Erster American Song Contest: Viel Kitsch, kaum Charakter

Aktuell läuft erstmalig der American Song Contest. Der Sendung fehlt jedoch noch der kalkulierte Wahnsinn seines europäischen Gegenstücks.

Porträt von Clarkson und Snoop Dogg

Nicht Schuld am mäßigen Erfolg der Show: Mo­de­ra­to­r:in­nen Kelly Clarkson und Snoop Dogg Foto: Chris Haston/Dave Bjerke/NBC/dpa

NEW YORK taz | Wer in New York in den vergangenen Wochen Subway gefahren ist, konnte an Snoop Dogg und Kelly Clarkson eigentlich nicht vorbeikommen. Der Rapper und die Sängerin strahlten als Starmoderationsteam für den American Song Contest von Werbetafeln an etlichen Haltestellen. Auch während der Halbzeitshow des Superbowls hatte der TV-Sender NBC eine Reklame geschaltet für die Sendung, die als US-amerikanischer Eurovision-Song-Contest-Ableger erfolgreich sein soll.

Nach den ersten drei Vorrunden des bis zum 9. Mai laufenden Spektakels bestätigt sich jedoch: Die Kopie ist leider nur ein Abklatsch. Dabei liegt es wahrlich nicht am Talent der Mu­si­ke­r:in­nen – es ist nur nicht zu erkennen, was den American Song Contest vom Reigen der anderen Castingshows im US-Fernsehen unterscheidet. In Europa sorgt schon die sonst unübliche länderübergreifende Abstimmungsweise für Abgrenzung. Doch ist es vor allem die Exzentrik des Wettbewerbs, das Schrille, das in jedem Text über den ESC auch das Wort Kult auftauchen lässt.

Im deutschsprachigen TV ist der Ame­ri­can Song Contest dienstags um 21.50 Uhr auf Servus TV zu sehen, in der Woche nach der US-Ausstrahlung.

Diese oft mit dem englischen Wort camp beschriebene überbordende Schrägheit der oft bizarren Darbietungen lässt das Publikum wahlweise begeistert oder ratlos zurück – das gehört zum ESC-Pläsier dazu. Deswegen stand von Anfang an beim American Song Contest die Frage im Raum: Wie schräg darf es für die Vereinigten Staaten denn sein?

Insgesamt treten die 50 Bundesstaaten an, außerdem fünf Außengebiete und der District of Columbia mit der Hauptstadt Washington. Bis zur dritten Vorrunde war zumindest ein Song auf dem Eurovision-Albernheitslevel, nämlich der des Cowboy­rappers Ryan Charles aus Wyoming: Sein Sprechgesang in „New Boot Goofin’ “ im Westernoutfit vor neonleuchtender Schuhladenkulisse handelt von einem Paar neuer Stiefel aus dem Leder der ­Texas-Klapperschlange – „so verdammt frisch, dass die Rassel noch klappert“. Lustig, ein bisschen bescheuert, nix für Tierrechtler:innen, aber sonst ein gänzlich harmloses Liedchen, bei dem unflätige Ausdrücke natürlich wie üblich nicht zur Gänze mitgesungen werden („sons of …“).

Aufgeräumte Heiterkeit

Ein bisschen an die aufgeräumte Heiterkeit von Kinderfernsehen erinnerte auch das Duo Courtship, das den Bundesstaat Oregon im Nordwesten der USA vertritt. Zu ihrem Song „Million Dollar Smoothies“ wirbeln Tänzerinnen als grüne Smoothies verkleidet im To-go-Plastikbecher über die Bühne.

In ihrem Vorstellungseinspieler witzelten die beiden Jungs aus Oregon noch über den Hipsterruf, den vor allem die Stadt Portland in ihrem Bundesstaat genießt. Überhaupt wurde in den Einspielern, die wie beim ESC vor den Auftritten der Künst­le­r:in­nen gezeigt werden, nicht mit Klischees gespart – sondern mit ihnen gespielt und kokettiert. Die Gruppe Yam spielt in ihrem Video Eishockey auf einem der Tausenden Seen in Minnesota und entschuldigt sich am Ende – eine Anspielung auf die Höflichkeit, die den Menschen aus dem Mittleren Westen nachgesagt wird. Sängerin Nitro Nitra aus Delaware erklärt, dass ihr Bundesstaat als erster die Verfassung ratifiziert habe – und die Heimat des mehrwertsteuerfreien Shoppings sei.

