Ukraine-Krieg und Kaukasus: Der Krieg entzweit die Nordosseten

In Russland leben nicht nur Russen. Aber auch bei den anderen Nationalitäten im Land gibt es unterschiedliche Meinungen zu den aktuellen Ereignissen.

Frauen trauern

Frauen gedenken am 15. Jahrestag der tödlichen Belagerung der Schule in Beslan, 2019 Foto: Eduard Korniyevnko/reuters

Russland – das sind nicht nur Russen. Hier leben auch Menschen Hunderter anderer Nationalitäten. Und obgleich für die ganze Welt alle Bewohner Russlands Russen sind, ist das bei Weitem nicht so. Ich bin Ossete und lebe in der Hauptstadt von Nordossetien, in Wladikawkas. Das ist Russland. Und alle meine Verwandten, nahe und weiter entfernte, alle meine Vorfahren, sind Bürger Russlands. Und bleiben das auch. (Auf Russisch unterscheidet man „russkije“, ethnische Russen, und „rossyjane“, Staatsangehörige Russlands; d. Red.).

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Es ist unser Land, mein Land. So wie das von vielen, vielen anderen: Kabardinern, Balkaren, Tschetschenen, Inguschen, Tscherkessen, Tataren, Baschkiren, Lesginen, Laken … So könnte ich noch lange aufzählen und würde trotzdem noch jemanden zu erwähnen vergessen.

Die Einstellungen hier in Ossetien zu dem, was in der Ukraine passiert, sind unterschiedlich. Die einen unterstützen den Krieg, die anderen nicht. Die, die ihn unterstützen sind mehr, auf jeden Fall sind sie sichtbarer.

Sich jetzt öffentlich gegen den Krieg zu positionieren, ist schwierig. In den sozialen Netzwerken hat mittlerweile ein echtes Mobbing begonnen. Kürzlich wurde zum Beispiel bekannt, dass ein 20-jähriges Mädchen in Wladikawkas für Flugblätter gegen den Krieg eine Geldstrafe von umgerechnet etwa 100 Euro zahlen musste. In den Kommentaren wurde sie von offenbar ganz gewöhnlichen Menschen angegriffen, und es ist nicht bekannt, wie es ausgegangen wäre, wenn die Polizei ihren Namen öffentlich gemacht hätte.

Ich kenne keinen einzigen Menschen, der den Beschuss und die Bombardierung der Zivilbevölkerung in der Ukraine gutheißen würde. Hier in Ossetien ist dies schon deshalb nicht möglich, weil 2004 die ganze Welt Zeuge des entsetzlichen Terroranschlags in Beslan wurde (nordkaukasische Terroristen hielten in einer Schule drei Tage lang über tausend Geiseln, darunter viele Kinder, fest. Bei der Erstürmung durch russische Einsatzkräfte starben über 300 Menschen; d. Redaktion)

Damals haben alle verstanden, was getötete Kinder in Friedenszeiten bedeuten. Darum versuchen jetzt sogar die, die für die „Spezialoperation Z“ (so die offizielle russische Bezeichnung des Angriffskriegs auf die Ukraine; d. Redaktion) sind, die Informationen über die Opfer in der Zivilbevölkerung zu verdrängen. Man versucht uns davon zu überzeugen, dass das alles Fake News seien. Und die Menschen glauben das, weil es einfacher ist.

Überall hängen Plakate mit dem Buchstaben Z, Politiker und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens versuchen, ihre Unterstützung zu demonstrieren. Aber ein Level darunter ist die Stimmung deutlich gedämpfter. Gleichzeitig ärgern sich viele auch über ukrainische Videos von toten russischen Soldaten. Sie sind so wütend, dass selbst diejenigen, die gegen den Krieg sind, sagen, dass sie bereit wären, in die Ukraine zu gehen, um sich zu rächen. Aber wie dem auch sei, niemand wünscht unseren Soldaten, unter denen Russen, Osseten, Inguschen und Dagestaner sind, den Tod.

Das Schwungrad des Hasses dreht sich jedoch immer schneller. Es anzuhalten wird schwer.

Aus dem Russischen von Gaby Coldewey

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der Autor ist Journalist und lebt in Wladikawkas, der Hauptstadt Nordossetiens im Kaukasus. Er schreibt unter Pseudonym.

Eine Illustration. Ein riesiger Stift, der in ein aufgeschlagenes Buch schreibt.

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