Kampf gegen IS in Sahelzone: Mali darf sich nicht wiederholen

Die internationalen Militäreinsätze in Mali gelten als gescheitert. Jetzt wird der Niger wichtigster Standort ausländischer Antiterrortruppen.

Eine blonde Frau und eine dunkelblonde Frau begrüßen zwei Soldaten und drei Männer in langen Roben vor einem Flugzeug auf dem "Luftwaffe" steht

Verteidigungsministerin Lambrecht besucht die deutsche Ausbildungsmission in Niger Foto: Kay Nietfeld/dpa

NIAMEY taz | Samstagmorgen auf einem Hinterhof am Stadtrand von Niamey, Hauptstadt von Niger. Seit vier Monaten lebt Issaka hier. Seinen richtigen Namen möchte er nicht nennen und auch nicht sagen, wie sein Heimatdorf heißt. „Man weiß nicht, wer mich erkennt. Die Angst ist zu groß“, erklärt der große hagere Mann, dessen Haare langsam grau werden.

Angst ist das beherrschende Wort, wenn Issaka über das vergangene Jahr spricht. Er kommt aus der Region Tillabéri in der Zone des trois frontières, dem Dreiländereck Niger, Mali und Burkina Faso, jenem Gebiet, das derzeit in der Sahelzone am stärksten von Terrorangriffen des „Islamischen Staats in der Größeren Sahara“ (EIGS) und der konkurrierenden „Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime“ (JNIM) betroffen ist. Dazu kommen Überfälle von bewaffneten Banden. Längst nicht immer ist klar, wer tatsächlich dahinter steckt, wenn wieder einmal Nachrichten über getötete Zivilisten die Runde machen.

Issaka beugt sich auf dem schwarzen Metallstuhl etwas nach vorne. Immer wieder sagt er über die Angreifer: „Wir wissen nicht, was sie wollen, was für ein Ziel sie haben. Alles ist unklar.“ Begonnen haben die Überfälle in seiner Region vergangenes Jahr am Ende des Fastenmonats Ramadan, erinnert er sich. Am Vormittag kamen elf oder zwölf Motorräder in den Ort, die Fahrer eröffneten das Feuer. Als jemand mit dem einzigen Auto, das im Dorf geparkt war, flüchten wollte, wurde er angeschossen. Fünf weitere Menschen wurden ermordet. „Beim zweiten Angriff starben zwei Personen, beim dritten zwölf. Dabei waren damals sogar Soldaten im Ort, um ihn zu bewachen. Sie haben sich danach zurückgezogen und hatten wohl nicht den Mut, wiederzukommen.“ Issaka hat beobachtet: „Eine kleine Gruppe von Soldaten werden Ziel von Terroristen. Diese greifen dann in großer Zahl an.“

So ähnlich laufen viele Terrorangriffe in der Sahelzone ab. Auf Motorrädern sind die Angreifer schnell und mobil. Im Dorf angekommen, wird willkürlich auf die Bevölkerung geschossen. Häuser und Geschäfte werden angezündet, Vieh gestohlen. Das schürt Angst, Unsicherheit sowie Misstrauen und macht aus Menschen psychische Wracks.

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Die Extremisten haben auch Mobilfunknetze zerstört

Ruhig geschlafen hat Issaka seit dem ersten Angriff nie wieder: „Abends verlassen alle das Dorf. Man schläft irgendwo im Busch.“ Die Angst ist auch deshalb groß, weil die Extremisten die Masten der Mobilfunknetze zerstört haben. Sich gegenseitig zu warnen oder auch zu beruhigen, ist nicht mehr möglich. Es kann auch niemand mehr arbeiten. Die Felder liegen wegen der Angst vor Übergriffen brach, der lokale Handel ist zusammengebrochen.

Besonders schwierig ist die Situation für die Kinder, sagt Issaka. Leh­re­r*in­nen können nicht mehr unterrichten und ziehen stattdessen in die Goldminen, um etwas zu verdienen. Erst Anfang April ermordeten Bewaffnete in Burkina Faso 20 Menschen, als sie eine illegale Goldmine bei Barga im Norden des Landes überfielen.

Issaka hält seine linke Hand in die Luft: „Sie haben einen Bruder umgebracht, einen Onkel, mehrere Cousins. Insgesamt sieben Menschen habe ich verloren.“ Mit dem Sammeltaxi kam er schließlich vor vier Monaten nach Niamey und fand privat Unterkunft. Frau und Kinder sind im Dorf geblieben. Das klingt grausam. Doch Männer – vor allem die Jungen – sind derzeit bei Angriffen am meisten gefährdet. Zahlreiche Familien sind auseinandergerissen.

Niger zählt laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR mittlerweile rund 265.000 Binnenvertriebene; in Tillabéri sind es mehr als 134.000. Dazu kommen etwa noch einmal so viele Flüchtlinge aus den Nachbarländern. Das bitterarme Land liegt direkt zwischen den besonders von terroristischer Gewalt betroffenen Gebieten von Mali und Burkina Faso im Westen und der Region rund um den Tschadsee im Osten, wo Boko Haram aus Nigeria und der „Islamische Staat Provinz Westafrika“ (ISWAP) aktiv sind.

