Musikclub „Acephale“ in Köln: Sicherer Hafen, unsichere Zeiten

Im Club „Acephale“ in Köln arbeiten Menschen mit Wurzeln in der Ex-UdSSR. Der russische Angriff auf die Ukraine erschüttert ihr Selbstverständnis.

"Acephale"-Leiter Dima Oboukov am Eingang seines Etablissements in Köln

„Acephale“-Leiter Dima Obou­khov am Eingang seines Etablissements in Köln Foto: Lars Fleischmann

KÖLN taz | In Köln gibt es etliche Bars, die der ehemaligen Sowjetunion gewidmet sind. Man erkennt sie schon von Weitem an den Namen: „Gogol“, „Schiwago“ oder gleich „KGB“ heißen jene Orte, die mal puffig, mal im Stil des sozialistischen Realismus eingerichtet sind, das Starkbier Baltika 9 ausschenken und gelegentlich russische Küche auf der Speisekarte haben. Sie sind zu gleichen Teilen Heimat für Menschen, die in der ehemaligen Sowjetunion groß geworden sind, und für Deutsche, die die ungezwungene Stimmung bevorzugen.

Ein ganz anderes Eta­blissement hingegen ist der Club „Acephale“ in Köln. Auch wenn es einige Gemeinsamkeiten mit den „Russenbars“ gibt, stellt das „Acephale“ in gewisser Weise einen Gegenentwurf zu den Vorgenannten dar. Es ist einer der places to be. Dort trifft sich nicht die Hautevolee der Domstadt, das Publikum ist dennoch auffallend heterogen. Möchtegern-Rapper und Studentinnen, Hipster und Normalos – die Nähe zum Viertel Kwartier Latäng – eingekölscht nach dem Pariser Studentenviertel Quartier Latin –, ist offensichtlich; das akademische Milieu ist dennoch in der Minderheit.

Dafür ist das „Acephale“ etwas zu subkulturell. Der Sound ist geprägt vom elektronischen Underground, der weiter rheinabwärts im Düsseldorfer „Salon des Amateurs“ kultiviert wurde; dazu gibt es Hip-Hop-Nächte, Jazz oder auch mal eine Lektion in Frühgeschichte der elektro-akustischen Musik. An manchen Abenden spielen hier Bands, auf einer Bühne, – lediglich ein abgegrenzter Bereich der Tanzfläche. Betritt man den Club durch die Tür mit ihren ikonischen Bullaugen, stehen links Menschen auf einer Empore erhöht. Rechts spielt die Band und dazwischen sind meist groovende Körper, eingekeilt von Tresen und Tür.

Eingelegte Gurken

Das „Acephale“ wird vom Chef des Hauses, Dima Obou­khov, und seinem Team zusammengehalten. Nur am leidenschaftlich getrunkenen Wodka erkennt man womöglich die Seele des Ladens. Den Schnaps bekommt man stets mit eingelegten Gurken – für die Gesundheit und gegen den Kater. Dima Oboukhov stammt aus Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, auf die gerade täglich Bomben abgeworfen werden; er kam 1991 nach Deutschland, als einer der sogenannten jüdischen Kontingentflüchtlinge.

Da war Oboukhov 17. Seine Eltern eröffneten in Köln knapp zehn Jahre später eine Bar mit Namen „Roter Platz“, wieder eine dieser sowjetischen Bars, in der Nähe des heutigen „Acephale“: ein Ort, wo all jene Kontingentflüchtlinge und Russlanddeutschen zusammenkamen, die man in Deutschland ansiedelte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion; für die man aber keine Pläne hatte, wie sie nun zu integrieren seien. Es kamen eben nicht nur Jüdinnen und Juden, sondern auch Russ*innen, Ukrainer*innen, Usbek*innen, Ge­or­gie­r*in­nen und andere.

Die Frage nach Identität war nachrangig, im Club sprachen alle Russisch

In Köln sind knapp 16.000 Menschen aus den Staaten der GUS gemeldet. Das sind nur jene, die als „Ausländer“ geführt werden. Die exakte Zahl dürfte weit höher sein, zählt man auch Russlanddeutsche hinzu, die nach dem Bundesvertriebenengesetz als (Spät-)Aussiedler*innen in die Stadt kamen; Menschen aus den verschiedenen Staaten der GUS, dazu Ukrainer*innen, die bereits eingebürgert sind; außerdem jüdische Kontingentflüchtlinge. Sowjetische Pässe wiesen Staatsangehörigkeit und Nationalität aus. All das ist kompliziert. Umso verständlicher, dass sich an den Bars in Köln solche feinen Unterschiede nivellieren.

Außerhalb des Identitätspolitischen

Der „Rote Platz“, jene Bar, die Oboukhovs Eltern eröffneten, ist bis heute explizit eine Hort für die Exilgemeinde. Dima, als den ihn alle in Köln kennen, sieht seinen Laden aber außerhalb dieses identitätspolitischen Diskurses. Der Wodka; das russisch sprechende Personal; eine gelebte Diskussionskultur, die geschult an Literatur, Philosophie und linken Diskursen ist – das ist alles Kern dieses Wohnzimmerclubs, aber eben kein unique selling point.

Für Oboukhov stellt sich die Frage gar nicht: „Für mich ist das Acephale klar ein Ort der Kultur, der Musik. Ein sicherer Hafen für alle, die sich da und nicht-da, anders, fühlen. Wir feiern gemeinsam – der Rest ist Zufall.“ Damit meint er den Umstand, dass ein großer Teil seines Teams die Sowjetunion nur noch aus Erzählungen kennt – oder sogar in Deutschland geboren wurde.

