Orte der Täuschung: Fakes und Wieder­verzauberung

Geheime Städte, wilde Plätze und verlorene Räume erzählen von Geschichte. Dass zum Beispiel im Krieg auch Fakes von Bedeutung sind.

Baustelle mit aufgestellter Fassade eines Hauses

Ein Testbild: aufgerichtete Fassade eines Hauses, nur um zu schauen, wie sie wirkt Foto: dpa

Der Reichstagverhüller Christo hat das Verhüllen von der Pike auf gelernt: Als Kunststudent in Sofia gehörte er zu einer Brigade, die kaputte Scheunen längs einer Bahnstrecke nach Rumänien verhüllen sollte. Ein Semesterferienjob, der den bulgarischen Künstler offensichtlich geprägt hat.

Als Erfinder von Fake-Orten gilt indes Potemkin mit seinen berühmten „Dörfern“, um Katharina die Große zu täuschen, die eine Fahrt auf die Krim als Inspektionsreise nutzte. Die Dörfer ihres Gouverneurs Potemkin waren jedoch alles andere als vorgetäuscht. Der Historiker Gerhard Prause sagte es so: „Fürst Potemkins Dörfer waren nicht von Pappe.“

Die taz berichtete so über mohammedanische Fake-Dörfer auf süddeutschen Übungsplätzen, wo Nato-Offiziere lernten, „deeskalierend“ auf eine sie hassende Bevölkerung einzuwirken. Die Statisten, die etwa einen aufgebrachten Beerdigungszug spielen mussten, kamen meist aus Russland. Wladimir Kaminer veröffentlichte eine Geschichte über seine Moskauer Freunde, die aus Geldmangel unwillige Mohammedaner spielten.

Damals erklärte uns ein Major des Verteidigungsministeriums die neue Nato-Verteidigungsdoktrin: „Sie ist nicht mehr nach Russland hin angelegt, die russischen Soldaten haben inzwischen dieselbe Einstellung zum Krieg wie wir auch – sie wollen nicht sterben! Außerdem ist die Stationierung von Raketen in Ungarn und Polen so gut wie gesichert, es geht nur noch darum, wie viel wir dafür zahlen müssen. Ganz anders sieht es jedoch bei den Arabern aus, mit dem Islam. Deswegen verläuft die neue Verteidigungslinie jetzt auch“ – rasch zog er hinter sich eine neue Landkarte auf – „etwa hier: zwischen Marokko und Afghanistan.“

In Lichterfelde besaßen die US-Spearheads, um den Häuserkampf zu üben, eine Geisterstadt. Ähnliche militärische Objekte auf Truppenübungsplätzen kannten auch die Reichswehr, die Wehrmacht, die Bundeswehr und die NVA. Und im Zweiten Weltkrieg hatte Rommel in Afrika zuletzt einen Panzerangriff dergestalt gefakt, dass er alle seine Wagen, die er noch hatte, in der Wüste im Kreis fahren ließ, um eine weithin sichtbare Staubwolke zu produzieren. Die Engländer ließen sich davon täuschen und zogen sich zurück, aber nur ein Mal.

Zu Hause entschieden sich die Briten für die Errichtung von „Scheinfabriken“ – in der Hoffnung, die Deutschen würden bloß diese „Starfishs“ bombardieren. Aus den Schornsteinen der Fakefabriken quoll dicker Rauch. Das Dorf Arne am Ärmelkanal musste einer solchen Fabrik weichen. 1966 übernahm die Royal Society for the Protection of Birds die ausgelöschte Gemeinde.

Auch Fake-Städte wurden errichtet: 200 bis 1943. „Das Starfish-Projekt war ein großer Erfolg: Bis 1944 waren diese Orte 730 Mal angegriffen worden“, schreibt der Sozialgeograf Alastair Bonnett in seinem 2015 erschienenen Buch „Die seltsamsten Orte der Welt“.

Im sogenannten Qualitätsjournalismus werden gerne die „Geisterstädte“ in Ostdeutschland thematisiert. Damit sind allerdings nicht die deindustrialisierten Städte Wittenberge oder Weißenfels gemeint, sondern die Kasernen der Roten Armee, die nach ihrem Abzug weder verkauft noch verschenkt werden konnten, sodass sie verfielen. Den Hobbyarchäologen sind sie willkommen. Einer entdeckte auf dem Gelände der zerbröselnden Kaserne Vogelsang bei Berlin, wo bis 1994 15.000 Soldaten mit ihren Familienangehörigen lebten, eine „geheime russische Geisterstadt im Wald“, was sofort von einem Reiseveranstalter in die Abenteuerliste „Lost Places“ für Berlintouristen aufgenommen wurde.

Auch der topophile Sozialgeograf Bonnett findet „Geheime Städte, wilde Plätze, verlorene Räume“, wie sein Buch im Untertitel verspricht, interessant. 47 von ihnen hat er erkundet: Orte, die ihm zur „Wiederverzauberung der Welt“ dienen.

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geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.

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