Niger gilt als bester EU-Verbündeter der Region

Dabei gilt Niger als das letzte noch stabile Land im Sahel, als bester Verbündeter Frankreichs und Europas. In Mali und Burkina Faso gab es Militärputsche; in Tschad hievten die Generäle vor genau einem Jahr nach dem Tod des Langzeitpräsidenten Idriss Déby dessen Sohn Mahamat Idriss Déby an die Macht. Wahlen und die Rückkehr zu einer zivilen Regierung sind nirgends in Sicht.

In Niger wird darüber diskutiert, wie weit eine verstärkte Präsenz internationaler Armeen das Land sichern kann. Klar ist: Frankreich zieht sich aus dem Nachbarland Mali zurück, wo noch weit über 15.000 ausländische Sol­da­t*in­nen stationiert sind, meist im Rahmen der UN-Mission Minusma. Die französische Antiterrormission „Barkhane“, die seit zehn Jahren mit mehreren Tausend Soldaten Terrorgruppen in Mali bekämpft, gilt als gescheitert.

Während des Besuchs der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock in Niger und Mali vergangene Woche sagte ihr nigrischer Amtskollege Hassoumi Massoudou, man erwarte, „dass mit dem Abzug der französischen Streitkräfte aus Nordmali ein größerer Druck von Terroristen auf unser Land ausgeübt wird“.

Boniface Cissé, Eirene

„Dass Waffen nicht helfen, sehen wir seit zehn Jahren in Mali“

Schon jetzt sind zahlreiche ausländische Streitkräfte in Niger. Frankreich will nun auch seine als Nachfolger von Barkhane konzipierte „Operation Takuba“, in der europäische Spezialkräfte Terroristen jagen, aus Mali nach Niger verlegen. Niamey ist ein logistisches Drehkreuz für die Bundeswehrsoldaten in der UN-Mission in Mali. „Operation Gazelle“ der Bundeswehr bildet seit 2018 nigrische Spezialkräfte aus.

Polizei- und Militärposten sind häufig Anschlagsziele

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht bezeichnete dies gerade als Erfolgsmodell und schlug im Rahmen ihrer Sahelreise wenige Tage vor der von Baerbock vor, EUTM Mali in EUTM Sahel umzubenennen. Eine weitere Mission ist die Polizeiausbildungsmission EUCAP Sahel Niger, in deren Rahmen mobile Grenzkontrollstationen entstanden sind. So lassen sich Bewaffnete leichter über Grenzen hinweg verfolgen – andererseits kann so auch Migration bekämpft werden, etwa aus Nigeria.

Boniface Cissé arbeitet im Sahelbüro der nichtstaatlichen Organisation Eirene (Internationaler Christlicher Friedensdienst) in Niamey. In allen drei Staaten des Zentralsahel, Niger, Mali und Burkina Faso, hat er gearbeitet. „Die Sicherheitslage ist schlecht. An viele Einsatzorte können wir nicht mehr mit dem Auto fahren“, lautet seine Zusammenfassung der Lage. In den vergangenen zehn Jahren habe sich die Situation mehr und mehr verschlechtert. Cissé ist skeptisch gegenüber der Vorstellung, dass internationale Militärmissionen in Niger die Region noch stabilisieren können. „In Mali hat das nicht die erwarteten Erfolge gebracht“, sagt er. Dort hat sich die Gewalt von Norden in Richtung Zentrum und in das südliche Nachbarland Burkina Faso ausgebreitet. „Wir müssen die Frage stellen dürfen, ob das die Lösung ist.“ Schließlich seien Polizei- und Militärposten häufige Anschlagziele. „Ganz persönlich meine ich: Das ist keine Lösung.“

Terroristen, mahnt Cissé, nutzen schlechte Regierungsführung, Korruption und Klientelismus aus und gewinnen damit Anhänger*innen. „Jungen Menschen, die aufgrund von Vetternwirtschaft keine Chance auf einen Job haben, versprechen sie: Wenn ihr mitmacht, erhaltet ihr Arbeit.“ Aus seiner Sicht müssen lokale Lösungen her, und zwar durch Verhandlungen. Das hätten mittlerweile alle drei Staaten erkannt. „Dass Waffen nicht helfen, sehen wir seit zehn Jahren in Mali.“

In Gesprächen in Niamey teilen diese Einstellung viele Menschen. Der gescheiterte Militäransatz von Mali ist allgegenwärtig und soll sich keinesfalls hier wiederholen. In seinem Hinterhof zuckt Issaka mit den Schultern. „Wenn Soldaten aus Europa uns helfen, wäre es eine Möglichkeit“, sagt er vage. Jede Chance müsse genutzt werden, damit er endlich wieder zurück zu seiner Familie kann – ohne in ständiger Angst zu leben.

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