Kampf gegen Kidnapping in Nigeria: Die Opfer werden doppelt bestraft

Die Zahlung von Lösegeld soll mit 15 Jahren Haft bestraft werden. So will die Regierung gegen Entführungen vorgehen, die das Land erfasst haben.

Eine Mutter streckt die Hände zum Gebet aus

Elternteile von entführten Schülerinnen einer High School beten für die Rückkehr ihrer Kinder, 2021 Foto: Kola Sulaimon/afp

COTONOU taz | Ein neues Gesetz soll in Nigeria endlich den Durchbruch im Kampf gegen Entführungen bringen. So sieht es zumindest der Senat. Künftig soll das Zahlen von Lösegeld mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Senator Opeyemi Bamidele, der dem Ausschuss für Justiz, Menschenrechte und Rechtsangelegenheiten vorsteht, sagte nach der Debatte, der Entwurf sei bedeutend, um die zunehmenden Fälle von Entführungen zu verhindern. Sie würden sich schnell im ganzen Land ausbreiten.

Das tun sie bereits seit Jahren. Wie viele Menschen jährlich in Nigeria gekidnappt werden, kann niemand sagen. Die allermeisten Fälle werden nicht einmal angezeigt, weil die Polizei – das haben Angehörige stets betont – nicht ausreichend ermitteln, geschweige denn die Verschleppten befreien würde. 2021 schätzte SBM Intelligence, ein in Lagos ansässiges Unternehmen für Sicherheitsanalysen, dass im ersten Halbjahr 2021 im Durchschnitt täglich 13 Menschen entführt worden seien. Die UNO sprach von mehr als 2.000 verschleppten Schulkindern im gleichen Jahr.

Neben ihnen gehören Farmer, Reisende, Geistliche, Po­li­ti­ke­r*in­nen und deren Angehörige zu den Opfern – kurzum jeder, der eine Familie hat, die sich erpressen lässt. Anders als noch in den 1990er Jahren im ölreichen Nigerdelta sind die meisten Kidnappings kein politisches Statement, sondern dienen der Erpressung von Lösegeld. Entführungswellen werden oft mit der schlechten wirtschaftlichen Lage im Land in Verbindung gebracht.

Die derzeit bekanntesten Opfer sind 62 Reisende. Ende März hatten Bewaffnete die Zugstrecke zwischen der Hauptstadt ­Abuja und der nördlicher gelegenen Provinzhauptstadt Kaduna überfallen und sie verschleppt. Fotos als Lebenszeichen wurden Anfang der Woche in sozialen Medien verbreitet. Es heißt, Mitglieder der Terrorgruppe Boko Haram seien mit Banditen verantwortlich. Gegenüber dem Sender BBC sagte ein Angehöriger: „Ich habe geweint, als ich die Fotos sah. Es ist ein Trauma für die ganze Familie.“

Weiteres Trauma

Der neue Gesetzentwurf, dem das Unterhaus ebenfalls zustimmen muss, könnte nun für ein weiteres Trauma sorgen. Damit werden Familienangehörige und Freun­d*in­nen – sie verkaufen mitunter sogar ihr Land und ihre Häuser, um die geforderte Summe aufzubringen – zu Tä­te­r*in­nen gemacht.

Als im vergangenen Jahr erstmals über ein solches Gesetz diskutiert wurde, bezeichnete es der Jurist Epiphany Azinge als „verstörend und absurd“. Opfer würden eine Entschädigung oder Wiedergutmachung verdienen, nicht jedoch noch eine zusätzliche Strafe. Der Senat hält dagegen. So könne es gelingen, Terrorgruppen den Geldhahn zuzudrehen. Der Entwurf bestärkt auch Politiker*innen, die die Lösegeldzahlungen immer wieder kritisiert hatten.

Ebenfalls Teil des Vorschlags sind harte Strafen für die Entführer. Lässt sich ein Kidnapping nachweisen, kann eine lebenslange Haftstrafe oder sogar die Todesstrafe verhängt werden. Todesurteile ergehen immer wieder, aber sie werden höchst selten vollstreckt. Bekannt sind sieben Fälle aus den Jahren 2013 und 2016.

Neben der schlechten Wirtschaftslage ist die geringe Zahl an Po­li­zis­t*in­nen Grund für die Sicherheitslücken. Vor allem in ländlichen Regionen fehlt es an Personal, wohingegen etwa internationale Organisationen, Firmen oder Po­li­ti­ke­r*in­nen gegen Geld den Dienst von Po­li­zis­t*in­nen kaufen können. Laut Idayat Hassan, Direktorin des Zentrums für Demokratie und Entwicklung (CDD) in Abuja, gibt es in Nigeria Regionen, wo auf 50.000 Ein­woh­ne­r*in­nen 30 Be­am­t*in­nen kommen.

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