Debatte über Umgang mit Drogenszene: Keine Bänke für Trin­ke­r*in­nen?

Der Andreas-Hermes-Platz in Hannover ist ein Treffpunkt der Drogenszene. Nun wird debattiert, ob der Platz eine Renovierung wert ist oder nicht.

Der Andreas-Hermes-Platz in Hannover.

Derzeit wenig einladend: der Andreas-Hermes-Platz in der Nähe des Hauptbahnhofs in Hannover Foto: Michael Trammer

HANNOVER taz | Mitten in Hannovers Innenstadt, nur wenige Hundert Meter vom Hauptbahnhof entfernt, liegt einer dieser Nicht-Orte, den wohl alle Städte haben. Der Andreas-Hermes-Platz ist eine abgesenkte Fläche, eingesäumt vom Schnellweg und mehreren Hochhäusern. Autos donnern vorbei, Geschäfte gibt es hier kaum.

Mohammed Khasim (Name geändert) sitzt auf der Treppe am Rand. Immer wenn seine Depressionen und die Erinnerungen an den syrischen Bürgerkrieg besonders schlimm sind, komme er hierher um nachzudenken, erzählt er. „Ich trinke ein paar Bier, beobachte das Treiben und fahre dann nach Hause“, sagt der junge Mann, der Umweltingenieur ist, aber seit mehreren Jahren nicht arbeiten kann. Andere Orte, wo das so einfach gehe, kenne er nicht, sagt er.

Mehrere Skulpturen stehen auf dem Platz. Graffiti zieren die Wände. In den Ecken liegen Fäkalien und Müll. Ein Mann rennt zu einer Pfütze, wäscht seine Hände und trinkt etwas Wasser. Wer sich genau umsieht, kann Menschen entdecken, die Spritzen aufziehen oder in kleinen Runden, die Köpfe zusammengesteckt, Pfeife rauchen. Es ist einer der Orte, an denen sich Hannovers offene Drogenszene trifft. Der Hauptbahnhof ist nah und damit auch Hilfsangebote. Direkt am Andreas-Hermes-Platz liegt zurzeit noch der Kontaktladen Meckie.

300.000 Euro will die Stadt Hannover nun in die Hand nehmen, um den Platz umzugestalten. Im Juli soll es losgehen, bis Oktober soll der Umbau dann abgeschlossen sein. Der Platz und die ganze Gegend sollen attraktiver werden.

Ein Mann rennt zu einer Pfütze und wäscht sich die Hände. Wer sich umsieht, kann Menschen entdecken, die Spritzen aufziehen

Der Betonbrutalismus soll Begrünung weichen. Wilder Wein, Beete und Efeu sollen die Fläche zukünftig säumen. Außerdem sollen Stufen zusammengefasst und Betonpoller rückgebaut werden, damit Reinigungsfahrzeuge besser durchkommen, heißt es in einem Antrag an den Stadtbezirksrat Mitte.

Eigentlich ist die Rampe an der Nordseite des Platzes auch zu steil und nicht barrierefrei. Eine Million Euro würde ein entsprechender Umbau kosten. Die Pla­ne­r*in­nen verweisen aber auf einen, einige Hundert Meter weiter gelegenen Aufzug.

Bereits vor mehreren Jahren war im angrenzenden Kulturzentrum Pavillon ein Bür­ge­r*in­nen­be­tei­li­gungs­ver­fah­ren durchgeführt worden. Die dort am häufigsten genannten Probleme: die Verschmutzung und ein allgemeines Unsicherheitsgefühl. Am Ende wünschten sich alle, die Plätze in Bahnhofsnähe wieder gastlicher zu machen und zu beleben, etwa durch neue Sitzbänke.

Dafür hagelt es nun Kritik aus der Politik. So fordert die CDU Politikerin Cornelia Kupsch in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, die Stadt solle das Anbringen von Bänken streng prüfen. Erst einmal müsse man den Platz für die Szene „etwas ungemütlicher machen“. Und auch die Grünen sehen Bänke skeptisch.

Hier zeigt sich exemplarisch der Umgang mit der offenen Drogenszene und Wohnungslosen durch die Stadtgesellschaft. Zwar gibt es in Hannover akzeptierende Arbeit und offene Konsumräume, nichtsdestotrotz kommt immer wieder die Forderung nach einer Verdrängung marginalisierter Gruppen auf – ganz ähnlich zu beobachten bei der Debatte um den nur wenige Hundert Meter entfernten Weißekreuzplatz. Bei den Konflikten um diese Orte geht es um die Frage, wem die Stadt gehört und für wen im öffentlichen Raum Platz ist.

Der Weißekreuzplatz liegt auf der anderen Seite des Kulturzentrums Pavillon. Ein Stück Berliner Mauer steht hier und ein Stein, der an die Proteste in Gorleben erinnert. An der Südseite des Platzes stehen Bänke in einem kleinen Laubengang. In der Mitte ist eine Freifläche. Immer wieder kam es zu Ruhestörungen und Auseinandersetzungen in der Umgebung. Es ist einer der Orte, an denen obdachlose Menschen übernachten. Im Winter 2020 starb hier auch ein obdachloser junger Mann.

Die dämonisierte Trin­ke­r*in­nen­sze­ne besteht hauptsächlich aus älteren Männern, die sich hier nach dem Feierabend teils seit über 35 Jahren treffen, um zu schnacken, zu rauchen und Bier zu trinken. Sie ärgert die Pauschalisierung. Natürlich komme es zu Konflikten, die An­woh­ne­r*in­nen seien aber auch nicht besser. „Wenn die besoffen sind, benehmen die sich genauso daneben“, sagt ein älterer Herr, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Und ja – die öffentliche Toilette sei in einem desaströsen Zustand, das seien aber andere gewesen.

2018 war ein Regelkatalog zur Nutzung der Fläche vorgestellt worden. Die Hannoversche Allgemeine Zeitung titelte gar „Anwohner erobern Platz zurück“ und goss nicht zum ersten Mal Öl ins Feuer. Der Konflikt zwischen den Altbau-Loftbewohner*innen und denen, die auf dem Platz Zuflucht suchen, hält bis heute an.

Für diejenigen, die in der Stadt Wohnungslose unterstützen, sind die Verdrängungsmechanismen nicht neu. So erzählt Jan Goering, Vorstand der Selbsthilfe für Wohnungslose (Sewo), seit der Expo 2000 verschwänden nach und nach Nischen in der Innenstadt, in denen sich Wohnungs- und Obdachlose aufhielten.

Zunächst wurden die Einkaufszone Passerelle und dann der Omnibusbahnhof umgebaut. Durch eine Zentralisierung der Hilfsangebote ziehe es aber nach wie vor viele Menschen in die Gegend um den Bahnhof. „Ein schlauer Mensch sagte mal: Am hinteren Ende eines Bahnhofs kannst du sehen, wie es einer Stadt geht“, sinniert Goering. In Hannover dürfe Armut im öffentlichen Raum nicht sichtbar sein. Das passe nicht zur Außendarstellung der Stadt. „Spricht eigentlich jemand mit den Menschen: Wie findest du das, dass die Gesellschaft sagt, dass du dich hier nicht niederlassen darfst?“, fragt Goering.

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