Sankt Pauli ausgestellt in Stade: Moonboots im Museum

Der Kiez, wie Gegenkultur-Fotograf Günter Zint ihn sieht: Das havarierte Sankt-Pauli-Museum hat in Stade eine Art Asyl auf Zeit erhalten.

Blauer Blouson, bestickt unter anderem mit "Salambo Theater Hamburg"

Definitiv wieder tragbar: Jacke aus dem „Salambo“, 1980er-Jahre Foto: Carsten Dammann/Museen Stade

Beim Reinkommen winken uns Katzen zu: drei kleine asiatische Winkekatzen aus Plastik in einer Vitrine. Eigentlich, so lesen wir, begrüßen sie Be­su­che­r*in­nen der „Freien Republik Behrste“. – Behrste ist ein Flecken im Landkreis Stade, und Freie Republik nennt der Fotograf Günter Zint das Gehöft, auf dem er selbst, aber vor allem seine Bestände untergekommen sind – darunter auch die Exponate aus dem Sankt Pauli Museum.

Das hatte sich ab 1991 fast 30 Jahre lang vorgenommen, die wechselvolle Geschichte von Deutschlands vielleicht bekanntestem Stadtteil zu dokumentieren, und wer Zint kennt, diesen Chronisten von Beatles-Mania bis Brokdorf-Protest, von Rotlicht und Revolte, der hat eine Vorstellung, mit welchen Akzenten diese Geschichte da geschrieben wurde.

Dieses Museum, das Ende 2020 den Betrieb einstellte, ist inzwischen selbst Museumsstück: Seit dem vergangenen November zeigt der Schwedenspeicher in Stade „Der Rest vom Fest … nicht das Ende vom Lied“. Der Titel passt zum etwas scheckigen Schicksal des Museumsprojekts, aber mindestens so sehr auch zu dem des ganzen Stadtteils, der ja ein Objekt geworden ist für allerlei Gentrifizierungs-Begierden.

Dinge zum Nicht-Anfassen

Strukturiert in acht Stationen – den diversen Standorten des Zint’schen Museums – geht es da nun um legendäre Vergnügungstempel, havarierte Großbordell-Projekte oder den Häuserkampf nicht nur in der Hafenstraße. Neben den zu erwartenden Zint-Fotos passiert das auch über richtige Objekte, die ihm über die Jahrzehnte zugingen oder -fielen; Gegenstände und Dokumente, die man anfassen könnte, wenn man es denn dürfte: Kostüme des Travestie-Stars Sylvin Rubinstein und die Registrierkasse aus der Kneipe Zum Silbersack, ein echt Khüol'scher Keramik-Reliefkopf von der Fassade des Polizeireviers Davidwache und ein Kondomautomat aus dem Star-Club, ach ja: auch ein Paar der lange für die Straßenprostitution so typischen Moonboots.

Es ist schon auch Kiezromantik – oder, je nach Geschmack -kitsch – zu sehen im denkbar anderen Ambiente des einstigen Provianthauses aus dem 30-jährigen Krieg. Je nachdem, wie die Be­su­che­r*in steht, kann sie den Blick auch in die nächste Etage werfen, in die Dauerausstellung des Schwedenspeichers – dann schiebt sich schon mal das Modell einer Hansekogge ins Bild.

Zukunftsmodell Tournee?

Zweimal verlängert wurde die Laufzeit der kleinen Ausstellung, derzeit soll Ende Juni Schluss sein, aber wer weiß: Vielleicht steckt hier eine Zukunft drin für das beinahe immer prekär aufgestellte Sankt Pauli Museum? Der Appeal der ungefähr zweieinhalb Quadratkilometer Projektionsfläche: Steigt der nicht noch mit der Entfernung vom echten Stadtteil in all seiner ja teils auch ganz schön elendigen, von Armut gezeichneten Wirklichkeit?

So wie also der deutsche Südwesten lange in den Genuss eines dubiosen Pseudo-Fischmarkts kam (und Hamburg dafür ein „Stuttgarter Weindorf“ beherbergte), so könnte doch auch Sankt Pauli, wie Günter Zint es sah, durch die Lande geschickt werden, Tou­ris­t*in­nen kobern. Höher im Kurs als das, also: die Fremdenverkehrsförderung, steht im heutigen Hamburg ja nur noch der ganz und gar nicht romantische Hafen: der mit den Containern.

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Wollte irgendwann Geisteswissenschaftler werden, ließ mich aber vom Journalismus ablenken. Volontär bei der taz hamburg, später auch mal stv. Redaktionsleiter der taz nord. Seit Anfang 2017 Redakteur gerne -- aber nicht nur -- für Kulturelles i.w.S.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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