Feuerwerksfontänenkitsch

Und in der Vorstellungsrunde des „The Voice“-Gewinners Jordan Smith aus Kentucky im Bible Belt geht es neben dem Kentucky Derby um die Rolle der Kirche und des Glaubens. Der, sagt er, spiele eine Rolle in seiner Ballade „Sparrow“ – tatsächlich mal ein Ohrwurm, den Smith auf einer vergleichsweise schlicht gehaltenen Bühne sang. Schlicht zumindest im Vergleich mit den Standards des American Song Contests – denn auch Smith kam nicht ohne ein Finale mit weiß gewandetem Chor und aufschießendem Feuerwerksfontänenkitsch aus.

Auch andere Sän­ge­r:in­nen, etwa der bärtige Rocker King Kyote aus Maine, verzichteten auf den ganz großen Bühnenhokuspokus. Der Jury des American Song Contests hatte er gefallen – doch die Publikumsstimmen fehlten ihm letztlich. Die Zu­schaue­r:in­nen können nämlich jeweils noch ein paar Tage nach der Ausstrahlung per NBC-App, auf der Website oder per ­Tiktok abstimmen. So beginnen die neuen Folgen jeweils mit der Nachricht, welche Acts aus der vergangenen Woche es in die ­kommende Runde geschafft haben.

Ein Superstar rausgeschmissen

So bestimmt wie beim europäischen Vorbild eine Kombination aus Jury- und Publikumsstimmen, wer weiterkommt. Ein Superstar wurde kürzlich rausgeschmissen: die Sängerin und Grammy-Gewinnerin Macy Gray, die vor allem mit ihrem Hit „I Try“ auch in Europa massiv erfolgreich war, trat für ihren Heimatstaat Ohio an. Es wirkte komischerweise aber nicht so, als spiele sie die Hauptrolle in ihrem eigenen Gute­launelied – zwischen einem großen Chor und einem ungenannten Rapper war doch ziemlich wenig Macy Gray. Während ebenjener Rapper mit einem Gefolge einzog und den Song startete, dauerte es fast 20 Sekunden, bis Gray überhaupt im Bild zu sehen war.

Unter den anderen großen Namen wäre zum einen die Sängerin Jewel zu nennen, deren Beitrag für Alaska klingt, als habe sie sich ein Beispiel an den ESC-Gewinnern Abba genommen; zum anderen der 69-jährige Superstar Michael Bolton aus Connecticut, dessen erste Schritte auf der massiven Bühne so verloren aussahen, als wollte er eigentlich lieber wieder ganz umdrehen. Bis er dann loslegte und seine Stimme alles einnahm. Sein Song „Beautiful World“ gelangte jedenfalls in die nächste Runde – eine Nachricht, die Bolton fast starr aufnahm, starr wie ein Reh im Scheinwerferlicht, neben den jubelnden Jungstars.

Käseeckenhüte aus Wisconsin

Vielleicht hatte der wackelig erscheinende Bolton aber auch einfach nur das Pech, kurz nach der energiereichen Choreografie der K-Pop-Sängerin AleXa auf die Bühne zu tapern. Für Oklahoma war die Amerikanerin gekommen, die mittlerweile in Südkorea lebt. Zum Ende ihrer durchtanzten zwei Minuten und 45 Sekunden fand AleXa einen spektakulären Schluss, indem sie sich aus der Höhe einer Treppe von der Bühne nach hinten ins scheinbare Nichts fallen ließ.

An der Moderation liegt es jedenfalls nicht, dass der American Song Contest einen nur sehr bedingt in den Bann zieht. Clarkson und Snoop Dogg sind ein wirklich gutes Team, das wacker jeden musikalischen Beitrag komplimentiert, freundlichst regionale Geschenke wie Muschelketten von den Nördlichen Marianen entgegen nimmt und sich zur Unterhaltung Käseeckenhüte aus Wisconsin aufsetzt.

Wenige schauen zu

Clarkson, die von einer „American Idol“-Siegerin zur mehrfachen Grammy-Preisträgerin aufstieg, scheinen Snoop Doggs Witze sogar oft wirklich zu belustigen. Den Rapper, der in jeder Folge eine neue Variante seiner üblichen Hausanzüge trägt, lässt man seine Zwinkerwitzchen machen. Über den Pionier der Cannabislegalisierung in Colorado sagt er zum Beispiel, es sei „ein snoop-freundlicher Staat – if you know what I mean“.

Clarkson hatte vor Beginn der Ausstrahlungen in einem Pressegespräch gesagt, man brauche in diesen düsteren Zeiten Aufmunterung: „Wir sind in diesem Land schon seit einiger Zeit ziemlich zerstritten, aber wir sind uns alle ähnlicher, als wir denken.“ Damit das mit dem Aufmuntern klappt, müsste das Land allerdings erst einmal zugucken. Zur Sendezeit am Montag schauten sich nämlich letztens deutlich mehr Menschen lieber die Castingshow „American Idol“ an, die zur gleichen Zeit auf dem Sender ABC läuft.

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