Alkohol im Ukraine-Krieg: Kein Aprilscherz

Nach mehrwöchigem Verbot ist in der Hauptstadt Kiew wieder Alkohol erhältlich. Ob das gut oder schlecht ist – daran scheiden sich die Geister.

Ein mann steht vor einem halb leeren Regal mit Alkohol

In Kiew füllen sich die Alkohol-Regale in den Supermärkten wieder Foto: Volodymyr Kutsenko

KIEW taz | Die Behörden in der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben nach einem vierwöchigen Verbot zum 1. April den Verkauf alkoholischer Getränke wieder genehmigt. Allerdings nur zwischen 11 und 16 Uhr. Die Aufhebung des Verbots, das seit dem 5. Tag des russischen Großangriffs auf die Ukraine galt, betraf auch die Gastronomie. Jetzt können sich Restaurantbesucher wieder alkoholische Getränke bestellen. Nur: der Ansturm bleibt bislang aus. Es gibt auch noch nicht besonders viele Gäste in den Restaurants und Cafés, die in der ukrainischen Hauptstadt jetzt langsam wieder ihre Arbeit aufnehmen.

Angela, eine Kellnerin in einem der bereits wieder eröffneten kleinen Restaurant mit kaukasischer Küche erzählt, dass in den ersten zwei Stunden nach der Aufhebung des Verbots noch kein einziger Kunde Alkohol bestellt habe, nicht einmal ein Glas Wein. „Wir hatten heute erst zehn Gäste“, erzählt sie. „Zu uns kommen jetzt vor allem Ausländer. Vielleicht sind das Journalisten.“ Über eine Preiserhöhung bei Alkohol weiß die junge Frau bislang nichts.

Anders die Situation in den hauptstädtischen Supermärkten. Der Verkäufer Petro räumt seit dem frühen Morgen Bierflaschen in die Regale, die sofort aus dem Verkauf genommen worden waren, als das Gesetz in Kraft trat. „Dass das Verbot aufgehoben wurde, ist erst am Vorabend bekannt gegeben worden. Wir konnten uns noch nicht vorbereiten. Jetzt stellen wir die Sachen wieder raus“, erzählt der Mann. Er lacht: „Schauen wir mal, ob da gleich jemand hysterisch Hamsterkäufe tätigt.“ Und ernst fügt er dann noch hinzu: „Mir scheint, die Menschen haben jetzt andere Sorgen.“

Die Meinung, dass jetzt nicht die Zeit für Alkohol und Partys sei, ist ziemlich weit verbreitet. In den sozialen Netzwerken reagieren die Kiewer auf die Nachricht über die Aufhebung des Alkoholverbots eher zurückhaltend. Die meisten Kommentare gehen in Richtung „nicht die beste Idee“. „Kiew darf jetzt nicht nachlassen, denn die Gefahr von Angriffen ist überall noch groß, selbst wenn die ukrainische Armee die Städte im Großraum Kiew befreit“, meint zum Beispiel der Aktivist Waleri.

Haushalt konsolidieren

„Ich verstehe, dass man den Staatshaushalt konsolidieren muss. Aber wenn man bedenkt, wie viele Waffen aktuell im Umlauf sind und wie groß das Bedürfnis ist, jetzt nach einem Monat in der Hölle den Stresspegel zu senken, dann sollte man mit so einer Entscheidung sehr vorsichtig sein“, kommentiert Sergei aus Kiew die Neuerung auf seiner Facebookseite. „Das ist einfach Quatsch und keine gute Entscheidung“, so der Tenor in den Kommentaren zu diesem Post.

„Vermutlich ist das ein Aprilscherz. Ich hoffe, dass sie es am 2. April wieder verbieten. Für solche Änderungen ist es noch zu früh“, meint Olesja aus Kiew.

Doch obwohl viele Menschen in der ukrainischen Hauptstadt die Entscheidung der lokalen Behörden eher kritisch sehen, statt sich zu freuen, gibt es auch andere Meinungen. „Ich habe den ganzen Monat sehr hart gearbeitet. Heute habe ich mir mal frei genommen und mir eine ukrainischen Calvados gekauft, fast wie in den Kriegsromanen von Erich Maria Remarque. Ich muss einfach mal ein bisschen runterkommen“, erklärt Roman, der im Supermarkt vor dem Schnapsregal steht.

Auch Andrei hat beschlossen, sich an diesem Tag mal wieder Alkohol zu kaufen, allerdings aus einem anderen Grund. „Ich werde unbedingt eine Flasche Sekt und eine Flasche Wein kaufen“, sagt er. Und fügt hinzu „Man muss auf den Sieg vorbereitet sein. Nach dem Sieg werden wir trinken.“

Die Autorin war Teilnehmerin eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.