Jour­na­lis­t:in­nen in Russland: „Permanente Anspannung“

Wegen des Ukrainekriegs verschärft Russland die Unterdrückung der freien Presse. Einige Jour­na­lis­t*in­nen verlassen deswegen ihre Heimat.

Hinter einer Nachrichtensprecherin wird ein Plakat hochgehalten

Mutiger Protest im TV: Journalistin Maria Ovsiannikova mit Antikriegsplakat am 14. März Screenshot: imago

BERLIN taz | Ein Gericht in Moskau hat am Montag Facebook und Instagram verboten, weil der Konzern Meta, zu dem beide Plattformen gehören, „extremistisch“ sei. Ebenfalls am Montag meldete die Nachrichtenagentur Interfax: Russlands Medien-Regulierer hätten 20 VPN-Dienste blockiert und arbeiteten daran, weitere zu sperren. VPN-Dienste (kurz für „Virtual Private Network“) erlauben es Nutzern, ihren Standort zu verbergen – und so etwa Webseiten aufzurufen, die in einem bestimmten Land gesperrt sind. Seit Beginn der Ukraine-Invasion hat Moskau immer mehr ausländische, aber auch kritische inländische Medien gesperrt. Bisher nutzen viele Rus­s:in­nen VPN, um sie trotzdem zu besuchen. Der Staat macht es immer schwieriger, Informationen über das Netz zu beschaffen und zu teilen.

Unabhängige journalistische Medien sollen derweil in die Propaganda-Berichterstattung gezwungen werden: Besonders drastisch ist der Erlass des russischen Parlaments vom vierten März. Er verbietet Medien, die Invasion in der Ukraine als „Krieg“ zu bezeichnen.

Kirill Martynow ist stellvertretender Chefredakteur der Nowaja Gazeta, einer bisher unabhängig und kritisch berichtenden russischen Zeitung. Bei einem Panel des International Press Institute (IPI) sprach er kürzlich über die Konsequenzen eines solchen Gesetzes. Entweder verwende man die vom Staat publizierten Berichte, „was Propaganda ist“, oder man verwende selbst recherchierte Informationen – was der Staat dann als „Fake“ bezeichne. Die Nowaja Gazeta schreibe seither nicht mehr über den Krieg selbst, nur noch über seine Folgen.

Ein freier Journalist, der anonym bleiben will und nur über Signal kommuniziert, sagte: „Wir haben permanent ein Gefühl von Gefahr und Anspannung“. Die Regierung zwinge Jour­na­lis­t*in­nen, sich öffentlich kenntlich zu machen, berichtet er. Sie müssten gelb-grüne Warnwesten tragen – großflächige Presseausweise. Es sei nun geplant, dass Jour­na­lis­t*in­nen QR-Codes tragen müssten, die sofort ihre persönlichen Daten anzeigen. Der Staat argumentiere, das helfe der Polizei, schnell zu wissen, wer ein „echter“ und wer ein „falscher“ Pressevertreter sei.

Immer häufiger Festnahmen

Er sei bisher dreimal aufgrund seiner Arbeit festgenommen worden, erzählt der freie Journalist, der hier „Mikhail“ heißen soll, das letzte Mal bei einem der Proteste gegen den Ukrainekrieg. Er sei in eine zehn Kilometer entfernte Polizeistation verschleppt und für sieben Stunden festgehalten worden. Obwohl er wie gefordert gekleidet war, wurde ihm vorgeworfen, „kein richtiger Journalist“ zu sein und eine „illegale Veranstaltung“ organisiert zu haben. Sogar dem Kreml positiv gesinnte Journalisten würden mittlerweile festgenommen, sagt Mikhail.

Wie die russische Gewerkschaft der Jour­na­lis­t*in­nen und Medienschaffenden auf Twitter mitteilt, wurde am vergangenen Freitag der Chefredakteur einer Pskover Regionalzeitung festgenommen sowie fünf Journalisten des unabhängigen Mediums SotaVision. Die staatliche Medienregulierungsbehörde Roskomnadzor blockiert seit einer Woche die Webseiten von dreißig unabhängigen Medien im Rand. Regelmäßige Neuigkeiten dieser Art meldet auch das IPI in einem regelmäßigen Newsticker.

Die Repression gegen Medien in Russland spitzt sich zu. Begonnen hat sie schon lange vor dem Krieg. Anastasia Kirilenko ist Journalistin, lebt mittlerweile in Frankreich. Bevor sie Russland 2014 nach der Annexion der Krim verließ, arbeitete sie für Radio Free Europe, einem Sender, der von den USA finanziert wird und sich an Hö­re­r:in­nen in osteuropäischen und zentralasiatischen Ländern richtet, in denen die Pressefreiheit staatlich eingeschränkt wird.

Immer wieder habe der Staat Rügen und Warnungen gegen den Sender ausgesprochen, erzählt Kirilenko. Zwei ihrer Berichte hätten Putin direkt betroffen, deshalb habe sie 2011 einen Besuch von der Polizei bekommen. „Für viele Jour­na­lis­t*in­nen ist es wahrscheinlich schon Druck, wenn man fünf Stunden polizeilich befragt wird“, sagt sie, „aber viele meiner Kol­le­g:in­nen haben Schlimmeres erlebt.“ Im Jahr 2019 veröffentlichte das russische Fernsehen einen Beitrag über Kirilenko, der sie als Feindin Russlands denunziert.

„Sie wissen nicht, was sie denken sollen“

Selbst Kirilenkos Familie glaubt eher den Staatsmedien als ihr. „Sie sehen fern zur Hauptsendezeit“, sagt sie. Und dort gehe es nur darum, wie großartig Putin sei – „Propaganda-Klischees“. Ihre Familie störe das nicht. „Sie haben immer noch sowjetische Reflexe“, sagt sie. „Sie wissen nicht, was sie denken sollen“.

Für manche wird der Druck zu groß. Der anonyme „Mikhail“ sagt: „Ich liebe dieses Land und meine Heimatstadt“. Aber aufgrund der Situation werde er sie in den nächsten Tagen verlassen. „Ich weiß nicht, wann ich wiederkomme.“ Durch die SWIFT-Sanktionen funktionieren russische Bankkarten im Ausland nicht mehr, das erschwert ihm die Flucht zusätzlich.

Anastasia Kirilenko erzählt, ehe sie Russland verließ, habe sie eine Entscheidung getroffen: „Ich werde nie zur russischen Staatspropaganda beitragen – vorher wechsle ich den Job.“ Sie sagt: „Einen Beitrag zur Propaganda zu leisten, ist ein Beitrag dazu, das Land nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit zu führen.“

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