Wachsender Nationalismus in Bosnien: Gesetz mit Sprengkraft

In Bosnien und Herzegowina verhandeln EU-Vertreter über ein umstrittenes Wahlgesetz. Es könnte das Ende für den Gesamtstaat bedeuten.

Die drei Mitglieder des Staatspräsidiums stehe mit Josep Borell in einer Reihe und tragen Anzüge

Noch existiert der Gesamtstaat: das dreiköpfige Staatspräsidium mit dem EU-Außenbeauftragten Borell Foto: Armin Durgut/ap

SARAJEVO taz | Wenn in diesen Tagen EU-Unterhändler über ein neues Wahlgesetz für Bosnien und Herzegowina verhandeln, geht es schlicht um die Existenz dieses Staates. Die niederländische EU-Beamtin Angelina Eichhorst ist dabei, gemeinsam mit dem amerikanischen Botschafter das Wahlgesetz für den Teilstaat der bosnisch-kroatischen Föderation ganz nach dem Geschmack der kroatischen Na­tio­na­lis­ten­par­tei HDZ zu ändern.

Die Idee: ein System mit Wahlmännern nach amerikanischem Vorbild. Doch genau das würde den kroatischen Nationalisten in Bosnien helfen, ihrem Anführer Dragan Čović einen Sitz im dreiköpfigen Staatspräsidium zu sichern, in dem Vertreter der bosnischen Serben, Kroaten und der Bosniaken gemeinsam das Staatsoberhaupt des Gesamtstaats bilden. Die EU- und US-Vertreter versuchen nun, Bakir Izetbegović, den Vorsitzenden der bosniakischen Nationalpartei SDA, unter Druck zu setzen. Denn nur mit den Stimmen der SDA könnte im Parlament eine entsprechende Mehrheit zustande kommen, um das Wahlgesetz zu ändern.

Das nichtnationalistische Lager hofft, dass Izetbegović dem Druck standhält. Weil Eichhorst sogar dafür sorgte, dass die nichtnationalistischen Parteien von der Diskussion über das Wahlgesetz ausgeschlossen wurden, ist diese in ihren Augen vollends unglaubwürdig geworden. „Wir wollen ein demokratisches Wahlgesetz, das allen Bürgern gleiche Rechte gibt“, fordern auch große Teile der Zivilgesellschaft und warnen davor, sich auf Verhandlungen mit den „Kriminellen“ und „Putin-Freunden“ einzulassen.

Denn Dragan Čović, der das Wahlgesetz vorantreibt, hat sich in den letzten Monaten als Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin ge­outet. Einst war er angeklagt, als Direktor des Aluminiumwerks in der Stadt Mostar während des Bosnienkriegs 1993 bosniakische Insassen des Lagers Heliodrom zur Zwangsarbeit verpflichtet zu haben.

Er pflegt außerdem enge Beziehungen zu Milorad Dodik, der mit Unterstützung Moskaus die serbische Teilrepublik aus Bosnien und Herzegowina herauslösen und so den Gesamtstaat auflösen will. Dodik ist Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums. Noch im Dezember letzten Jahres besuchte er Putin und hat seine Politik in Bosnien und Herzegowina eng mit dem Kreml abgestimmt.

Baerbocks Worte ohne Wirkung

Nach diesem Plan will die ­serbische Teilrepublik unter Dodik bis zum Sommer fast alle Kontakte mit dem gemeinsamen Gesamtstaat abgebrochen haben. Wenn Čović mit dem Wahlgesetz Erfolg haben sollte, hätten er und Dodik die Mehrheit im bosnischen Staatspräsidium. Dann könnten sie die Auflösung des Staates in die Wege leiten.

Dass sich die EU offenbar auf diesen Plan einlässt, sendet widersprüchliche Signale in das fragile Balkanland, sagt Haris Imamović, politischer Berater beim Staatspräsidium in Sarajevo. Denn beim Besuch von Bundesaußenministerin Anna­lena Baerbock am 10. März in Sarajevo, bei dem Imamović selbst dabei war, war er noch positiv überrascht gewesen.

Baer­bock hatte nämlich betont, die Bundesregierung unterstütze nur diejenigen, die sich für eine Stärkung des Staates Bosnien und Herzegowina einsetzten – nicht aber jene, die an seiner Desintegration und Schwächung arbeiteten. Deutschland werde „keine Erosion der Sicherheitslage zulassen“. Doch nun, da die EU den Forderungen der Nationalisten in Bosnien in Sachen Wahlgesetz nachkommen will, schreitet auch Berlin nicht ein.

Auch Vertreter der nichtnatio­nalistischen Parteien wie ­Vojin Mijatović, Vizevorsitzender der sozialdemokratischen Partei SDP, zeigen sich darüber bestürzt.

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