führt zu enormen Abgrenzungsproblemen und zur Ungleichbehandlung der Beschäftigten“, heißt es in einer Pressemitteilung. Der Verband empfahl deshalb den Kliniken, die Boni gleichmäßig auf alle Pfle­ge­r*in­nen zu verteilen. Dies will das Gesundheitsministerium jedoch verbieten – der aktuelle Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Kliniken die Verteilung nach dem vorgesehenen Schlüssel nachweisen müssen.

Einmalige Zahlung reicht nicht aus

Grundsätzliche Kritik am Bonus kommt vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe: Es reiche nicht aus, den Pfle­ge­r*in­nen mit einer einmaligen Zahlung „Danke“ zu sagen, heißt es in einer Pressemitteilung. „Eine Milliarde Euro sind viel Geld, dies darf nicht als Alibi für ausbleibende Investitionen herhalten.“ Dass sich die Arbeitsbedingungen der Pfle­ge­r*in­nen verbessern müssen, betonte auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach bei der Vorstellung des Gesetzesentwurfs. Er blieb jedoch konkrete Vorschläge schuldig.

Mit der Verbesserung der Pflegesituation in den Krankenhäusern alleine sei es jedoch nicht getan, sagt Bastian Thumser in Hinblick auf die Situation in den niedergelassenen Praxen. „Ich verstehe nicht, warum die Politik immer noch nur Augen für die Pflege hat. Die Pflege war jahrelang am Boden. Warum macht man das mit anderen Berufsgruppen jetzt genau so?“

Nach der ersten Beratung des Bundestags am Donnerstag folgen planmäßig zwei weitere Lesungen. Wird der Pflegebonus verabschiedet, soll er nach Plänen der Bundesregierung ab Ende Juni bis spätestens zum Jahresende ausgezahlt werden.

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