Scheitern der Impfpflicht im Bundestag: Es grenzt an Totalschaden

Die gescheiterte Impfpflicht ist das erste Desaster für die Ampelregierung – und fügt dem Macher-Image des Kanzlers Kratzer zu. Doch auch die Union hat verloren.

Wahlurne im Bundestag wird befüllt von einer roten Karte

Wer kehrt jetzt zusammen? Kein Antrag zur Impfpflicht erhielt im Bundestag eine Mehrheit Foto: Lisi Niesner/reuters

Olaf Scholz hat sich vor ein paar Wochen gerühmt, dass er die Debatte über die Impfpflicht auf das richtige Gleis gesetzt habe. Dank der strategischen Weitsicht des Kanzlers sollte die Ampel ohne eigene Mehrheit und eben tricky durch Aufhebung des Fraktionszwangs doch ihren Willen durchsetzen. Das ist gescheitert.

Das Macher-Image von Scholz – wenig reden und begründen, aber das Wichtige richtig entscheiden – hat mehr als nur einen Kratzer bekommen. Es grenzt an Totalschaden. Die Ampel lässt sich von Teilen der FDP am Nasenring durch die Manege ziehen. Das ist, nach vier Monaten, das erste Desaster für die Ampel. Sie kann bei der Impfpflicht nicht das tun, wofür sie da ist: regieren. Ohne den Krieg in der Ukraine, der alle Aufmerksamkeit beansprucht, wäre diese Niederlage für Scholz noch viel gravierender. Das festzustellen ist nicht zynisch. Es ist einfach der Fall.

Dabei war der Gesetzentwurf der Mehrheit der Ampelfraktionen nicht übel – und viel besser als die Impfpflicht ab 18, die der Kanzler und Karl Lauterbach anfangs wollten. Die Impfpflicht ab 60 Jahren erfasst das Gros der Gefährdeten – und hat den Vorteil, erheblich weniger Widerstand zu provozieren als die Impfpflicht für alle.

Hätte dieses Gesetz eine Mehrheit bekommen – es wäre nach viel unschönem, kleinkariertem Gezerre eine Art List der Vernunft gewesen. Ein passables, pragmatisches Ergebnis, alltagstauglich und effektiv, für den Fall, dass im Herbst die Infektionszahlen explodieren.

Den politischen Schaden hat nun die Ampel – aber auch die Union hat verloren. Friedrich Merz & Co können, zum Missvergnügen vieler Union-Länderminister, nur kaputt machen – mehr nicht. SPD und Grüne sind mit ihrem Gesetz der Union bei vielem, wie dem Impfregister, das ihr am Herzen lag, entgegengekommen. Dass Unionspolitiker im Bundestag ernsthaft behaupteten, sie könnten leider nicht zustimmen, weil die SPD und die Grünen mit ihnen nicht geredet hätten, war Realsatire. Was die SPD tat, um sich mit der Union irgendwie zu einigen, grenzte an Stalking.

Union wollte Ampel scheitern sehen

Doch die Union wollte die Ampel scheitern sehen. Ja, natürlich ist es das Recht der Opposition, die Regierung bluten und fallen zu sehen. Aber in diesem Fall ist das Resultat ziemlich absurd. Denn im Grunde kann sich die Mehrheit der ParlamentarierInnen für eine Impfpflicht light erwärmen. Dass alle Anträge scheiterten, war das Werk von Merz. Keine Macht für niemand.

Im Bundestag warfen dann Ampel-Parteitaktiker Unions-Parteitaktikern Parteitaktik vor – und umgekehrt. Und alle hatten recht. Wer kehrt jetzt die Scherben zusammen?

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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