Medizinische Hilfe für die Ukraine: Mit grimmiger Entschlossenheit

Kaltenkirchen bei Hamburg wird zum Umschlagplatz für medizinische Hilfsgüter. Zu verdanken ist das auch dem großen Einsatz der Exil-Ukrainer*innen.

Eine Helferin sortiert haufenweise Krücken und Rollatoren

Eine Helferin sortiert Krücken und anderes Hilfsmaterial Foto: Christian Charisius/dpa

HANNOVER taz | Es waren schon ein paar sehr glückliche Fügungen, die hier zusammengekommen sind. Doch jetzt ist Kaltenkirchen vor den Toren Hamburgs ein wichtiges Drehkreuz für medizinische Produkte für die Ukraine.

Es begann mit einem privaten Spendenaufruf. Oksana Ulan ist Hausärztin in Henstedt-Ulzburg, sie kam als junge Frau aus der Ukraine, um in Deutschland Medizin zu studieren. Sie blieb. Nach dem Einmarsch Russlands in ihre Heimat ging es ihr wie den meisten Ukrai­ne­r*in­nen in Deutschland: Sie will irgendetwas tun, um zu helfen.

Oksana Ulan ist im Vorstand der ukrainischen Ärztevereinigung. Die wiederum schließt sich schnell dem in Hamburg ansässigen ukrainischen Hilfsstab an, der versucht, in Abstimmung mit dem Generalkonsulat, die Hilfsangebote und Initiativen der ukrainischen Vereine in Norddeutschland zu bündeln und zu koordinieren.

Der Hilfsstab beauftragt die 46-jährige Ärztin, sich um medizinische Hilfe zu kümmern. Schon vorher hatte sie über ihre Netzwerke einen Spendenaufruf abgesetzt. Nun wird sie förmlich überrannt, weil ihr Aufruf in der Ärz­t*in­nen­schaft und von weiterem medizinischem Personal immer weiter herumgereicht wird.

„Ich hatte zwischendurch jemanden, der neben mir herlief und mir half, Telefonate entgegenzunehmen“, sagt sie der taz am Telefon. „Bei mir zu Hause sitzen jetzt zwei Frauen, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als E-Mails zu beantworten.“

Helfer mit einschlägiger Erfahrung

Ziemlich schnell kam Ulan da auch logistisch an ihre Grenzen. Auf der Suche nach Hilfe stieß sie bei Andreas Moll und Florian Gottschalk auf offene Ohren und einschlägige Erfahrung. Mit der MedX Project GmbH betreiben die beiden eine kleine hochspezialisierte Fachfirma, die medizinisches Personal für Kriseneinsätze ausbildet.

Gottschalk war jahrelang für das THW in verschiedenen Auslandseinsätzen und ist unter anderem Fachmann für Logistik bei Hilfseinsätzen. Im benachbarten Kaltenkirchen hatte die Firma ein kleines Impfzentrum in einem ehemaligen Aldi im Einkaufszentrum Ohlandpark aufgezogen.

„Das haben wir jetzt verkleinert, um Platz für die Lagerung und Neuverpackung der Spenden zu schaffen“, sagt Gottschalk. Geholfen hat dabei sein guter Draht zur Stadt und zur Leitung des Einkaufszentrums.

Außerdem gibt es hier auch noch ein Team von Medizintechnikern, die jedes gespendete Gerät sorgfältig prüfen, bevor es rausgeht. Neben Spenden von Privatpersonen und Arztpraxen trudeln hier mittlerweile beachtliche Großspenden aus dem ganzen Land ein. „Wir haben Geräte von aufgelösten Klinikstandorten und Großspenden von Pharmaherstellern bekommen.“

Tragen, blutstillende Verbände und Leichensäcke

Die Waren werden dann neu verpackt und mit ukrainischen Fah­re­r*in­nen in die Ukraine geschickt, zurzeit hauptsächlich nach Lwiw, wo sich ein großes Umschlaglager des ukrainischen Gesundheitsministeriums befindet. Zum Teil werden die Waren aber auch über das ­Logistikcluster der Vereinten Nationen weiterverteilt.

„Wir haben den Vorteil, dass wir über den ukrainischen Hilfsstab einen Draht zur Generalkonsulin haben und deshalb mit offiziellen Papieren fahren können“, erklärt Gottschalk. „Wir bekommen mittlerweile auch gezielte Anfragen und Hilferufe aus einzelnen Städten, die zum Teil eigene Lkw losschicken“, ergänzt Oksana Ulan.

Gebraucht werden derzeit vor allem Tragbahren, blutstillende Verbände und Medikamente, Antibiotika, Schmerzmittel, aber auch Leichensäcke, zählt sie mit bitterer Routine auf. Gleichzeitig sind auch viele chronisch Kranke von ihrer üblichen Medikamentenzufuhr abgeschnitten, also werden auch Alltagsmedikamente wie Blutdrucksenker, Insulin und anderes gebraucht.

Ukrainische Community organisiert Callcenter

Die medizinische Versorgung ist nicht das Einzige, was die ­ukrainische Community in Norddeutschland jetzt mit hohem persönlichen Einsatz und grimmiger Entschlossenheit organisiert. „Wir versorgen die Verteidiger der Ukraine und halten ihren Rücken frei“, ist die Parole, die der ukrainische Hilfsstab ausgegeben hat.

Der ukrainische Hilfsstab koordiniert Hilfe, Hel­fe­r*in­nen und Spenden: https://hilfe-ua.de

Schutzsuchende können das Callcenter unter ☎ 0152-214 555 30 oder ☎ 0152-214 555 25 erreichen; Hel­fe­r*in­nen und Freiwillige wählen ☎ 0170-484 26 64 oder ☎ 0170-483 93 66

Er hat unter anderem ein Callcenter eingerichtet – mit einer Nummer, unter der sich Geflüchtete melden können, und einer anderen, unter der Hilfsangebote abgegeben werden können. Außerdem gibt es Koordinatoren für alle möglichen Bereiche: von der Öffentlichkeitsarbeit über die Spendensammlung bis zur Organisation von Demonstrationen und der Aufnahme von Geflüchteten.

Auf der Website finden sich auch ein zu Tränen rührendes Video mit Durchhalteparolen und detaillierte Anleitungen für Menschen, die als freiwillige Kämpfer in die Ukraine reisen möchten.

Was es noch gibt, ist eine harsche Pressemitteilung an die deutschen Medien, aus der viel Wut und Verzweiflung spricht: Der Krieg ist nicht am 24. Februar ausgebrochen, sondern schon vor acht Jahren, heißt es darin.

Es sei auch kein „Ukraine-Krieg“, wie es in vielen Live-Tickern heißt, sondern allenfalls ein „Russland-Ukraine-Krieg“, besser noch ein „Angriffskrieg“ oder eine „Invasion Russlands“. Und man möge doch bitte die korrekte, ukrainische Bezeichnung der umkämpften Städte nutzen und nicht die Transkription aus dem Russischen: Es muss Kyjiw, Odesa und Dnipro heißen.

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