Viktor Rosengrün, der sich um die Konzerte kümmert, kam 1999 als Spätaussiedler aus Kasachstan; Eradj Yakubov ist gebürtig aus Duschanbe in Tadschikistan. Die alten sowjetischen und heutigen postsowjetischen Gäste („vielleicht sind es zehn Prozent“) leben nicht mehr in den Geschichten, die hinter dem Eisernen Vorhang geschrieben wurden; sie sind derweil aber mit den Realitäten der Bundesrepublik konfrontiert. Hier wird die gesamte postsowjetische Community als „Russen“ subsumiert.

Musik als Leidenschaft

Selbst jemand wie Eradj Yakubov, der als Achtjähriger mit seiner Familie in die USA auswanderte: So spricht er im Alltag meist Englisch, erst zum Studium kam er nach Köln. Viktor, Eradj und Dima bilden den harten Kern des „Acephale“. Sie fanden sich derweil losgelöst von ihrer Herkunft – stets war es Musik und die Leidenschaft zu ihr, die sie zusammenführte. Zweitrangig war die Frage der Identität.

Wenn sich die drei unterhalten, dann reden sie trotzdem Russisch. Für sie ist es die „Muttersprache“, auch wenn in der Ukraine, in Kasachstan und in Tadschikistan heute andere Sprachen gesprochen werden. Aber sowohl für Viktor als auch für Eradj­ war Russisch die erste Sprache. Dima Oboukhov spricht von Haus aus eine Mischsprache, die man „ukrainisch-russische gemischte Rede“, URGR oder Surschyk nennt.

Heimat für alle Freundinnnen und Freunde der guten Musik: Eingang des "Acephale" in Köln

Heimatbahnhof für alle Freundinnnen und Freunde der guten Musik: Eingang des „Acephale“ in Köln Foto: Lars Fleischmann

Postsowjetische Erkenntnisse

Mit weiteren Georgiern, Russen und Usbeken im Team hat man sich also auf eine wildwüchsige Form des Russischen „geeinigt“. Für Viktor ist das „Acephale“ ein Glücksfall. Deutsche haben ihn oft „Russe“ genannt – als Beleidigung –, dabei habe er erst im Alter von 28 Russland zum ersten Mal besucht. Als Kasache fühlte er sich in Deutschland daher immer heimatlos, was er erst im „Acephale“ verstanden habe. Diese postsowjetischen Erkenntnisse sind dieser Tage allerdings in Gefahr: Auch in Köln hinterlässt der Ukrainekrieg seine Spuren.

Die drei Acephaler wirken angestrengt. Sie alle sind mitgenommen vom Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine – nicht nur, da gerade Oboukhovs Heimatstadt Charkiw besonders heftig attackiert wird. Hier merkt man, dass der Krieg auch ein Angriff auf die postsowjetischen Gemeinschaften in Deutschland und Europa ist! Droht die Community daran zu zerreißen? Auch in Köln gab es in den sozialen Medien Attacken auf russische Bars – ein Vorwurf, der im „Acephale“ ins Leere läuft. Gleichzeitig fuhr unlängst ein Autokorso mit russischen Fahnen von Köln zu einem sowjetischen Friedhof nahe Bonn: die orchestrierte Aktion einer kleinen Gruppe ultra-nationalistischer Russ*innen.

Das „Acephale“-Team – und seine Gäste – bleibt solidarisch und engagiert sich seit Wochen am Kölner Hauptbahnhof, um ankommenden Flüchtenden aus der Ukraine zu helfen, bei administrativen Aufgaben und bei der Suche nach Unterkünften. Oboukhov setzt die Situation zu. Das merkt man bei jedem Wort, das er äußert. Er versuche einfach nur zu helfen, so gut er könne. Und sein Team zieht mit: Es gab großes Verständnis der Gäste, für die Entscheidung, die erste Woche nach dem Beginn des Angriffskriegs das Programm im „Acephale“ einzustellen.

Mittlerweile hat man die Apathie abgeschüttelt, plant Aktionen, um Spenden zu sammeln: Für das Jetzt – und für die zukünftige Aufgabe, in der Ukraine schon bald wieder Aufbauarbeit leisten zu müssen. Mit Freun­d*in­nen des „Acephale“ habe man schon gesprochen: „Wir werden eine Compilation mit Songs online stellen, deren Erlöse dann humanitären Zwecken zugeführt werden.“ Außerdem plane man eine ganze Reihe an Veranstaltungen, die aus Konzerten und Live-Sets bestehen soll. Künst­le­r*in­nen aus Köln und anderen Ecken Europas. Aus Tiflis oder Kyjiw. Auch dort habe man über die letzten Jahre Kontakte aufgebaut: Nach Tiflis zum ansässigen Untergrund-Radio Mutant, nach Kyjiw zum Tribal- und Techno-Label Muscut.

Oboukhov ist hoffnungsvoll, bleibt dennoch vorsichtig. Diese Ideen müssen reifen, selbst wenn man permanent eine Aktion nach der nächsten machen wolle. Sosehr man den Laden gerade eben auch öffnen müsse, damit Menschen einen Ort zum Austausch und zum Dialog hätten, so schwer es falle, an etwas anderes zu denken als Krieg. Was deutlich wird: Es betrifft im „Acephale“ alle – dieser Krieg hat auch eine neue postsowjetische Realität erschaffen. Gerade auch für Menschen in Deutschland.

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