Artenschutz in Krisenzeiten: „Kein Nice-to-have in guten Zeiten“

Das Artensterben gefährdet unsere Ernährung, warnt der Chef der Weltnaturschutzunion. Regierungen müssen handeln.

Grüner Sumpf und grüner Wald

Das Moor im Grumsiner Forst in Brandenburg verbindet Arten- mit Klimaschutz Foto: Berthold Steinhilber/laif

taz: Herr Oberle, wichtige Vorverhandlungen für ein neues internationales Artenschutzabkommen sind kürzlich ergebnislos geblieben. Haben wir noch Aussicht auf ein richtig effektives, wirksames Artenschutzabkommen ab nächstem Herbst?

Bruno Oberle: Sie sprechen von den Verhandlungen in Genf und in Nairobi in den vergangenen Wochen. Das waren Diskussionen auf technischer Ebene, da trafen sich Fachleute und Beamte mit engen Verhandlungsmandaten. Auf dem Treffen der Mitgliedsstaaten in Kunming im Herbst, der Conference of the Parties (COP), kommen die Regierungen zusammen. Da wird es einen Durchbruch geben. Vor allem dann, wenn die chinesische Präsidentschaft aktiver wird.

Beobachter berichten, dass China bislang kaum Interesse an einem starken Abkommen zeigt.

Bislang ist die Präsidentschaft relativ zurückhaltend gewesen, das stimmt. Ich nehme aber an, dass die Regierung eine profiliertere Rolle annehmen wird, sie sind ja sehr erfahren in solchen Dingen.

Wie sollen angesichts des Ukrainekriegs China, Russland und der Rest der Welt gemeinsam ein gutes Abkommen zum Artenschutz beschließen?

Das ist extrem schwierig zu sagen. Der Krieg hatte bereits begonnen, als die Unea, die große UN-Umweltversammlung in Nairobi, zusammenkam. Diese Versammlung war die erfolgreichste, die dieses Gremium je hatte. Offenbar kann die Krise der internationalen Gemeinschaft auch den Effekt haben, dass die Länder zusammenrücken. Nach dem Motto, es kann doch nicht sein, dass wir in einen Zustand der gewalttätigen Konfliktlösung zurückfallen, Verhandlungen müssen immer möglich sein. Es könnte sein, dass diese Haltung sich auch in Kunming durchsetzt.

Um schnell unabhängig von Öl, Kohle und Gas aus Russland zu werden, werden vor allem technische Lösungen diskutiert: mehr und schneller Windräder bauen zum Beispiel. Kommt naturbasierter Klimaschutz, etwa die Wiedervernässung von Mooren, unter die Räder?

Bruno Oberle ist Biologe und seit 2020 Generaldirektor der Welt­natur­schutz­union IUCN, des globalen Dachverbands von Natur­schutz­ver­bänden und -be­hör­den.

Es ist eine mögliche Entwicklung, dass jetzt alle mehr auf Technik setzen. Wir wissen, dass viele Länder eine größere Autonomie sowohl bei der Energie- als auch bei der Nahrungsmittelproduktion anstreben. Sobald man dies versucht, werden dafür alle Möglichkeiten und alle Ressourcen mobilisiert. Das kann dann den Naturschutz zurückwerfen. Auf der anderen Seite wissen wir, dass die Erhaltung der Biodiversität und der intakten Ökosystemleistungen Voraussetzung für die langfristige Existenz unserer Gesellschaft ist. Nahrungsmittelsicherheit kann kurzfristig angestrebt werden, indem man Produktionsflächen ausdehnt. Langfristig benötigt man dafür aber eine intakte Biodiversität. Kurzfristige Sicherheit gegen langfristige Unsicherheit auszutauschen wäre nicht sinnvoll. Das ist auch den Entscheidungsträgern bewusst.

Wirklich? Im Zuge des Ukrainekriegs dreht die EU doch die Bemühungen für eine ökologischere Landwirtschaft zurück. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?

Ich bin nicht optimistisch. Es ist eine Tragödie, dass wir durch diesen Krieg in Europa auf ganz vielen Wegen zurückgeworfen werden. Aber langfristig können wir nur auf einem intakten Planeten überleben. Ich hoffe, die Erkenntnis setzt sich durch, dass es kein Entweder-Oder sein muss. Es gibt viele Maßnahmen, mit denen die Gesellschaften ihre Wirtschaften ankurbeln und die Biodiversität schützen können. Die EU hat ja versucht, diese Philosophie umzusetzen. Sie hat etwa 2,2 Billionen Euro ausgegeben, um die europäische Wirtschaft zu stützen. Aber nur ein Bruchteil davon stand im Einklang mit dem Umweltschutz, und nur ein paar wenige Prozent im Einklang mit dem Schutz von Artenvielfalt und natürlichen Lebensräumen. Hier gibt es also sehr viel Luft nach oben, aber möglich ist es.

Was kann die Bundesregierung hier im Rahmen ihres G7-Vorsitzes erreichen?

Ein knappes Drittel der von der Weltnaturschutzunion erfassten 138.000 Tier und Pflanzenarten gilt als „gefährdet“, „stark gefährdet“ oder sogar „vom Aussterben bedroht“. Hauptschuldiger ist der Mensch, teils durch die unmittelbare Zerstörung von Lebensräumen, teils durch die Klimakrise. Letztere versuchen die Regierungen der Welt durch das Pariser Weltklimaabkommen zu mindern. Gegen Ersteres soll es bald ein eigenes internationales Abkommen geben – wenn die durch Corona mehrfach verschobenen Verhandlungen im chinesischen Kunming erfolgreich sind. Es geht zum Beispiel darum, wie viel Fläche auf der Erde bis 2030 unter Schutz gestellt wird.

Sie hat hohe Ziele formuliert, den Schutz der Biodiversität, die nachhaltige Nutzung von Ressourcen, die Transformation der Energiesysteme. Ich gehe davon aus, dass diese Ziele nicht gestrichen werden. Sie wird nach Möglichkeiten suchen, diese Ziele mit den derzeitigen Herausforderungen in Einklang zu bringen. Es ist möglich, nachhaltige, erneuerbare Energien durchzusetzen und gleichzeitig Energiesouveränität anzustreben. Ich hoffe, dass Deutschland diese Themen hochhält.

Mal ehrlich, Krieg, Klimawandel, Pandemie – und jetzt noch die Biodiversitätskrise?

Der Schutz der Biodiversität ist kein Nice-to-have in guten Zeiten. Er ist eine Notwendigkeit für unsere Gesellschaften. Das gilt auch unter widrigen Umständen, während einer Pandemie, während eines bewaffneten Konflikts. Sonst sind unsere Gesellschaften in Gefahr. Diese Gefahr ist nicht unmittelbar, aber ihre Kosten und Fakten sind bekannt. Zu sagen, dass wir uns gerade nicht mit der Biodiversitätskrise befassen können, weil andere Probleme wichtiger sind – das ist keine Option.

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